Vereinslegende Kühbauer konnte die Erwartungen trotz zweier holpriger Vizemeistertitel nicht erfüllen.
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Rapid Wien: Der Teufel trinkt Dose

Rapid Wien firmiert als Antiquitäten-Museum aus Vereinsfarben, viel Tradition und lebenden Legenden. Bloß die Antithese des neureichen Red Bull Salzburg zu sein, ist kein tragfähiges Konzept.

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Der Teufel trinkt Dose. Rapid Wien definierte sich im letzten Jahrzehnt durch eine beinahe religiös-zelebrierte Ablehnung gegenüber dem picksüßen Kunstprodukt Red Bull Salzburg. Die grün-weiße Erzählversion lautet: In Salzburg habe man sich dem schnöden Kommerz unterworfen, während Rapid als Traditionsverein einem hehren Ideal treu bleibe. Während es in Salzburg nach Plastik stinke, dufte es in Wien-Hütteldorf nach nassem Rasen und verschwitzten Dressen.

Trainer Dietmar Kühbauer brachte diese Geisteshaltung auf den Punkt. Kühbauer war als Spieler ein Kämpfer, der grätschte und brüllte. Seine bloße Anwesenheit ruft kitschige Erinnerungen an die heroischen Europacupschlachten der 1990er-Jahre hervor. Die Entlassung der Vereinslegende ist kein business as usual, sie trifft Rapid an der verwundbarsten Stelle: Wer sich in einem professionalisierten und verwissenschaftlichten Geschäft als Familie positioniert, sieht das Familienoberhaupt ungern scheitern.

Nun verbleiben noch Kühbauers Kumpel Zoran Barisic, ebenfalls Europacup-Held der Neunzigerjahre, der durchaus bemüht als Sportdirektor agiert, Ex-Spieler Gerry Willfurth, der im Präsidium die Männer in Anzug und Krawatte mit Expertise versorgen soll – und der grün-weiße Fußballgott der Zweitausenderjahre Steffen Hofmann, der gemeinsam mit Thomas Hickersberger, dem Sohn des vorletzten Rapid-Meistertrainers Josef Hickersberger, die Mannschaft interimistisch betreuen wird.

Rapid pflegt die Abgrenzung zum modernen Fußball, nach dessen Werten Familienzusammenführungen im Profibereich wohl als Freunderlwirtschaft gelten. Der Verein agiert als Marketingmaschinerie, um die Legende längst vergangener Rapid-Epochen zu propagieren. Das schadet mehr als es nützt. Zwar wurde so der große Markt hartgesottener Fußball-Puristen bei der Stange gehalten. Doch das hilft alles nichts, wenn auf dem Feld zu oft verloren wird.

Vereinslegende Kühbauer konnte die Erwartungen trotz zweier holpriger Vizemeistertitel nicht erfüllen. Dabei war vieles absehbar. Während er als Spieler ein Draufgänger war, präsentierte sich die Legende als Trainer zu oft mit feigen Auftritten und wehleidigem Lamento. Der Verein hatte ihn vor drei Jahren als Opium fürs wütende Fan-Volk verpflichtet; eine nachhaltige Strategie war damit nicht verbunden. Denn: Kühbauer hatte zwar als Trainer überall Erfolg – jedoch nur kurzfristig. Seine Spieler rannten und kämpften, verfolgten schnelles Umschaltspiel, aber nicht mehr. Nach zwei Jahren war der Zauber zumeist vorbei. Das Kämpfen und Rennen hatte sich erschöpft. Die Entwicklung einer Spielkultur, war bei Kühbauers Bestellung offenbar kein Kriterium. Zudem waren ihm die Großklub-Ansprüche fremd. Bei seinen bisherigen Klubs Admira Wacker, Wolfsberger AC und SKN St. Pölten gab es fast keine Europacup-Partien zu bewältigen, bei Rapid sind sie standesgemäße Pflicht, die das wirtschaftliche und sportliche Vorankommen sichern. Bis zuletzt lamentierte Kühbauer über die vielen Fußballspiele.

