Rapid auf Salzburgs Spuren: Grüne Bullen
Von Gerald Gossmann
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Die Rapid-Bosse wirken angespannt. Sie haben etwas Epochales zu verkünden. Eine Zeitenwende. Einen Kulturbruch. Mitte November, Presseraum im Allianz-Stadion, Rapid-Präsident Alexander Wrabetz erklärt: Man habe „über den Tellerrand hinausgeblickt“. Das Ergebnis des Weitblicks: Die Rapid-Legende Zoran Barišić wird als Trainer entlassen. Der Nachfolger: kein Rapidler, ein Deutscher – und das Schlimmste: einer aus der Red-Bull-Welt.
Rote Bullen sind für Grün-Weiße ein rotes Tuch. „Bullenschweine“, skandiert der Fan-Block. Wechselt ein Rapidler zu RB Salzburg, wird er beschimpft. So erging es Andreas Ivanschitz und Marcel Sabitzer. Als Maximilian Wöber, vom Kindesalter an bei Rapid, 2019 als Salzburger zurückkehrte, stand auf einem Transparent: „Vor Wochen noch mit uns gegen sie im Block, jetzt selbst ein ehrenloser Hurenbock!“ Nicht einmal der identitätsstiftende Energydrink des Salzburger Konzerns, so hielten Rapid-Vertreter einst fest, wird „in unserem Red-Bull-freien Stadion“ verkauft.
Für Rapidler gibt es nur zwei Haltungen: Freundschaft und Feindschaft. Der Erzfeind: Red Bull. Ein Fußballprojekt aus der Retorte, ohne Tradition, aalglatt, aber hochprofessionell. Der Teufel trinkt Dose, unken puristische Fans. Ganz anders Rapid, das einem hehren Ideal treu bleibe: ehrlichem Fußball. Das Problem: Der ehrliche Rapid-Kick ist nicht erfolgreich. Es gibt Fankultur, Freunderlwirtschaft, aber nichts zu feiern. Doch im vergangenen Sommer sollte sich das ändern. Da investierte der Klub Millionen in die Mannschaft. Millionen, die man nicht hatte und die, wie Wrabetz betonte, „wir uns erst verdienen müssen“. Aber der Erfolg blieb aus – und ein Dilemma drohte.
Und so spähte Rapid zum Erzfeind Red Bull. Laut profil-Recherchen suchten Funktionäre schon öfter Rat bei RB-Größen. Auch der aktuelle Sportchef Markus Katzer kennt keine Berührungsängste. Doch im Umfeld ist das Thema heikel. Rapid ist ein stolzer Klub, der sich als Gegenentwurf zu RB verkauft – nun aber ausgerechnet dort Anleihe nimmt.
Der SK Rapid Wien, 125 Jahre alt, wurde meist von echten Rapidlern trainiert. Oft waren das rustikale Typen. Der Neue entspricht dem Zeitgeist: Robert Klauß, 39, Kapuzenpulli, stylishe Kurzhaarfrisur, jungenhafte Optik – und: Taktikfreak. Ein Auszug aus seinem Vokabular: „abkippende Zehner“, „asymmetrische Linksverteidiger“. Geprägt wurde Klauß im Red-Bull-Kosmos, als Assistent von Ralf Rangnick und Julian Nagelsmann. RB-Trainer sind international ein Verkaufsschlager. In den RB-Dependancen Leipzig und Salzburg werden sie wie am Fließband produziert; junge Männer, die schablonenhaft aggressiven, attraktiven Fußball lehren. Rapid will nun davon profitieren, endlich moderner werden. Was man aber auch will: den Fans keinen Kulturschock bescheren. Also tat der neue Coach, was man im Verein offenbar für das Klügste hält: Er redete seine RB-Vergangenheit klein. Man dürfe nicht vergessen, sagte der Neue, dass er „schon dreieinhalb Jahre weg von RB Leipzig“ sei. Er könne nachvollziehen, „dass die Leute mit der RB-Welt nicht einverstanden sind“; er selbst, das war die Botschaft, sei ohnehin alles andere als ein RB-Jünger.
