Zeitgeist: Die Popkultur thematisiert den Mann in der Krise
Der Mann nuschelt Sätze in einer Art innerem Monolog, die aus dem Schwarzbuch des Feminismus stammen könnten: "Ich mag junge Frauen, ich will das Reh, stolz, schüchtern und schwer, sehr schwer zu kriegen. Die ausgediente Hirschkuh am Wegesrand interessiert mich nicht."
Die Kamera fährt in diesem Moment auf eine ältere, übergewichtige Kassiererin.
Der Mann nennt sich Rocky und ist der tragischkomische Anti-Held der filmischen Satire "Fikkefuchs", die kommende Woche in den österreichischen Kinos anläuft und in Deutschland in den letzten Wochen heftig diskutiert wurde. Denn Rocky, der mittelalterliche Loser aus Berlin-Friedrichshain mit Kahlstelle am Hinterkopf und Lederjacke, Schlabberhosen, durchaus auch manchmal mit Urinflecken drauf, hat zwar im Kopf die ideologischen Überreste der 68er-Bewegung, benimmt sich aber wie ein sexistischer Saurier, der nur eine Mission hat: möglichst viele Frauen möglichst unkompliziert flachzulegen. Der bindungsparanoide Realitätsverweigerer, der sich einbildet, trotz seines erbarmungswürdigen Aussehens und seines Status als abgehängter Bildungshippie, "noch immer Schlag bei Frauen zu haben" wird vom Autor und Regisseur des Films, Jan Henrik Stahlberg, (siehe Interview) auch gespielt; ihm zur Seite bei seinen Fikkefuchsereien steht sein vermeintlicher Sohn Thorben (genial tumb: Franz Rogowski). Thorben personifiziert einen durch das Internet pornoverseuchten Freak, der wegen eines Vergewaltigungsversuches an einer Supermarktkassiererin frisch aus der Psychiatrie entlassen wurde und von seinem Vater in praktischen Beispielen erklärt bekommen will, wie man das so macht, "dass eine Frau mit einem wie mir schlafen will".
Stahlberg, der den Film logischerweise lange vor dem #MeToo-Flächenbrand geschrieben und gedreht hat, traf mit seiner Demontage eines ausgedienten Männerbildes ins Nervenzentrum des gesellschaftlichen Diskurses. Selten war in Filmrezensionen so viel unverhohlene Abscheu spürbar gewesen: "Vater und Sohn sind die kaputtesten, kranksten, asozialsten und sexistischsten Frauenhasser, die das deutsche Kino je gesehen hat" urteilte Moritz von Uslar in der "Zeit"; Matthias Dell schrieb im "Spiegel":"Der Film soll Männlichkeit in der Krise satirisch aufspießen, verdoppelt in seiner Inkompetenz aber nur Frauenfeindlichkeit."
Satire, die auf der Stelle tritt
Tatsächlich können die "Fikkefüchse" beim Anmachen (sowohl Frauen als auch Hosen) und Ausleben ihrer Frustrationen gegenüber dem Feminismus, in Form von "Volvo fahrenden Biofotzen" mit ihrer selbstherrlichen "Deutungshoheit", enervieren und auch ermüden. Satire, die auf der Stelle tritt, verliert bald ihre Schockwirkung, das berühmte "Lachen, das im Halse stecken bleiben" und in Folge zu Denkprozessen anregen soll, fällt einer - ab der Hälfte des Films - sich breitmachenden Langeweile zum Opfer.
Denn beide dieser todtragischen Schießbuden-Playboys legen null Einsichts- und Entwicklungspotenzial offen und trotten weiter unbeirrt auf dem Trampelpfad einer so anachronistischen wie stumpfsinnigen Männlichkeit. Den Schmerz an ihren Niederlagen dämpfen sie mit Alkohol statt mit Selbstreflexion.
Dieser entwicklungspsychologische Stillstand scheint aber tatsächlich auch noch der Wirklichkeit zu entsprechen, wie aktuelle Studien und Statistiken beweisen. Männer leiden länger: Sie brauchen im Schnitt vier Mal so lange, ehe sie bei einem gesundheitlichen Problem einen Arzt konsultieren. Sie finden psychotherapeutischen Beistand, selbst im Fall von Depressionen und Angststörungen, häufig noch immer unmannhaft - besser ein paar Pillen poppen, so das gängige Credo. Sie können mit drastischen Zäsuren wie einer Trennung oder dem Jobverlust viel weniger gut umgehen als Frauen. Sie verlieren nach einer Scheidung erstaunlich oft den Kontakt zu ihren Kindern.
