Sport

Rangnick und Rapid: Hintergründe einer komplizierten Herbergssuche

Dem österreichischen Nationalteam fehlt eine moderne Fußball-Arena. Teamchef Ralf Rangnick möchte im Stadion von Rapid Wien spielen. Doch der Verein steht auf der Bremse, Fans und Anrainer üben Widerstand.

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Es gab diesen einen Moment, am 1. Februar, als Ralf Rangnick seinen Ärger nicht mehr zurückhalten konnte: Das zunehmend baufällige Ernst-Happel-Stadion, ein aus der Zeit gefallener Betonbunker, sei für das Nationalteam „nicht wirklich geeignet“, kritisierte der ÖFB-Teamchef im Rahmen eines Fußballkongresses in Wien, wie "90minuten.at" berichtete. In der 1931 eröffneten Arena würden Zuschauer „ein Fernglas“ benötigen, „um das Spiel zu verfolgen“. Schon länger hat Rangnick deshalb ein Auge auf das 2016 erbaute Allianz-Stadion des SK Rapid Wien geworfen – ein knapp 25.000 Besucher fassendes Schmuckkästchen mit steilen Tribünen und urigem Fußballflair. 

Nun traf es sich gut, dass jener Kongress just im Rapid-Stadion stattfand. Der Teamchef wurde bei der Gelegenheit von den Rapid-Bossen durchs Stadion geführt, 
lobte die Architektur, das Ambiente. Das wäre ein Ort für die Nationalmannschaft, befand er. Die Rapid-Führung soll auf das Lob eher zugeknöpft reagiert haben, wird profil erzählt. Im Verein regiert die Angst vor den eigenen Fans, die Rangnick (immerhin Ex-Boss von Erzfeind Red Bull Salzburg) und Anhänger anderer Couleurs nicht in ihrem Stadion sehen wollen. Man könne intern Gespräche führen, bot Rapid an, dürfe den Anhang aber bitte ja nicht aufwiegeln.

Prompt fuhr Rangnick den Hütteldorfern in die Parade. Der Deutsche hat einen Fußballstil entwickelt, der seine Gegner überfallsartig angreift – und so wie er kicken lässt, so agiert er auch. Kurz nach der Stadionführung hielt er vor Publikum einen flammenden Appell. Seine Botschaft: Hier will ich spielen! Es müsse eine Situation entstehen, so Rangnick, „wo der Bürgermeister, der Bundeskanzler, der Sportminister, egal wer, alle sagen: Selbstverständlich spielt die Nationalmannschaft im Stadion von Rapid.“ 

Und schon glühte das Pulverfass. Darin steckten: einerseits der „Geht nicht gibt’s nicht“-Macher Rangnick, andererseits Rapid, das zwischen mächtigen Fans und verängstigten Funktionären in der Zwickmühle steckt. „Wir werden uns von niemandem etwas aufzwingen lassen“, erklärte Rapid-Geschäftsführer Steffen Hofmann denn auch pflichtbewusst. Ralf Rangnick, der international renommierte Fußballprofessor, steht unvermittelt vor einer gewaltigen Hürde: der kleinen österreichischen Fußballwelt, wie sie leibt und lebt. 

Begonnen hat alles im Juni des letzten Jahres mit einem 20 Zentimeter tiefen Loch im Rasen des Happel-Stadions. Rangnick, ein erklärter Perfektionist, feierte sein Heimdebüt als österreichischer Teamchef gegen Dänemark, als der ÖFB weltweit zur Lachnummer wurde. „Däne versinkt im Anstoßkreis“, titelte die „Bild“, ein dänischer Kicker sprach von einem „Amateur-Stadion“. Das unter Denkmalschutz stehende Happel-Stadion ist seit Jahren ein Zankapfel. Der ÖFB hätte gerne ein neues, doch die Stadt Wien als Eigentümerin sagt beharrlich: nein. „Für die Nationalmannschaft baue ich sicher kein Stadion um eine halbe Milliarde Euro“, erklärte Sportstadtrat Peter Hacker zuletzt im „Standard“. 

