Björn Süfke

Männerberater Süfke: "Da müssen wir den Finger auf die Wunde legen"

Björn Süfke ist Psychologe und Buchautor mit dem Schwerpunkt Männerseelen. Ein Gespräch über Gewalttäter, Unrechtsbewusstsein und die Abwehr von Gefühlen.

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Das folgende Interview ist Teil unserer Titelgeschichte "#MeToo-Debatte: Was bleibt vom Mann" der Ausgabe Nr. 13/18.

INTERVIEW: ANGELIKA HAGER

profil: Herr Süfke, Ihr Spezialgebiet sind Männer. Hat die #Me-Too-Bewegung sich auf Ihren Zulauf ausgewirkt? Süfke: Nein. Denn die Männer, die Gewalt ausgeübt haben, kommen meist wegen Gerichtsauflagen oder eines Ultimatums Ihrer Partnerin - in den allerwenigsten Fällen freiwillig.

profil: Verunsicherung bezüglich des männlichen Selbstverständnisses ist kein Motiv, um bei Ihnen Hilfe zu suchen? Süfke: Nein. Da müssten wir seit zehn, 15 Jahren einen erhöhten Zulauf bemerken. Und den haben wir nicht. Denn so lange ist ja männliche Gewalt ein gesellschaftspolitisches Thema und mindestens ebenso lange sind Männer durch die Frauenbewegung mit neuen Anforderungen bezüglich ihres Rollenbilds konfrontiert.

profil: Im Zuge einer profil-Reportage habe ich mehrere Interviews mit Männern in Gefängnissen geführt, die wegen häuslicher Gewalttaten inhaftiert waren. Die Sätze, die man am meisten zu hören bekam, waren: "Ich wusste mir nicht mehr anders zu helfen" oder "Ich bin an der Wand gestanden". Ist tatsächlich dieses Gefühl der Ohnmacht der häufigste Auslöser für Gewalttaten? Süfke: Vorweg: Ich bin überzeugt, dass der Großteil aller Gewalttäter keinen Spaß an ihren Handlungen empfindet. Die leiden darunter. Richtige Soziopathen, wie wir sie aus den Krimis kennen, machen einen minimalen Prozentsatz aus. Und wenn ein Mann erklärt, dass er aus einem Gefühl der Ohnmacht oder Demütigung gehandelt hat, ist er ohnehin schon weit. Dann ist er in der Selbstreflexion und entwickelt auch ein Unrechtsbewusstsein. Dann muss man mit ihm oft nur noch daran arbeiten, funktionale Bewältigungsstrategien zu entwickeln, wie er mit diesem Gefühl umzugehen lernt.

profil: Wie sehen solche Strategien aus? Süfke: Zum Beispiel reden. Aber natürlich benutzen viele Männer, ich würde einmal sagen, die Hälfte bis ein Drittel, erst einmal Abwehrstrategien, um sich zu rechtfertigen und die Schuld bei den anderen zu suchen. Da arbeiten wir zum Beispiel mit dem Verfassen eines Briefs an das Opfer. Aber natürlich ist das alles andere als ein Wohlfühlprogramm. Oft werden dann die Therapien auch abgebrochen, denn schließlich wird man dabei mit viel Ekeligem in sich selbst konfrontiert.

Die Konsequenzen von Computer- und Internetsucht werden uns die nächsten zehn Jahre erheblich beschäftigen.

profil: Harvey Weinstein rechtfertigte seinen serisierten Missbrauch mit seinen "inneren Dämonen" und pathologisierte sein Verhalten als Sexsucht. Ein Erklärungsmodell für diese Sexsucht, deren Existenz ja wissenschaftlich umstritten wird, ist, dass solche Männer ihre innere Leere mit einem solchen Verhalten zudecken. Süfke: Das ist ein psychoanalytischer Ansatz, der durchaus seine Berechtigung hat. Etwas nüchterner formuliert: Sexsucht dient wie andere Süchte auch dazu, irgendetwas in sich abzuwehren. Durch ihre gefühlsfeindliche Sozialisation ist Männern der Zugang zu ihren Gefühlen sowieso erschwert. Deswegen sind sie auch weitaus anfälliger für jede Form von Suchtverhalten. Denn dadurch kann man auf - ironisch gesagt - wunderbare Art und Weise Gefühle wie Trauer, Schuld oder eben eine innere Leere abwehren. Gesellschaftlich anerkannte Suchtmedien wie Sex, Arbeit oder das Internet, die noch dazu leicht zugänglich sind, eignen sich hervorragend dazu, die eigenen Gefühle unten zu halten. Nach einer Stunde Zocken am Computer fühlen Sie gar nichts mehr.