Eigentlich wollte Rapid mit den eigenen Leuten durchstarten. Im Herbst 2022 riefen Präsident Wrabetz und der Milliardär Michael Tojner einen Neustart aus. Dafür zuständig: die Rapid-Meistertruppe von 2008. Steffen Hofmann wurde Geschäftsführer, Markus Katzer Sportchef, Zoran Barišić Trainer. Das Ziel: Rapid zu alter Größe führen. Aber der Erfolg blieb aus, die Einnahmen brachen ein. Die Folge: keine neuen Groß-sponsoren, keine Transfers, kein Europacup. Rapid investierte trotzdem. Neue Spieler kamen, das Scouting wurde modernisiert. „Das hat Millionen gekostet“, erklärte Wrabetz und sprach von einer „offensiven Finanzstrategie“, bei der man „bis zu einem gewissen Grad ins Risiko“ gegangen sei. Der Haken: Um das Geld wieder einzuspielen, braucht es nun eine Europacup-Teilnahme, hohe Transfererlöse und „eine positive Aufstiegsspirale“. „Wir sind zum Erfolg verpflichtet“, betonte Wrabetz: „Verdammt möchte ich nicht sagen.“
Eigentlich wollte Rapid mit den eigenen Leuten durchstarten. Im Herbst 2022 riefen Präsident Wrabetz und der Milliardär Michael Tojner einen Neustart aus. Dafür zuständig: die Rapid-Meistertruppe von 2008. Steffen Hofmann wurde Geschäftsführer, Markus Katzer Sportchef, Zoran Barišić Trainer. Das Ziel: Rapid zu alter Größe führen. Aber der Erfolg blieb aus, die Einnahmen brachen ein.
In der aktuellen Saison verpasste Rapid den Europacup erneut. In der Liga hinkte die Mannschaft hinterher. Trainer Barišić versuchte die Erwartungen zu senken. Er verglich Rapid mit einem „VW-Käfer“ und redete, trotz zweithöchstem Liga-Budget, ärmliche Dorfklubs stark. In 14 Ligapartien gelangen bloß vier Siege. Im Geschäftsjahr 21/22 nahm Rapid noch 50 Millionen Euro ein und verbuchte 5,7 Millionen Gewinn. Zuletzt waren es nur noch 45 Millionen Umsatz und knapp 50.000 Euro Gewinn. Man habe „in allen Bereichen einen Rückgang“, hieß es im vergangenen Herbst.
Die Rapid-Bosse blickten neidisch zur Konkurrenz nach Graz und Linz. Sturm und LASK hatten Rapid überflügelt – indem sie die RB-Matrix kopierten. Sie spielten angriffig und aggressiv. Sie spürten Rohdiamanten auf – und verkauften diese, ähnlich wie RB, um das Zehnfache. Sturm verpflichtete einen Haufen RB-Kicker. Der LASK wird sogar von einem RB-Trainer gecoacht. Bei Rapid werden Einflüsse von Erzfeinden dagegen nicht so gerne gesehen. 2016 wechselte Maximilian Entrup nach Hütteldorf, ein Teenager, der einst einem Austria-Fanklub angehört hatte. Hardcore-Fans schimpften, hängten hasserfüllte Transparente auf, warfen Böller – und vertrieben schließlich den eigenen Spieler. Als Teamchef Rangnick im vergangenen Jahr mit der Nationalmannschaft ins Rapid-Stadion wollte, hieß es in Fanforen: Nicht der, nicht dieser Bulle.
Öffentlich agieren die Rapid-Bosse deshalb vorsichtig. Nicht so im Hinterzimmer. Schon vor Jahren suchte ein Rapid-Funktionär laut profil-Informationen den Kontakt zu einem RB-Mann – und bat um Hilfe. Doch es wurde nichts daraus. Im vergangenen Jahr kam Rapid dem RB-Einfluss schon näher – nach mehrmaligen Treffen zwischen Wrabetz und dem RB-Entwickler Rangnick. Dieser habe, wie profil erfuhr, sein Netzwerk in Aussicht gestellt – für den Fall, dass Rapid Trainer, Manager oder Scouts suche. Wrabetz soll interessiert gewesen sein. Doch es hakte an der Gegenleistung: einem gelegentlichen Antreten des ÖFB-Nationalteams im Rapid-Stadion. Dagegen protestierten Fans. Also verlängerte Rapid lieber mit Trainer Barišić.