Blockadehaltung

Im Streit ums Stadion erkennen die Rapid-Fans in Teamchef Rangnick den Feind.

Der Hintergrund: Die Stadt Wien hat jeweils knapp 20 Millionen Euro Steuergeld in die neuen Stadien von Austria und Rapid gesteckt. Ein dritter Neubau für die paar wenigen Spiele der Nationalmannschaft sei da nicht drin. Im ÖFB versucht man deshalb, in die Bundesländer auszuweichen: nach Salzburg, Klagenfurt, Linz. Doch das ist nicht ideal; nach Wien reisen die internationalen Teamkicker an, hier entsteht ein neues Trainingszentrum, ist der Zuschauerstrom am größten. 

Rapid aber reagiert auf die Flirtversuche des Teamchefs verschreckt – und das nicht ohne Gründe. Da wären einmal die Hardcore-Fans. Sie sehen in Rapid eine Art Religion und ihr Stadion als heiligen Tempel. Sie fürchten, dass bei Länderspielen Ungläubige ihre Fantribüne – den legendären „Block West“ – betreten, etwas beschädigen, übermalen oder beschmutzen. „Die Ultras haben ihr Revier dort, da können keine Austrianer stehen“, erklärt einer aus dem Block West gegenüber profil. Zudem ist ihnen der Teamchef ein Dorn im Auge. Rangnick gilt als Schöpfer von Erzfeind Red Bull Salzburg. Seit er dort alles umgekrempelt hat, ist ein Meisterteller für Rekordmeister Rapid unerreichbar geworden. Zudem steht er aus Sicht vieler Rapid-Fans für das Böse in der modernen Fußballwelt: für Kommerz, fehlende Tradition und am Reißbrett gefertigten Plastikfußball. „Kein Rangnick in Hütteldorf“, lautet einer der netteren Kommentare in Fan-Foren. Und: „Ich hoffe, Rapid bleibt bei seiner Nein-Position, sonst würde man sich mit dem Block West einen Konflikt aufmachen.“ 

Direkte Nachbarn

Der Gemeindebau-Hugo-Breitner-Hof in Wien Hütteldorf 
 

Der Rapid-Anhang hat im Verein viel Macht. Er nimmt Einfluss auf Trainerbestellungen und Präsidentenwahlen. Vergangenen Herbst sorgte er gar für das Abdanken der Führungsriege. In der aktuellen Causa lautet die Logik vieler Rapid-Fans: Das Stadion befindet sich im Eigentum der SK Rapid GmbH – und deren Eigentümer ist der Verein, der wiederum den 16.000 Mitgliedern gehört; also den Fans. Und als Hausherr will man entscheiden, wer das Haus betreten darf – und wer nicht. Ein zweites Problem: Das Rapid-Stadion liegt mitten in einem Wohngebiet. 3500 Mieter bewohnen das Areal des Hugo-Breitner-Hofs, der einer der größten Gemeindebauten Wiens ist. Gerhard Kuchta, 67, strenger Blick, grauer Bart, ist dort aufgewachsen und lange schon Mietervertreter. Er würde sich hier wohlfühlen, erzählt er, wäre da nicht das Stadion. Und damit der Lärm, der Verkehr, die Schlägereien.

