Porträt: Der Ex-Ganove und "Tatort"-Autor Peter Zingler
Langsam. Langsam. Peter Zingler sagt das oft, wenn er über sein Leben spricht. Er bremst sich selbst aus, weil ihm neue Namen, Zahlen, Details einfallen. Wie die Frankfurter Polizei eine Sonderkommission mit seinem Namen bildete; wie er als Bub Eier und Kartoffeln klaute; wie er mit 16 im Knast saß und sich sein Zellennachbar am Klappfenster strangulierte. Er kommt vom Hundertsten ins Tausendste. Er verhaspelt sich, gerät ins Stocken. "Lantsam, lantsam“, sagt er in seinem rheinischen Dialekt.
Er geht an diesem sonnigen Mittwochvormittag mit langen Schritten durch Wien. Zingler, 72, stämmig, schwarzer Hut, Dean-Martin-Song als Handyklingelton, ist geschäftlich hier, Termine. Er wirkt wie ein Cowboy, dessen Frisur auch nach einer wilden Schießerei wie eine Eins sitzt. Im rechten Ohr ein Rubin, am linken Handgelenk die Rolex. "Im Milieu bedeuten die Dinger Bonität und Liquidität“, sagt er. Ganoven legten sich keine Sparbücher an, der Erlös aus dem Pfandleihhaus reiche für die Flucht. Es sind Sätze aus seinem ersten Leben.
Unter den Autoren deutscher TV-Krimis dürfte niemand so viel Erfahrung mit dem einschlägigen Milieu haben wie er. Allein 19 " Tatort“-Drehbücher hat Zingler verfasst, einige Folgen von "Ein Fall für zwei“, etliche Romane und Erzählbände. Den renommierten Grimme-Preis erhielt er 1993 für die "Tatort“-Folge "Kinderspiel“ über Jugendbanden aus Osteuropa. "Kinderspiel“ mit Michael Janisch als Chefinspektor Fichtl ist bis heute auch der einzige "Tatort“ aus Österreich, der mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde. "Kürzlich fuhren die Münsteraner eine Rekordquote von über 14 Millionen Zuschauern ein, seit 24 Jahren die beste Quote des Formats“, sagt Zingler. "Meine, Tatort‘-Vorlage, Telefongeld‘ von 1991 war also fast ein Vierteljahrhundert lang Rekordhalter.“
Anekdoten aus der Verbrecherwelt
Wäre sein Leben ein Buch, es wäre Wirtschaftskrimi, Gerichtsreportage, Abenteuerroman, Volkstheaterstück. So dürfte auch Zingler gedacht haben, als er sich an das Schreiben seiner Autobiografie machte. Der erste, 600 Seiten starke Teil liegt jetzt vor. Der Roman "Im Tunnel“ erzählt die Geschichte seines Lebens. Paul Zakowski nennt er sich in seinem Buch, das Anekdoten und andere Hanswurstiaden aus der Verbrecherwelt aneinanderreiht, ohne dabei in die Karikatur zu verrutschen. Das Buch, dem diesen Herbst ein weiterer Band folgen soll, erzählt seine tragische, komische, kuriose Überlebensgeschichte. Zingler schreibt eine Prosa ohne Wenn und Aber. Er vermeidet jede Ausschmückung und treibt die Handlung entlang nachprüfbarer Fakten fast drehbuchartig voran. Notgedrungen fällt das Buch etwas schematisch aus. Nicht nur in Zinglers sprunghafter Art zu reden liegen unterschiedliche Dinge manchmal nah beieinander. "Im Tunnel“ schreibt er: "Vielleicht reizte ihn die Bluthochdruckzeit vor dem Einbruch, einem sexuellen Vorspiel ähnlich, die Ejakulation des Gelingens und die schöne, müdheimelige Schlaffheit danach.“
Zingler kommt 1944 in Chemnitz auf die Welt. Die Mutter gibt das Kind nach der Geburt zur Adoption frei. Ein Jahr lang lebt Peter im Kinderheim. Den Säugling mit dem damals noch jüdischen Nachnamen will niemand annehmen. Dann holt ihn die Großmutter, die er lange für seine Mutter hält, nach Köln. Seine leibliche Mutter, die sich weiterhin nicht um ihn kümmert, gibt sich als ältere Schwester aus. Mit elf erfährt er von dem Schwindel.
"Im Tunnel“ ist nicht nur Lebenschronik. Das Buch erzählt auch deutsche Nachkriegsgeschichte von unten: "Fringsen“, berichtet Zingler, nannte man im Köln nach 1945, im Deutschland der Trümmer und Schutthaufen, das Stehlen, angelehnt an einen Ausspruch des damaligen Erzbischofs Josef Frings, der den Diebstahl von Kohlen zum Zweck des Überlebens in einer Silvesterpredigt ausdrücklich gebilligt hatte.