Das brachte Rapid in ein Dilemma. Auch Sportchef Markus Katzer gefällt der aggressive Red-Bull-Stil. Barišić, als Spieler ein Ballzauberer, lehrte aber ein gepflegtes Kombinationsspiel. Für Katzer, seit Jänner 2023 im Amt, machte sich der Unternehmer Tojner stark. Jener Mann, der am liebsten Rapid-Anteile an Investoren verkaufen möchte, dafür keine Mehrheit hat – den Klub aber dennoch so schnell wie möglich flottbekommen will. Katzer ist nach Tojners Geschmack. Der 44-Jährige war als Spieler mit Rapid Meister, doch er vermeidet den Eindruck, einen Versorgungsposten innezuhaben. Er tritt professionell auf; trägt keinen Trainingsanzug, sondern Businesslook. Wenn Katzer spricht, klingt vieles wie aus dem Bullen-Vokabular. Er wolle eine Spielphilosophie verfolgen, sagt er, und „Marktwerte entwickeln“.
Ein Trainer-Rauswurf ist bei Rapid schwieriger als anderswo – und wird schnell zum Beziehungsdrama. Katzer, Hofmann und Barišić kennen einander seit Jahrzehnten. Anfangs betonten sie, wie viel Freude es mache, wenn Freunde zusammenarbeiten. Nun knisterte es.
Doch das ist einfacher gesagt als getan. Den Rapid-Kader hatte Barišić als Sportdirektor über Jahre hinweg nach seinen Vorstellungen zusammengestellt – nun trainierte er diesen auch. Rapid zeigte gefälliges Ballgeschiebe, aber ohne Elemente der Moderne. Katzer analysierte Daten und Tabellen – und ortete körperliche Mängel. Er verpflichtete einen Fitnesscoach. Und er baute den Kader um: Zwölf Spieler gingen, acht kamen hinzu. Katzer wollte aggressiver, moderner spielen. Doch Barišić konnte das nicht umsetzen.
Katzer begann im Hintergrund, einen neuen Trainer zu suchen. Im Red-Bull-Stall. Er traf sich mit René Marić, der bei RB Salzburg als Taktikgenie galt und in der deutschen Bundesliga mit Mönchengladbach und Dortmund erfolgreich war. Die Gespräche wurden laut profil-Informationen intensiv. Eine Frage beschäftigte aber Klub und Coach: Wie reagieren die Fans auf einen von Red Bull?
Ein Trainer-Rauswurf ist bei Rapid schwieriger als anderswo – und wird schnell zum Beziehungsdrama. Katzer, Hofmann und Barišić kennen einander seit Jahrzehnten. Anfangs betonten sie, wie viel Freude es mache, wenn Freunde zusammenarbeiten. Nun knisterte es. Rapid lag auf dem achten Tabellenplatz, weit entfernt vom millionenschweren Europacup. Der Klub versuchte, im Apparat zu sparen. Abteilungsleiter wurden gekündigt und nicht nachbesetzt. Rapid-Broschüren nicht mehr gedruckt, sondern als E-Paper verschickt. Man wolle die Abhängigkeit vom sportlichen Erfolg reduzieren und habe sich deshalb „in der Verwaltung anders aufgestellt“, hieß es.