Als er von Rangnicks Vorstoß erfuhr, griff Kuchta sofort zum Telefon und wählte die Nummer der Rapid-Geschäftsstelle. Der Hintergrund: Den Anrainern wurde vor dem Neubau des Stadions versprochen, dass keine Veranstaltungen abseits der Rapid-Partien stattfinden. Das Steuergeld für die Errichtung der Arena habe schließlich „nicht der ÖFB bezahlt“, ärgert sich Kuchta, „sondern wir“.  Der einstige Bankangestellte hat den Ruf eines Kontrolleurs im Gemeindebau. Seit Jahren legt er sich mit Wiener Wohnen an – der größten Hausverwaltung Europas. Kuchta würde sich durchaus als Rapid-Fan bezeichnen, erzählt er im profil-Gespräch, jedenfalls war er das einmal, zu einer Zeit, „als Rapidler und Austrianer noch auf derselben Straßenseite gehen konnten“. Damals habe man „keine Polizisten dazwischen gebraucht, damit wir uns nicht in die Pfeife hauen“, erzählt er. 

Dann muss ich mich in Vertretung der Mieter wehren.

Gerhard Kuchta

Anrainervertreter aus dem Hugo-Breitner-Hof

Doch die Liebe zum Verein ist der Wut aufs Stadion gewichen. Rapid-Spiele bedeuten für ihn heute Parkplatznot und Schmierereien vor der Haustür. Inzwischen, so erzählt er, hoffe er gar auf ein schnelles Europacup-Aus für Rapid,  denn jedes Spiel bringe zusätzliche Aufregung. „Damals hat man uns versichert, dass die Europacup-Spiele im Happel-Stadion abgehalten werden“, erzählt er. Nun sei fast jede Partie ein Hochsicherheitsspiel, „der Hubschrauber ist oft eine Stunde nach Abpfiff noch über der Anlage“. „Länderspiele“, sagt Kuchta bestimmt, könnten erst dann stattfinden, „wenn die Probleme der Anrainer gelöst“ seien. Ein Telefonat mit Rapid-Geschäftsführer Hofmann wurde bereits geführt, mit dem neuen Präsidenten Alexander Wrabetz würde er „gerne ein paar ernste Worte wechseln“, hielt er in einem Mail an den SK Rapid fest. Würde das Problem nicht gelöst, dann müsse er sich „in Vertretung der Mieter wehren“.

Aus Fankreisen dringt derweil die Hoffnung, dass Anrainer die Drecksarbeit erledigen; sprich: Länderspiele in Hütteldorf verhindern. So könne sich der Anhang 
zurücklehnen und trotzdem sein Ziel erreichen. Auf Spielchen hat Rangnick aber keine Lust – er will spielen. Und zwar am 20. Juni, gegen Schweden, im Rapid-Stadion. Das Problem: 120 Tage vor Anpfiff muss der Spielort der Uefa gemeldet werden. Also Ende Februar. Bei Rapid gibt man Rangnick die Schuld für die Stadionkrise. Man habe bei jener Stadionführung klipp und klar vereinbart, auf diplomatischer Ebene zu verhandeln. Rangnick aber habe wie ein Elefant im Porzellanladen agiert, „ohne G’spür“.

Wir werden uns von niemandem etwas aufzwingen lassen.

Steffen Hofmann

Rapid-Geschäftsführer

Im Rangnick-Umfeld sieht man die Sache anders: Rapid vertröste den ÖFB, der immer wieder das Gespräch gesucht habe, schon lange. Rapid-Geschäftsführer Hofmann hätte bei der Stadionführung überfordert gewirkt. Einerseits habe er den fordernden Rangnick im Rücken. Andererseits wutschnaubende Fans und Anrainer im Hinterkopf. Dementsprechend keck konterte er Rangnicks Vorpreschen: „Ich wünsche mir auch sehr viele Dinge“, erklärte Hofmann, „meine Kinder wünschen sich viele Dinge.“ Aber – entscheidender Nachsatz: „Manchmal bekommt man sie, manchmal nicht.“ Dazu muss man wissen: Hofmann wird im Verein als Fußballgott verehrt und gilt als Verbindungsmann zum harten Fan-Kern. Bei dem Putsch der Anhänger gegen die Vereinsführung im vergangenen Herbst ging er als Sieger hervor; seine Oppositionsliste wurde von Mitgliedern (also den Fans) an die Macht gewählt. Hofmann stieg vom Sportkoordinator zum Geschäftsführer auf – auf Wunsch und von Gnaden des Anhangs. Rangnick seinerseits fühlte sich bei der Stadionführung verschaukelt. Er sei ein Mann klarer Worte, sagt man im ÖFB, „dieses österreichische Herumeiern mag er nicht“. Es gäbe bei seinem Vorschlag doch nur Gewinner, hielt er konsterniert fest: Rapid erhalte Miete, das Nationalteam ein tolles Stadion – und die Fans dürften auf ihrer Tribüne hüpfen und singen. Er könne „nicht verstehen“, so Rangnick, „so etwas überhaupt infrage zu stellen“. Im Gespräch mit den Rapid-Bossen schlug Rangnick vor, dass ÖFB-Teamspieler Christopher Trimmel, ein Ex-Rapidler, auf die Fans einwirken könnte. Bei Rapid hält man derlei aber für weltfremd. „Schau ma mal“, soll Rangnick entgegnet worden sein.