Peter stiehlt wie ein Rabe. Mit 15 landet er zum ersten Mal im Knast. Er muss zwei Jahre absitzen. Der Richter hält ihn für einen "gefährlichen Intensivkriminellen“ und unterstellt ihm Freibeutergesinnung ohne jedes Unrechtsbewusstsein. Den Übergang vom Chaos der Nachkriegszeit in die normierte Biederkeit der Adenauer-Ära verpasst Zingler. Er ist überrascht, als ihm ein Passant links und rechts Ohrfeigen verpasst, weil er ein Fahrrad gestohlen hat. Zingler ist bereits tief in der Subkultur der Ganoven und Gauner verwurzelt; er spezialisiert sich auf das Klauen von Teppichen, Gemälden, Schmuck, Pelzen, Ami-Schlitten, fast drei Jahrzehnte lang. Er bricht in Geschäftshäuser, Wohnungen und Lager ein, es geht um Werte und Vermögen von umgerechnet mehreren Millionen Euro. Zwölf Jahre lang sitzt er in unterschiedlichen Gefängnissen ein. "Streng nach dem Gesetz waren es exakt zehn Jahre zu Recht, zwei Jahre nicht. In Bayern wurde ich verurteilt wegen eines Einbruchs, den ich nicht begangen hatte.“ Im Gefängnis wird er von einer fernen Verwandten Friedrich Nietzsches in einer Schreibwerkstätte gefördert.
"Gefängnis ist scheiße"
"Keiner sitzt im Knast und bereut“, wehrt sich Zingler gegen Verklärung und Verharmlosung. "Alle sind nur sauer, dass sie erwischt wurden. Gefängnis ist scheiße. Die Tür ist abgesperrt. Die Tage vergehen schnell, man schläft viel. Nach drei Jahren sagst du:, Neulich war ich in einem Café.‘ Aber dieses, neulich‘ ist drei Jahre her. Alles verschwindet: die Zeit, die Welt. Bevor man entlassen wird, muss man die Zeitungen studieren, um zu erfahren, was sich in der Welt alles geändert hat.“
Nur 20 Prozent der Inhaftierten seien zu Recht im Knast, sagt Zingler. "Mörder und Menschen, die andere verletzen, Erwerbskriminelle und Großbetrüger gehören hinter Gitter. Die restlichen 80 Prozent, die einsitzen, sind einfach nur lebensunfähig. Das ist Füllmasse, die kriegen das Leben nicht gebacken. Du hörst ihre Geschichten im Gefängnis und denkst, die haben eine große Bank überfallen. In Wirklichkeit haben sie einer alten Oma die Tasche geklaut. Diesen menschlichen Abfall braucht aber die Gesellschaft, damit sie das Gefühl hat, dass es immer jemanden gibt, der unter ihr steht.“
Peter Zingler ist auch ein Mann, der auf seinem Penis eine Tätowierung trägt, ein Maßband von 16 Zentimetern. Er spricht auch darüber völlig unbefangen. Die Unterarme sind vernarbt, hier ließ er sich die Tattoos entfernen, Seemannszeug, Schwerter, Schlangen. "Mit der Asche von verbrannten Schuhabsätzen, gemischt mit Eigenurin, tätowierten wir. Gestochen haben wir die Bilder mit zwei zusammengebundenen Nähnadeln.“
Zinglers Mitinsassen zahlten mit Zigaretten für seine erotischen Erzählungen. Seine Geschichten schickte er, wie das damals hieß, an "Herrenmagazine“. Für vier Seiten Knastliteratur bot "Lui“ umgerechnet 900 Euro, "Penthouse“ zahlte 1000, der "Playboy“ überwies 1700 Euro. Zingler wurde Schriftsteller, als er merkte, dass sich Schreiben auszahlte. Die 1980er-Jahre boten Typen wie ihm auch ein ideales Umfeld. Resozialisierung war das Gebot der Stunde, die intellektuelle Community war hingerissen von Knastpoeten wie Zingler in Deutschland und Jack Unterweger in Österreich.
Unterweger erhängte sich mit der Kordel seiner Jogginghose in der Zelle. "Wie mit Unterweger umgegangen wurde, war radikal und brutal“, sagt Zingler. "Ein Konglomerat aus Justiz, Polizei und Boulevard hat ihn fertiggemacht, er hatte keine Chance. Ich will ihn keineswegs unschuldig machen, er war ein schräger Typ, der eine frühe Freundin nachweislich bestialisch ermordet hatte.“
Zingler schaffte den Ausstieg. "Notizen aus der Mülltonne“, so hieß sein erstes Buch mit Geschichten zum Strafvollzug. Bis heute mustert er die Alarmvorrichtungen an Teppichgeschäften, den Einbruchschutz von Juwelieren, auch auf dem Weg durch Wien. Er erkundet das Terrain. "Probiert habe ich bestimmt 500 große Brüche, geklappt haben 150.“ Zingler kokettiert gern mit seiner Vergangenheit. Es gibt viele Fotos, auf denen er mit einer Maschinenpistole zu sehen ist. "Einer amerikanischen M3, einer sogenannten grease gun, zu deutsch Fettpresse“, präzisiert er kennerisch.