Es blieb die sportliche Baustelle. Rapid verlor und verlor – dazu wurde es intern chaotisch. Der Klub hat neuerdings drei Geschäftsführer: einen für Wirtschaft, einen für Sport – und einen für Fußballgott Hofmann. Dieser trägt offiziell die Gesamtverantwortung, tatsächlich fungiert er als eine Art Maskottchen, das dem Anhang gut zuredet und für die Bereiche Nachwuchs und Frauenfußball zuständig ist. Für den Profibereich entscheidet Katzer. Hofmann kann gut mit Barišić, die Ablöse-Gerüchte dementierte er heftig. Katzer fixierte derweil den Rauswurf. Ex-„Krone“-Sportreporter Peter Linden warf Katzer in seinem Blog vor, „sozusagen über Leichen zu gehen“. Sprich: auch über Legenden. Katzer hielt fest: Der Verein habe „seine Ziele gefährdet“ gesehen.
Bei den Profis war eine Linie kaum zu erkennen. Die letzten fünf Trainer spielten je unterschiedliche Fußballstile: offensiv, defensiv, kampfbetont, verspielt. Katzer erklärte nach der Barišić-Ablöse: Der neue Coach dürfe keine eigene Philosophie mitbringen. „Wir haben unseren eigenen Plan.“
Rapid hat den Ruf eines konzeptlosen Chaosklubs. Deshalb propagierte man in den letzten Jahren eine 600-seitige Spielphilosophie aus der Feder von Nachwuchs-Chef Willi Schuldes, die eines verdeutlichen sollte: Rapid hat einen klaren Plan. Doch bei den Profis war eine Linie kaum zu erkennen. Die letzten fünf Trainer spielten je unterschiedliche Fußballstile: offensiv, defensiv, kampfbetont, verspielt. Katzer erklärte nach der Barišić-Ablöse: Der neue Coach dürfe keine eigene Philosophie mitbringen. „Wir haben unseren eigenen, klaren Plan.“ Wenig später stand mit Robert Klauß ein Trainer aus der Red-Bull-Schule vor der Tür (Marić war zum FC Bayern avanciert), und Katzer relativierte gegenüber „Sky“: „Wir gehen ein bisschen einen neuen Weg.“ Und: Es gebe natürlich „Spielraum für eine gewisse Kreativität, die der Trainer selber mitbringen muss“. Man hätte diesbezüglich „auch mit Ralf Rangnick gesprochen“, so Katzer, und „positives Feedback erhalten“.
Es blieb die Frage: Wie reagieren die Fans? Und siehe da: keine Proteste, keine Beschimpfungen, nicht einmal Dosen flogen aufs Feld. Fast schienen sie froh, nicht den nächsten Urrapidler serviert zu bekommen. Der neue Coach Klauß gewann die ersten Partien und machte sich schnell beliebt. Er hob die Tradition des SK Rapid hervor und erklärte vor dem Spiel gegen RB Salzburg: „Ich habe keine Ahnung von Salzburg, wirklich, glaubt mir. Ich war das letzte Mal vor sechs Jahren dort. Ich würde nicht mal den Weg zum Trainingszentrum finden.“
Vieles bei Rapid klingt trotzdem verdächtig nach Red Bull. Katzer möchte eine „ganzheitliche Spielidee“ umsetzen, zwar weiterhin mit gepflegtem Spielaufbau – aber gepaart mit den RB-Tools: Er will junge Spieler holen, Marktwerte entwickeln. Helfen soll dabei ein Mann, der die RB-Schule absolviert hat – und bereits ordentlich Pressing trainiert. Auch der deutsche Bundestrainer Julian Nagelsmann erklärte, Klauß sei „im Red-Bull-Kosmos groß geworden“ und werde „diese Idee sicherlich bei Rapid hineinbringen“. Werden die Rapidler nun zu grünen Bullen?
Nein, winkte Katzer schnell ab. „Wir werden sicher kein Abklatsch von einem Verein. Die machen das gut, haben eine eigene Idee – aber wir haben eine ganz andere.“ Die für das Rapid-Umfeld wohligsten Worte sprach der neue Coach selbst: Er habe „in den letzten Jahren eine eigene Idee von Fußball entwickelt“, betonte Klauß. Bei Rapid, das sei doch klar, wolle er jedenfalls „Rapid-Fußball“ spielen.
Gerald Gossmann
Freier Journalist. Schreibt seit 2015 für profil kritisch und hintergründig über Fußball.