Sie nehmen europaweit drei Mal so häufig wie Frauen den letzten Notausgang in Form von Selbstmord. Bei Single-Männern in der Midlife-Krise (die Millennials ticken da etwas anders) gehen Sex und Liebe noch immer meist getrennte Wege.
Schmalspur-Narzissten
Nur wenn sich bei solchen Schmalspur-Narzissten die Einsamkeit breitmacht, und das Gefühl, auf dem Abstellgleis gelandet zu sein, bedingt der wachsende Leidensdruck einen sachten Veränderungswillen, wie der Narzissmus-Forscher Otto Kernberg im profil-Interview erzählte.
Dennoch ist "Fikkefuchs" zwar ein sich und das Publikum erschöpfender, aber auch ein wichtiger Film, weil er als eine Art satirischer Hilfeschrei gelesen werden kann, der die Botschaft verkünden soll: "Seht doch bitte genau hin, Männer - so wie diese Typen will doch keiner von uns auch nur mehr ansatzweise sein."
Der Mann in der Krise, den Macht- und Bedeutungsverlust geschwächt und verstört haben, dessen Sperma jetzt schon online geordert werden kann und der noch immer keine klaren Koordinaten gefunden hat, wie Männlichkeit im postfeministischen Zeitalter zu definieren ist, scheint zur Zeit der Popkultur liebster Patient zu sein. "Stiffed" (deutscher Titel: "Männer - das betrogene Geschlecht"), der im Rückblick tatsächlich prophetische Abgesang auf die traditionellen männlichen Ideale und die damit verbundenen Verlustängste der amerikanischen Journalistin und Pulitzer-Preisträgerin Susan Faludi aus dem Jahr 1999, ist mit fast 20-jähriger Verspätung thematisch im europäischem Mainstream angekommen.
Die Amerikaner hatten den Krisenmann eindeutig schon viel länger am Radar: Philipp Roth und John Updike demontierten in ihren Werken seit den 1970er-Jahren den weißen Mittelstandsmann, der der Trostlosigkeit seines Daseins mit Affären und erotischen Schnellschüssen zu entkommen sucht.
Serien wie "The Sopranos", "Breaking Bad", "Californication" oder "Shameless" zeigen Männer, die den Boden unter den Füßen verlieren, aber ihre Wut und Trauer nicht zu artikulieren imstande sind und sich von ihrem Zorn gegen das ökonomische System, den Neo-Liberalismus und die emanzipierten Frauen treiben lassen.
Gibt es einen ergreifenderen Moment in der Fernsehgeschichte, als wenn der ansonsten so killerinstinktive Mobster Tony Soprano verzweifelt im Bademantel in seinem Pool steht und in Panik und Tränen ausbricht, weil seine geliebten Wildenten ihn verlassen haben?
Pionier Houellebecq
Der literarische Pionier bei der Schilderung männlicher Verzweiflung und der damit einhergehenden "emotionalen Vergletscherung" (Michael Haneke) ist in Europa der französische Schriftsteller Michel Houellebecq, der in Romanen wie "Elementarteilchen","Karte und Gebiet" und zuletzt "Unterwerfung" zu Spaziergängen durch das Katastrophengebiet der modernen Männlichkeit einlädt. Seine Protagonisten sind zerzauste Zyniker, die ihre Einsamkeit mit Fertiggerichten, Binge-Konsum von Pornos und Escort-"Schlampen" aus dem Internet zu betäuben suchen und sich mit ihrer Beziehungsunfähigkeit längst arrangiert haben.
Die französische Punkerin, Filmemacherin Ex-Putzfrau, Ex-Prostituierte und Schriftstellerin Virginie Despentes wird mit ihrem Abstiegs-Roman "Das Leben des Vernon Subutex", der im Frühherbst auf Deutsch erschienen ist, als weibliches Pendant zu Houellebecq gefeiert. Ihr Verlierer Vernon ist, so wie Fikkefuchs, ein entsorgter Leistungsschwächling, einer der unter die Räder der total digitalisierten Konsumgesellschaft gekommen ist und so agiert, wie es viele Männer in Kriegen und Krisen tun: "Im Angesicht der Katastrophe hält sich Vernon an einem Grundsatz fest: so tun, als ob nichts wäre. Er hat zugesehen wie alles den Bach runterging, erst war es wie in Zeitlupe, dann legte der Absturz an Tempo zu." Eine der Konsequenzen: "Jetzt vögelt Vernon weniger als ein Ehemann." Die wenigen Frauen, die er noch als Couchsurfer an Land ziehen kann, behandelt er schlecht: "Wie alle Männer mit einem schwachen Selbstbewusstsein."
