Dass wir im Café Caché in Wien-Fünfhaus sitzen, ist schon eine Art erstes Mission Statement. Das Caché sieht nämlich genau so aus wie das Vorstadtcafé, das es viele Jahre lang war. Das ist durchaus Absicht und im Moment ein Trend im gehobenen Hipster-Segment und deren Vereinslokalen: in der „Rosebar Centrala“ im Zwanzigsten sieht es genauso aus wie im „Brösl“ im Zweiten oder im „Rosi“ unterhalb des Westbahnhofs. „Ich liebe tolle Restaurants. Aber ich mag auch das“, sagt Muhr: „In den 90er- und 2000er-Jahren musste man sehr viel in Innenarchitektur investieren, wollte man ein neues Lokal eröffnen. Heute ermöglicht der Shabby Chic, dass junge Leute ohne Kapital in die Gastro einsteigen können. Und dass sich junge Gäste den Besuch auch leisten können.“
Wichtig sei, dass das Essen passt, und das ist im Café Caché definitiv der Fall. Vor allem abends fährt Lisa Machian großartige Gerichte aus der Küche, die französisch und ein bisschen asiatisch inspiriert sind und sich sehr gut auf Instagram machen. Die Mittagsteller können da nicht ganz mithalten, weder kulinarisch noch optisch, sind aber mit 13,50 Euro preislich an die Umgebung angepasst.
Wir bekommen die Weine, und ich bin froh, dass ich kein Soda geordert habe. Wobei, wenn ich Muhr zuhöre, dann oute ich mich dadurch wohl als alter Sack. „Die Menschen trinken weniger, vor allem die jüngeren“, sagt sie. Trinken sei ein klares Zeichen fürs Boomer-Sein: „Den Jüngeren geht es um Gesundheit, das ist ja auch beim Essen so.“ Um bis zu 30 Prozent wird der Alkoholkonsum zurückgehen, sagen Prognosen. Es sei ein Lifestyle-Phänomen, meint sie, dahinter stehen aber auch Lobbyinteressen: „Das ist eine politische Sache. Aus den USA kommen groß angelegte Kampagnen gegen Alkohol, der Soberismus dort kommt aus der gleichen Ecke wie die Abtreibungsgegner. Das sind Menschen mit guten Verbindungen und sehr viel Geld.“
Ob und wie man dagegen ankommt?
Muhr lehnt sich zurück und erzählt vom Zyklus des Weintrinkens. Sie erzählt, dass die 1980er- und 1990er-Jahre „den Wein demokratisiert haben. Da anspruchsvoller Wein davor nur etwas für eine Elite war, haben sich auch Journalisten und Werber über Weine definiert. Sie kannten sich aus, haben daraus ein Lifestyle-Produkt gemacht. Das hat einige Winzer richtig groß gemacht.“ Wein sei plötzlich ein Statussymbol gewesen, eine Sache für Aufsteiger, das habe auch sehr viele Selbstdarsteller produziert. Die Gegenbewegung seien dann die Natural-Weine gewesen, „weil dann auf einmal wieder alles Handarbeit sein musste“. Natural wird jetzt gerade von den alkoholfreien Weinen abgelöst („was auch ein bisschen komisch ist, denn das sind teils komplette Industrieprodukte“). Was danach kommt? Muhr schmunzelt. „Weine, die in erster Linie gut schmecken und dann nebenbei auch noch biodynamisch sind. Die Zeit, in der ein Wein in erster Linie nach Biodynamik schmecken musste, ist Gott sei Dank vorbei.“
Dorli Muhr ist eine tolle Erzählerin. Wir reden übers Unternehmersein („Du brauchst eine Vision, die du dann Realität werden lässt“), wir reden über die Spitzengastronomie („Den preislichen Unterschied macht nicht so sehr aus, woher deine Austern kommen, sondern dass du 25 Mitarbeiter brauchst, um 18 Gäste zu bekochen“) und landen bei der Frage, wie KI den Weinbau revolutionieren wird. Muhr erzählt von speziellen Brillen, die selbst völligen Laien anzeigen, wo sie die Rebstöcke schneiden sollen – etwas, für das man bislang jede Menge Expertise benötigt hat. Es ist eine faszinierende und doch ein bisschen bedrohliche Welt, die sie da in wenigen Minuten in den Raum wirft.
„Am Ende brauchen wir das alles wegen des Klimawandels“, sagt Muhr jetzt. Wir haben mehr oder weniger aufgegessen, unsere Gläser sind noch halbvoll. „Schon 2024 hatten wir bei der Ernte solche Hitzewellen, dass alles sehr schnell gehen musste. In südlichen Ländern wie Australien oder auch Spanien wird heute schon in der Nacht geerntet. Einerseits, um die Mitarbeiter zu schonen, aber vor allem deshalb, weil die Trauben sonst einfach zu heiß sind, wenn sie ins Weingut kommen.“ Der Klimawandel werde den Wein massiv verändern, meint Muhr: Die Winzer müssen die Weingärten anders bearbeiten, und dann wird es auch noch andere Sorten geben. „Vielleicht gibt es in 70 Jahren in Österreich noch Grünen Veltliner. Aber wenn, dann wird er anders schmecken. Stattdessen werden wir im Weinviertel Syrah haben.“ Derzeit kommt der vor allem aus Australien, Südafrika und Frankreich.
90 Minuten sind vergangen, seit Muhr mit ihrer Keynote begonnen hat, ihr Telefon hat in der Zwischenzeit mehrmals geklingelt, die Mitarbeiter:innen ihrer Agentur brauchen sie. Wir trinken einen Espresso, dann muss sie los. Einen Gedanken gibt sie mir noch mit auf den Weg: „Je digitaler die Welt wird, desto mehr sehnen wir uns nach analogen Ereignissen. Eine Weinverkostung ist so ein analoges Ereignis, wir machen da etwas gemeinsam in einer Gruppe, und das setzt Oxytocin frei. Eine Anti-Alkohol-Kampagne wird das einfach nie verstehen.“