Das Zaudern habe den forschen Teamchef in eine „Alles oder nichts“-Situation getrieben, wird profil aus dessen Umfeld beschrieben. Im ÖFB herrscht nach internen Machtkämpfen und dem abrupten Rücktritt von Präsident Gerhard Milletich ein Führungsvakuum – also versuchte Rangnick, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. „Wenn wir es schaffen, uns für die Euro zu qualifizieren, profitiert ja schlussendlich auch der Klubfußball in Österreich“, appellierte er. 

Neben Rangnick saß bei dessen Brandrede sein Landsmann Carsten Kramer, Geschäftsführer des deutschen Spitzenklubs Borussia Dortmund. „Um was geht’s da?“, soll er Rangnick in einem stillen Moment gefragt und danach konsterniert gemeint haben, dass dergleichen in Deutschland unvorstellbar wäre. Dazu muss man wissen: Die deutsche Nationalmannschaft spielt ihre Partien in wechselnden Stadien – in Hamburg, München, Dortmund, Köln. Dort käme nie jemand auf die Idee, zu sagen: Nein, das DFB-Team kommt uns nicht ins Haus. Alle hätten die Mannschaft „gerne bei sich“, erzählt auch Jan Christian Müller von der „Frankfurter Rundschau“. Ob jemals Fans ein Veto ausgesprochen hätten? „Nein“, sagt Müller, „davon weiß ich nichts.“ 

In Österreich ist die Situation freilich eine andere. „Gegen Länderspiele im Horr! Verpiss dich ÖFB!“, formulierten es Austria-Fans 2018 vor einem Länderspiel in Wien-Favoriten. Und als Rapid im Jahr 2007 zum letzten Mal ein ÖFB-Match ausrichtete, wurde der Teamspieler Andreas Ivanschitz vom tobenden Fanblock als 
„Judaschitz“ beschimpft, weil dieser sich erlaubt hatte, von Rapid nach Salzburg zu wechseln. Sollte Rapid nun in der Stadion-Causa „einknicken“, betont einer aus dem Block West, „dann werden andere Sachen passieren“. 

Als alternativen Spielort, so heißt es, könne sich Rangnick die Red-Bull-Arena in Salzburg vorstellen – aber auch dort soll sich die Freude in Grenzen halten, da man eine Überbelastung des Rasens fürchtet. Immerhin hat sich Rapid nun doch zu diplomatischen Verhandlungen mit dem ÖFB (und den eigenen Fans) durchgerungen. Im Verein wird überlegt, den Block West nur für Rapidler zu reservieren. Man werde „viele Dinge noch abklären müssen“, erklärte Geschäftsführer Hofmann dieser Tage im „Kurier“, um „irgendwann“ zu entscheiden, „ob das möglich ist“.

Gerald Gossmann

Gerald Gossmann

Freier Journalist. Schreibt seit 2015 für profil kritisch und hintergründig über Fußball.