profil: Das Internet führt ja auch zur sozialen Vereinsamung und Isolation. Statistisch betrachtet, dürften Männer da weitaus mehr gefährdet sein als Frauen. Süfke: Die Konsequenzen von Computer- und Internetsucht werden uns die nächsten zehn Jahre erheblich beschäftigen. Aus der Perspektive eines Männerexperten nehme ich diese Entwicklungen sehr, sehr ernst. Heute kann man ein scheinbar ausgefülltes Leben führen, ohne dabei sein Haus verlassen zu müssen. Dass diese Lebensform durchaus als sozial verträglich angesehen wird, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Männer in diese Vereinsamung geraten und ohne soziale Kontakte, die die Voraussetzungen für Austausch und Bindungen sind, bleiben. Sie glauben gar nicht, wie oft mir in meiner Praxis Männer um die 50 nach einem Erstgespräch den Satz sagen: "Darüber habe ich noch nie mit jemandem geredet." Und ich rede nicht von psychisch gestörten Männern. Manche von denen sind sogar auch noch seit über 30 Jahren verheiratet.

profil: Ist diese Unfähigkeit, seine Innenwelten zu artikulieren, nicht auch eine Bildungsfrage? Süfke: Ich beobachte, dass Männer aus bildungsfernen Schichten eher funktionierende Partnerschaften haben als Akademiker. Die leiden meiner Meinung nach mehr an der unserer Sozialisation innewohnenden Tendenz, alleine klarkommen zu müssen.

Ein amerikanischer Forscher sagte einmal: Männlichkeit ist toxisch. Und ein deutscher meinte: Männlichkeit kann einen auch umbringen. Das ist auch meine Ansicht.

profil: Mir fällt zunehmend auf, dass auch in Paarbeziehungen meistens die Frauen die Funktion des Außenministeriums übernehmen und prinzipiell, was die Pflege von Freundschaften betrifft, weitaus aktiver und auch bedürftiger sind. Süfke: Das beobachte ich auch in meinem Praxisalltag. Viele Männer haben mit 40, 50 Jahren gar keine engen Freundschaften mehr, oft haben sie die schon im Alter zwischen 20 und 30 verloren. Das hat mit der Entfremdung von den eigenen Gefühlen zu tun. Gefühle sind ja auch die Grundlage für soziale Beziehungen. Und wenn ich keine verspüre - was aber nicht heißt, dass die nicht da sind -, habe ich ja auch keine Motivation, keine Triebfeder. Ohne Wunsch keine Handlung. Hilfe zu holen, egal ob bei einem Freund oder einem Therapeuten, ist für viele Männer noch ein absolutes Schwächeeingeständnis.

profil: Erklärt das auch die weitaus höhere Selbstmordrate bei Männern? Süfke: Ja. Besonders bei Männern um die 70 Jahre ist die Suizidrate neun Mal so hoch wie bei Frauen. Studien belegen auch, dass Männer dieser Altersgruppe weitaus anfälliger sind für Depressionen. Und wenn die Partnerinnen früher sterben, folgen ihnen die Männer, statistisch erwiesen, extrem schnell nach. Ein amerikanischer Forscher sagte einmal: Männlichkeit ist toxisch. Und ein deutscher meinte: Männlichkeit kann einen auch umbringen. Das ist auch meine Ansicht.

profil: Was sind denn die häufigsten Ursachen, warum Männer zu Ihnen in die Praxis kommen? Süfke: Wir haben das nicht statistisch untersucht. Großteils sind es aber Gewalttäter, die, wie schon erwähnt, eben nicht aus eigenem Antrieb kommen. Aber bei denen, die freiwillig kommen, nehmen Probleme in der Partnerschaft einen hohen Stellenwert ein. Da geht es um Entscheidungskonflikte, Fremdgehen, die Schwierigkeiten in der Kinderphase oder Trennungen. Nach Trennungen fallen Männer oft in ein tiefes Loch.

profil: Ein Phänomen, von dem Scheidungsanwälte oft berichten, ist, dass von Frauen betriebene Trennungen für die Männer völlig überraschend kommen. Weil sie die Signale nicht sehen wollen? Süfke: Damit unterstellen Sie ja einen bewussten Vorgang. Ich würde eher sagen: Nicht sehen dürfen. Denn sie haben sich ja abgewöhnt, sich mit ihren Gefühlen zu beschäftigen. Es wurde ihnen früh antrainiert, sie abzuwehren. Deswegen begegnen sie auch den Signalen ihrer Partnerin und deren Gefühlsäußerungen mit einer gewissen Hilflosigkeit und sind nicht in der Lage, die zu deuten. So kommen Trennungen für sie tatsächlich häufig völlig überraschend.

