Ronaldos letzter Tanz
Apropos Ronaldo. Der ist, trotz seiner 39 Jahre, wie aus dem Wachsfigurenkabinett entsprungen: rasierte Schläfen, gezupfte Augenbrauen, gemachte Zähne. Und dann erst sein nie ermüdender Ehrgeiz. Ronaldo war Europameister, Weltfußballer – er ist der größte Star der Branche. Aber auf dem Platz giert er nach Toren, als hätte er noch nicht mal einen Juxkick unter Freunden gewonnen. Das Spiel der Portugiesen drehte sich nicht um Siege, sondern um Ronaldo, der auf der Weltbühne unbedingt mit Zählbarem abtreten wollte; also mit Toren. Das Problem: Es wollte und wollte keines gelingen. Er schoss vorbei und drüber. Ronaldo wurde immer zermürbter. Und seine Mitspieler nervöser. Ein alternder Mann, der nicht altern will – es war schwer mitanzusehen. Im Viertelfinale war dann endlich Schluss mit der Quälerei. Was von Ronaldo bleiben wird? Ein Mann, der in ärmlichen Verhältnissen aufwuchs, es zum Fußballmilliardär brachte und dennoch (neben saftigen Gehältern in Saudi-Arabien) immer nur eines wollte: Tore. Dafür schuftet und kasteit er sich bis heute. Nach einem Champions-League-Triumph soll er einen Mitspieler einst gefragt haben, ob er an dessen Cola nippen dürfe. Warum er sich denn keine eigene bestelle? Ein Schluck genüge ihm, so Ronaldo, um gebührend zu feiern. Bei der EM gab es keinen Grund für das Siegerschlückchen – nicht mal ein Tor ist ihm gelungen. Als Vorbild taugt er dennoch: für all jene Burschen, die schon nach zwei Bundesligapartien die Sektkorken knallen lassen.
Zeit der Wölfe
Männer und eine EM. Das sorgt für Zündstoff. Der Türke Merih Demiral etwa zeigte auf dem Spielfeld den Wolfsgruß, eine rechtsextreme, nationalistische Geste. Die UEFA sperrte ihn, was zur Folge hatte, dass Zehntausende türkische Fans den Wolfsgruß demonstrierten. Es gibt ihn also noch: den echten Mann, der sich an keine modernen Gepflogenheiten hält. Der Engländer Jude Bellingham deutete nach einem Tor den Griff an sein Gemächt an. Seht her: Ich hab Eier! Die UEFA verhängte für den „Eier-Jubel“, wie der Boulevard titelte, eine Bewährungsstrafe. Eine Frage konnte auch die EM nicht restlos klären: Wann ist ein Mann ein Mann? Weinend, grapschend, grätschend? Eine Grätsche vollführte ein besonders eifriger Security, der einen spanischen Spieler vor einem Flitzer beschützen wollte. Als Problem erwies sich seine Treffsicherheit. Der Ordner war zwar auf den Flitzer zugegrätscht, traf aber Álvaro Morata, der daraufhin zum Siegerfoto humpeln musste.
Hot or not: Dramen und brave Langeweile
Der Fußballkonsument wird anspruchsvoller. Vor Jahrzehnten genügten biedere Partien, fast wie in Zeitlupe. Fußball war da noch ein Sport für rustikale Männer, die anderen rustikalen Männern dabei zusahen, wie sie den Ball mehr traten als spielten. In der Moderne, das zeigt die EM, kommt man damit nicht mehr durch. Auf Public Viewings suchen die Menschen Unterhaltung. Und die bieten vor allem die Spanier. Zum großen Langweiler avancierte Frankreich – trotz seiner fantastischen Spieler. Sie könnten tänzeln, zaubern, stürmen – doch sie verteidigten bloß und taten gerade das Notwendigste. Frankreich-Partien wirkten wie Bob-Dylan-Konzerte; es gäbe zwar tolle Melodien, aber sie werden nur gekrächzt. Irgendwie ärgerlich. Frankreich schaffte es dennoch (mit nur drei Treffern, darunter ein Eigentor und ein Elfer) unter die vier besten Teams. Einem schwedischen Reporter reichte es dennoch. Vor dem Halbfinale fragte er den französischen Teamchef Didier Deschamps, weshalb sein Team so „langweiligen Fußball“ spiele. „Hör zu“, antwortete Deschamps, „wenn du dich langweilst, kannst du dir etwas anderes ansehen.“ Im Halbfinale traf Frankreich auf Spanien, das von allen Teams am meisten überzeugt hatte: mit Spielwitz, Kampfgeist und jedem erdenklichen Unterhaltungstrallala. Das Spiel wurde zum Duell zwischen hot or not. Am Ende siegten die schön spielenden Spanier – und Frankreich schied aus. Eine sportliche Schmach, aber der schwedische Reporter kann nun endlich etwas anderes ansehen.
Prohaskas Husten gegen Servus-Roboter
ServusTV hatte erstmals die Übertragungsrechte für die EM erworben – und gab dem ORF nur häppchenweise Partien ab. Der Deal spiegelte sich stimmungsmäßig in den TV-Studios wider. ORF-Experte Herbert Prohaska analysierte nun griesgrämig Ladenhüter wie Ungarn gegen Schweiz, während ServusTV die Leckerbissen übertrug. Vor Österreich gegen Frankreich stimmten Prohaska und Co. noch zur Primetime die Zuschauer auf den Schlager ein – um dann mit Anpfiff eine „Simpl Revue“ zu zeigen. Im Land wurde diskutiert, wer denn seine Sache nun besser mache: der private Sender oder die öffentlich-rechtliche Anstalt. Nun ja. Geschmackssache. Beim Mateschitz-Sender wirken alle wie in Red Bull gebadet: etwas im Zuckerrausch. Die TV-Experten Jan Åge Fjørtoft (ein Norweger) und Steffen Freund (ein Deutscher) versuchen das Publikum mit aller Gewalt zu unterhalten: Sie reißen Witze, schreien, lachen, springen ansatzlos auf. Der ORF setzt auf Bewährtes: Prohaska schaut müde, Rainer Pariasek verspricht sich, Roman Mählich versucht zu retten, was zu retten ist. ServusTV hat die Ambition, eine durchkomponierte Fußballoper zu übertragen: Reporter im Stadion, Stimmung im Studio, Versprecher sind wohl verboten, jedenfalls kommen sie nicht vor. Es hat etwas Roboterhaftes aus einer nicht ganz echten Welt, in die man hier eintaucht. Nichts passiert zufällig, alles scheint einstudiert und inszeniert.
Beim ORF kommt es noch zu authentischen Hustenanfällen von Prohaska, die je nach Länge des Gehustes von seinen Kollegen mit Gelächter begleitet werden. Das mag nicht nach perfektem Fernsehen klingen – es ist irgendwie trotzdem schön.