Despentes ging es bei ihrem Roman nicht darum, der Welt etwas über den Zustand der Männer zu erzählen oder "Rache an ihnen zu nehmen", sie wollte ein Gesicht zu einem Zustand erfinden, den sie in Frankreich seit 2008 tagtäglich erlebt: "Wir befinden uns in einer kollektiven Depression." In einem profil-Interview aus dem Jahr 2012 erklärte Despentes: "Ich wurde als Prostituierte immer gut behandelt. Männer sind tatsächlich viel sensibler und verletzlicher, als man annehmen möchte und sie selbst zuzugeben bereit sind. Sie haben eine durchaus weibliche Seite."
Das Unvermögen, eine Sprache für diese Anima -Seite zu entwickeln, versperrt Männern dazu den Zugang. Eine Ansicht, die auch "Fikkefuchs"-Regisseur Jan Henrik Stahlberg teilt: "Das größte Dilemma der Männer ist, dass sie noch immer keinen direkten Zugang zu ihren emotionalen Bedürfnissen bekommen haben."
Gesellschaftssatire "The Square"
Mit viel Sinn für surrealen Witz widmet sich der schwedische Filmemacher Ruben Östlund in seiner Gesellschaftssatire "The Square" (derzeit in den österreichischen Kinos) dem Zusammenbruch eines Vorzeige-Alphatiers, dessen Charakterkostüm sehr schnell Bruchstellen aufweist, wenn es ans Eingemachte geht. Claes Bang, ein Mann mit dem Aussehen eines Aftershave-Spot-Models für Davidoff, scheint in seiner Rolle als Museumskurator Christian vordergründig einen Sechser in der Lebens-Lotterie gezogen zu haben: Er ist der Typ mit dem Superjob und der Super-Optik in einem diskursangebendem Museum für zeitgenössische Kunst in Stockholm; die Frauen auf den Sponsoren- und Opening-Partys sind ihm gegenüber naturgemäß superoffen. Doch als er zur Selbstjustiz eines Taschendiebs schreitet, der ihm Portemonnaie und Handy entwendet hat, bröckelt die Superfassade sukzessive, und es bleibt ein Mann über, der feig, narzisstisch, verantwortungslos und verwirrt ist. "Merken Sie sich von den Frauen, mit denen Sie geschlafen haben, die Vornamen?", fragt ihn Elisabeth Moss in der Rolle einer amerikanischen Reporterin. - "Ja doch, natürlich." - "Also, wie heiße ich?" Dem Dialog war eine der komischsten Sex-Szenen der jüngeren Kinogeschichte vorangegangen: Nach dem mechanischen Beischlaf zwischen Super-Christian und der Reporterin entwickelt sich ein Streit, wem danach das gebrauchte Kondom gehört. Der vordergründig so politisch-korrekte Christian entreißt es ihr mit aller Gewalt, so als ob er das letzte Spurenelement seiner Macht behalten möchte.
"Ich sehe Christian gar nicht als Protagonisten, sondern als Tier - so wie man in einem Naturfilm einen Löwen betrachten würde", sagte Regisseur Ruben Östlund in einem "Standard"-Interview. "Man kann für den Löwen aber Sympathie empfinden, selbst wenn er das Büffelkalb auffrisst."
Die Frage, wohin die Reise für diese oft zerzausten Löwen geht, egal ob bei Östlund, Despentes oder Stahlberg, wird jedoch von keinem beantwortet. Möglicherweise hat die Schriftstellerin Erica Jong in einem Jahre zurückliegenden profil-Interview darauf die Antwort gegeben, als sie sagte: "Dennoch müssen wir wieder lernen, mit den Männern zu reden. Ich kenne so viele junge Männer, die einfach nicht wissen, wie Männlichkeit zu sein hat, wo sie noch salonfähig ist beziehungsweise bekämpfenswert wird. In der Definition ihres Rollenverständnisses dürfen wir sie jetzt nicht allein lassen."