"Gesamte Existenz vernichtet"
In die Mühlen der Justiz geriet er ohne Ende. Sein Name tauchte 1969 auf der Liste der Verdächtigen des Soldatenmords von Lebach auf, der damals Deutschland erschütterte. "Ich war die Spur 139, und ich wurde tagelang festgehalten, ohne einen Richter zu sehen“, sagt er. "Ich habe denen gleich gesagt, dass kein Berufskrimineller Soldaten umbringt, um an Waffen und Munition zu kommen. Obwohl sie mich bald freilassen mussten, war meine gesamte Existenz vernichtet. Und ich war selbstständig, hatte mir eben eine Firma in der Brauereiwerbung aufgebaut, mir ging es damals sehr gut. Ich wäre nicht mehr straffällig geworden. Niemand wollte nach der Verdächtigung aber mehr etwas mit mir zu tun haben.“
"Im Tunnel“ endet 1980 mit der Flucht des Helden vor Strafverfolgung nach Jamaika. Bald sollte er, der Sonne und der Sandstrände überdrüssig, nach Deutschland zurückkehren und die Reststrafe absitzen. 1985 entkam Zingler der Welt der Gefängniszellen und den Fängen des Strafrechts endgültig, seit damals arbeitet er als Drehbuchautor, Journalist, Schriftsteller und Regisseur. Die Zingler-Chronik von 1980 bis in die Gegenwart wird in der "Tunnel“-Fortsetzung weitergeführt. Der Band soll von seinem zweiten Leben erzählen.
Das bürgerliche Trauerspiel der Normalität ist ihm bis heute suspekt. Zingler hat sechs Kinder von vier Frauen, zwölf Enkel und fünf Urenkel. Zwei Mal im Jahr arrangiert die erweiterte Großfamilie Treffen. Allzu nahe Kontakte meidet er. "Meine Kinder haben nichts mit Kriminalität, nichts mit Schreiben zu tun. Sie leben völlig solide. Ich wundere mich ja auch.“ Kürzlich beim Familientreffen in einem Kölner Brauhaus genehmigte sich der 15-köpfige Clan gezählte 255 Kölsch. "Auf dem Bahnhof bin ich dann auf die Fresse gefallen“, erinnert er sich.
Über seine Vergangenheit spricht er nicht routiniert und gelangweilt, wie ein Autor, der zu lange mit demselben Buch auf Lesereise war. Expertentum ist ihm verdächtig. In Talkshows ist er ein unberechenbarer Gast. Dem bayrischen Innenminister hielt er im Fernsehen vor, dass der Politiker vielleicht der Hübscheste des Kabinetts sei, von der politischen Materie aber keine Ahnung habe. Günther Jauch hat Zingler ein- und wieder ausgeladen.
Seine Wanderjahre als Krimineller dienen ihm als Hilfsmittel, die Welt zu sortieren. "Ich bin nie so oft belogen und betrogen worden wie später in meinem bürgerlichen Leben. In dem Milieu, in dem ich mich herumtrieb, zählt Zuverlässigkeit, weil Fehler von der Polizei bestraft wurden. Es gibt tatsächlich so etwas wie Ganovenehre. Früher telefonierte ich mit meinem Hamburger Kumpel Kalle:, Hör mal, Kalle, ich habe Lederjacken für 60.000. Ich will 20.000 dafür.‘ Er wusste dann, dass meine Infos stimmten, ich konnte sicher sein, dass er das Geld hatte.“
Heute rufe er einen TV-Redakteur an, um mit ihm neue Ideen zu besprechen, und bekomme mitgeteilt, dass er bald zurückgerufen werde. "Ich habe viel geklaut. Ich habe alles verkauft, aber kein einziges Mal an Einbrecher, sondern immer an Leute, die sich nicht zum Milieu zählten. Einmal stahl ich 80 Farbfernseher, originalverpackt, 2000 Mark das Stück. An einem einzigen Tag verkaufte ich auf einem Flohmarkt in Limburg alle Apparate, 300 Mark pro Gerät. Jeder wusste, das konnte nur heiße Ware sein. Dennoch rissen sich alle darum.“
Er romantisiert seine Vergangenheit nicht. "Es gibt keine kriminelle Energie, es gibt nur Energie.“ Er macht aus seiner Zeit als Ganove keine Heldengeschichte. "Ich war gerne Erwerbskrimineller. Ich habe gesessen, ich verdanke dem viel. Ich bereue nichts.“
Zingler kommt an einer Ampel zum Stehen. Neben ihm Erwachsene mit Kindern an der Hand. Er schaut nach links, nach rechts und geht bei Rot über die Straße.
Peter Zingler: Im Tunnel. Roman in zwei Teilen. Frankfurter Verlagsanstalt, 572 S., EUR 20,50