Ein erfolgloser Mann gilt bei vielen Frauen als totaler Versager und Weichei.

profil: Ist die Arbeit mit Männern anders als mit Frauen? Süfke: Auf jeden Fall. Männer brauchen mehr Unterstützung bei dem, was die Voraussetzung für eine Therapie ist: die Kontaktaufnahme zum eigenen Inneren. Das gängige therapeutische Vorgehen ist frauenzentriert, weil es zu viel voraussetzt. Mein Ansatz ist eine liebevolle Konfrontation, in der Gefühle und Verhaltensweisen deutlicher gespiegelt werden müssen.

profil: Brauchen Männer nicht vor allem Lösungen? Süfke: Dieser Ansatz gehört einmal ausgebremst. Denn man muss zuerst einmal das Problem verstehen lernen, bevor man sich mit der Lösung beschäftigen kann.

profil: Sind die Anforderungen, die die postemanzipatorische Frau an den Mann stellt, nicht auch überfordernd: Einerseits wollen wir den empathischen, liebevollen Mann, der uns auf Augenhöhe begegnet, andererseits hängen wir noch an einem tradierten Männlichkeitsverständnis. Ein erfolgloser Mann gilt bei vielen Frauen als totaler Versager und Weichei. Süfke: Ich teile diese Analyse und spreche in meinen Vorträgen viel von der modernen Doppelanforderung. Aber ich widerspreche, dass Frauen von Männern zu viel wollen. Zu wenig von jemandem zu fordern, das ist für mich auch ein Zeichen der Missachtung, des Nicht-ernst-Nehmens. Mir bereitet es eher Sorgen, dass Frauen zu niedrige Erwartungshaltungen gegenüber Männern haben, ihnen zu wenig zutrauen. Wenn man ihnen zuhört, sprechen sie manchmal über ihre Männer wie über Kinder.

profil: Wo schlägt sich denn dieser Misstrauensvorschuss am häufigsten nieder? Süfke: In seiner extremsten Form beobachte ich das bei der Vaterschaft. Die Mutter hat gegenüber dem Vater immer noch die Hoheit. Das kommt einer massiven Abwertung gleich. Wenn Männer ihre Kinder wickeln, wird ihnen dabei immer noch argwöhnisch über die Schulter geschaut. Und in offiziellen Broschüren, die von Pädagogen erstellt werden, liest man so erschreckende Ratschläge wie: "Lassen Sie den Vater doch auch ruhig einmal zwei Stunden mit dem Kind allein." Und noch schockierender ist, dass Männer das auch noch kommentarlos hinnehmen. Genauso wie Frauen hinnehmen, dass sie angeblich schlechter in Mathematik sind. Bei beiden Geschlechtern wird noch viel zu viel gekuscht und in den tradierten Rollenvorstellungen verharrt. Da müssen wir schon was tun, da müssen wir den Finger auf die Wunde legen.

profil: Ist das nicht auch eine Frage der Aufgeklärtheit und Bildung? Süfke: Viele Studien sagen, dass die gebildeten Schichten ihre Kinder nicht weniger stereotyp erziehen als andere. Der einzige Unterschied besteht darin, dass sie es nicht wahrhaben wollen. Aber natürlich ist es schmerzhaft, sich das einzugestehen, obwohl man sich doch für so aufgeklärt hält.

profil: In der Pädagogik wird seit nunmehr 15 Jahren über die sogenannte Bubenkrise geklagt. Süfke: Die alles andere als ein Mythos ist.

profil: Als Hauptgrund wird die Absenz von männlichen Identifikationsfiguren ins Treffen geführt - durch Scheidungen, in der Schule und den Betreuungsstätten. Süfke: Aber auch ein Vater, der zwar im Haus ist, aber keine emotionale Präsenz hat, kann zu einer Lücke werden. Und seinem Sohn Gefühlsfeindlichkeit antrainieren.

profil: Und eine Mutter kann diese Defizite nicht abfedern? Süfke: Das Fehlen einer männlichen Identifikationsfigur kann bei einem Buben keine Mutter aufwiegen, und da kann sie sich noch so oft den Mund fusselig reden und ihm signalisieren: Es ist völlig okay, wenn du Probleme hast. Wirklich hilfreich ist da ein emotional präsenter Mann, der auch nicht der leibliche Vater sein muss und genauso der Großvater oder der neue Lebensgefährte der Mutter sein kann. Einer, der dem Kind Sätze sagt wie: "Das kenne ich. Davor habe ich auch schon Angst gehabt."

Björn Süfke ist Psychologe im deutschen Bielefeld. In seiner Arbeit konzentriert sich der Vater von drei Kindern ausschließlich auf Männer, hält zu den Themen Männer, ihre seelischen Zustände und die neue Definition von Männlichkeit in ganz Deutschland Vorträge und hat zahlreiche Bücher publiziert. Zuletzt "Männer. Erfindet. Euch. Neu." und "Männerseelen -ein psychologischer Reiseführer." Auf seiner Website maenner-therapie.de können viele seiner Vorträge und Seminare nachgelesen werden.

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort