Mensch des Jahres

Ralf Rangnick ist der profil-Mensch des Jahres

Der deutsche Startrainer Ralf Rangnick hat Österreichs Fußball von seinem Lachnummerndasein befreit, dem Land trotz eines Millionenangebots die Treue gehalten – und ist mit sehr unösterreichischen Tugenden zum Nationalhelden geworden. Aber auch zum Feindbild. Begegnung mit dem profil-Menschen des Jahres.

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Der Schlossherr steht diensteifrig neben Ralf Rangnick und hält nach einem ruhigen Interviewort Ausschau. Die Bibliothek im Obergeschoss wäre doch geeignet? Rangnick winkt ab. Er hat Hunger. In zwei Stunden soll er – der Ex-Trainer des FC Manchester United und aktuelle Nationaltrainer Österreichs – hier im Schlosshotel Mondsee vor Wirtschaftstreibenden auftreten. Höchste Zeit, um schnell noch einen Happen zu essen. Im Hotelfoyer tummeln sich schon die Gäste: Herren in eleganten Wollmänteln und Damen in Abendrobe. Die einstige Außenministerin Benita Ferrero-Waldner ist da. Aber der Schlossherr hat nur Augen für den hungrigen Rangnick. Wo könnte der Mann ungestört essen? Er blickt hektisch nach links und rechts, trabt los, vorbei an prunkvollen Spiegeln und Hirschgeweihen. Da ist die Bar. Aber die hat zu. Also weiter über verzweigte Gänge und rote Teppiche, hinunter in den Weinkeller. Doch hier riecht es intensiv nach Chlor. Rangnick rümpft die Nase. Man könne das Essen auch in der Bibliothek servieren, schlägt der Hausherr vor. Nein, nein, viel zu kompliziert, erklärt Rangnick und übernimmt das Kommando. Da vorn sei doch das Hotel-Restaurant, warum nicht einfach hierhin. Rangnick zieht das Tempo an. Viele Tische sind leer, da hinten sei man doch ungestört, sagt er und nimmt Platz.

Auf diese Weise verläuft Rangnicks Mission im Land ganz prinzipiell: Er zeigt den Österreichern, wo’s langgeht. Als der Schwabe im Jahr 2022 hier aufschlug, deutete er entsetzt auf die Fußball-Weltrangliste. Platz 34? Hinter Iran und Südkorea? Rangnick stutzte öffentlich: „Ich weiß nicht, ob das so sein muss.“

Deutsche Besserwisserei gewinnt in Österreich in der Regel keinen Beliebtheitspreis. Doch in diesem Fall ist das anders. Rangnick will den ÖFB umkrempeln – dieses ewige Sorgenkind der Republik, das für Fußballpleiten und Freunderlwirtschaft steht. Damit steht er im Fokus. Am Erfolg der Nationalmannschaft hängt das Selbstwertgefühl (mindestens) der halben Nation. Mit unösterreichischen Eigenschaften mischt Rangnick den Laden auf. Das Nationalteam hat er bereits in ein Schwergewicht verwandelt, das neuerdings Kaliber wie Deutschland, Italien und die Niederlande besiegt – und europaweit für seinen mutigen Spielstil bewundert wird. Doch damit nicht genug. Rangnick legt sich zunehmend auch mit dem behäbigen Verband an – und dem zähen ÖFB-Filz, seinen Landesfürsten und Machtspielern.

Das ist die Geschichte eines Trainers von Weltruf, der Millionen sausen ließ, um den ewigen Außenseiter Österreich auf Vordermann zu bringen – und so zum Nationalhelden wurde. Aber auch zum Feindbild.

Ein Freitag Ende November, kurz vor 14 Uhr: In Mondsee herrscht vorweihnachtliche Stimmung, Christbäume leuchten, vor dem Schloss werden Punsch und Nüsse feilgeboten; ein Kinderchor singt besinnliche Lieder. Drinnen, im nahezu leeren Hotel-Restaurant, sitzt Rangnick, schwarzes Langarmshirt, schwarze Sneaker, und hat Hunger. Der Hausherr legt die Speisekarten auf den Tisch. Bestellt müsse aber schnell werden, schiebt er hinterher, „sonst sperrt die Kuchl zua“. Rangnick will die Sache nicht verkomplizieren. Auf der Karte stehen gebratene Entenbrust, geschmorte Backen vom Bio-Angus und gegrillter Wildschweinschopf. Rangnick überlegt nicht lange. Einmal die Bratwurst bitte.

Der Mann hat turbulente Wochen hinter sich. Die Nationalmannschaft spielt gut – aber abseits des Feldes lieferte er sich einen Schlagabtausch mit den ÖFB-Funktionären. Er ortete Unprofessionalität – und machte sich damit Feinde. Rangnick stützt die Arme auf den Tisch. „Wenn man will, dass sich Dinge entwickeln“, sagt er, „braucht es jemanden, der sie anstößt. Es muss einen Lokomotivführer geben.“

Gerald Gossmann

Gerald Gossmann

Freier Journalist. Schreibt seit 2015 für profil kritisch und hintergründig über Fußball.