Moral

Philipp Hübl: Warum die richtige Haltung oft nur Show ist

Schön gendern und immer woke bleiben: Der öffentliche Diskurs mutierte inzwischen zum „Moralspektakel“, wie der deutsche Philosoph Philipp Hübl in seinem preisgekrönten Buch offenlegt. Ein Gespräch.

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Bullshit und Politik, emotionale Überhitzung und  Fake News: Mit  seinen Analysen zu aktuellen Themen hat der deutsche Philosoph Philipp Hübl in  den vergangenen Jahren immer wieder  aufhorchen lassen. Jetzt  hat er das fein gewobene wie fehleranfällige Netz moralischer Beurteilungen, das unsere Gegenwart durchzieht,  unter die Lupe genommen.  Hübl  zählt zu jener Generation junger  Denker, die Philosophie als Methode anwenden, um   mit differenzierter Sachlichkeit das dröhnende Tosen  aktueller Debatten  in klare Denkstrukturen zu fassen.  Für  „Moralspektakel“ wurde Hübl kürzlich  beim Philosophicum Lech mit dem renommierten Tractatus-Essaypreis ausgezeichnet.

Wie kann Moral zum Statussymbol werden?

Philipp Hübl

Moral selber ist kein Statussymbol, sondern betrifft die Frage, was gut und was schlecht ist, wie wir handeln sollen. Aber indem ich über Moral kommuniziere, kann ich auch Anerkennung bekommen, ja Prestige. Es gibt viele Beispiele, wo Personen oder Firmen sich aufwerten wollen, indem sie die richtigen moralischen Signale senden. Das kann sein, indem ich einen Jutebeutel auf einer Veranstaltung trage, um zu signalisieren, dass ich umweltbewusst bin. Das kann ein Sticker sein auf einer Thunfischdose, auf dem steht „Delfine werden geschützt“, weil es natürlich moralisch falsch ist, wenn Tiere unnötig leiden.

Wird die richtige Haltung dann zum modischen Accessoire, mit dem man sich ausstattet, oder bekennt man sich damit zu einer Schicht?

Hübl

Als Signal kann es Gruppenzugehörigkeit anzeigen oder Aufwertung innerhalb der Gruppe erzeugen. Unter Hedonisten, denen Luxus wichtig ist, bekommt vielleicht jemand, der eine besonders seltene Uhr hat oder eine besonders tolle Handtasche, besonders viel Anerkennung. Gleichzeitig kann man auch einfach durch bestimmte Kleidung zeigen, dass man zu einer bestimmten Gruppe gehört. Mit Moral ist das genauso. Mit den richtigen Signalen, wie dem Bekenntnis zu Diversität, kann ich zur Schau stellen: Ich bin progressiv, weltoffen, urban. Aber ich kann auch innerhalb der Gruppe noch einen besonderen Status bekommen, wenn ich besonders sensibilisiert bin, etwa für die Verletzung von Minderheitenrechten. Oder auf der anderen Seite, wenn ich besonders tough bin und konservativ und an den alten Werten festhalte. Damit kann ich innerhalb dieser Gruppe Prestige, also hohen Status bekommen.

Sie beschreiben dieses Spiel mit der Haltung als Statuskampf. Wer kämpft da gegen wen?

Hübl

Statuskampf ist eine Form von Konkurrenzkampf. Gerade in der Arbeitswelt, in Segmenten, die stark umkämpft sind, kann man Moral leicht als Waffe einsetzen. Man kann sich auf der Leistungsebene miteinander messen, aber da sind Leute oft auf sehr ähnlichem Niveau. Wenn sich zum Beispiel zwei Akademiker auf eine Professur bewerben und ungefähr gleich gut sind, kann man auf die moralische Ebene wechseln und den Gegner vielleicht dadurch angreifen oder diskreditieren, dass derjenige einen moralischen Fehltritt begangen hat. Moralische Vorwürfe wiegen schwer, deshalb wird oft Moral als Waffe verwendet.

Nicht nur Geld hat einen Wert, sondern auch unser moralisches Profil. Und was einen Wert hat, wird auch gefälscht oder zumindest geschönt.

Philipp Hübl

Philosoph

Judith Belfkih

Judith Belfkih

war zwischen Juli und November vertretende Digitalchefin. Davor in der Chefredaktion der „Wiener Zeitung“.