FUSSBALL: ADMIRAL-BUNDESLIGA /GRUNDDURCHGANG/4. RUNDE: CASHPOINT SCR ALTACH - SK RAPID WIEN

Das Rapid von heute versucht das Rapid von früher zu sein. Das Geschäftsmodell treibt zwar Mitgliederzahlen nach oben, die sportliche Entwicklung jedoch nach unten. Kämpfen und Siegen lautet das Vereinsmotto, das sich an den Grundtugenden des 122 Jahre alten Klubs orientiert. Die Rapid-Führung erzeugt für die vielen Fans eine Zauberwelt, die vorwiegend aus Retro-Kitsch besteht. Seit Jahrzehnten wird die treue Rapid-Familie gekonnt bei Laune gehalten, noch immer kommen im Ligavergleich die meisten Zuschauer ins „Allianz-Stadion“, obwohl Rapid seit dreizehn Jahren nichts mehr gewonnen hat, keine Meisterschaft, keinen Cup-Titel.

Rapid verweist berechtigterweise auf die potente Konkurrenz aus Salzburg. Doch ein ernsthaftes Messen verhindern nicht die Spiele gegen den Ligakrösus, sondern Partien gegen die vielen Armenhäusler der Liga. Heuer patzte man bereits gegen den TSV Hartberg, den Wolfsberger AC, SCR Altach, Austria Klagenfurt und Admira Wacker. In der Tabelle liegt Rapid auf dem siebten Rang, hinter Hartberg, Ried, Wolfsberg und Klagenfurt. In 14 Spielen konnten bloß 16 Punkte gesammelt werden.

Salzburgs Konzept und Kapital sind für Rapid auf Sicht nicht einholbar. Als bärenstarke Nummer zwei des Landes könnte man sich aber (mit 42 Millionen Euro Umsatz) dennoch positionieren, um bei einem Salzburger Schwächeanfall zumindest für einen Angriff gerüstet zu sein. Aus dem Salzburger Erfolgsmodell wären durchaus ein paar Rahmenbedingungen für die kleinere Geldbörse heraus zu picken und zu adaptieren (immerhin haben zehn Vereine weit weniger Geld als Rapid).

Zum Beispiel: Salzburg landet mit jedem Trainer einen Volltreffer, weil sich das Scouting nach passenden Fußballlehrern an der Vereins-Spielweise orientiert statt an Vereins-Legenden. Die Salzburger-Coaches Roger Schmidt, Marco Rose und Jesse Marsch waren hierzulande weitgehend unbekannt, kosteten wenig, wurden aber von Spitzen-Klubs der Deutschen Bundesliga abgeworben. Dem aktuellen Mann, Matthias Jaissle, wird es ähnlich ergehen. Rapid hat seit den 1980er Jahren (damals wechselte Otto Baric zum VfB Stuttgart) keinem Trainer mehr zum Karriereturbo in eine große Liga verholfen. Das liegt am Auswahlprozedere. Mit Hans Krankl, August Starek, Heribert Weber, Josef Hickersberger, Peter Pacult, Zoran Barisic, Peter Schöttel und Dietmar Kühbauer trainierte eine ganze Truppe verdienter Rapid-Spieler innerhalb der letzten dreißig Jahren den Klub. Andererseits wurde zweimal auf die Deutschen Lothar Matthäus und Mike Büskens gesetzt, die keine Internationalisierung darstellten und deren Misserfolg den Verein derart verschreckte, sodass dieser wieder auf Legenden zurückgriff.

Salzburg hat eine kluge Philosophie entwickelt: In allen Teams wird derselbe Fußballstil praktiziert, was es Nachwuchsspielern erleichtert in der Kampfmannschaft Fuß zu fassen. Jedes Jahr werden die besten Spieler um 20 Millionen und mehr in Weltligen verkauft – wodurch man gezwungen ist, mit einer Horde 20-Jähriger und einem zumeist neuem Trainer den Neustart zu wagen.

Vor jeder Saison nimmt sich Rapid den geheimen Angriff auf ein durcheinandergewirbeltes Salzburg vor. Doch immer ist die Philosophie der Salzburger stärker als der monumentale Schlachtruf der Rapidler. Heuer dürfte Salzburg mit einer komplett neuen Mannschaft und neuem Trainerteam gar den Aufstieg ins Champions League-Achtelfinale schaffen. Rapid kämpft um einen Platz im oberen Playoff der Meisterschaft. 22 Punkte beträgt der Rückstand auf Salzburg nach bloß 14 Runden. Sogar Wolfsberg liegt acht Zähler voran.

Dem sektenhaften Mantra vom Schuldigen aus Salzburg, der Rapid durch Kapital und Konzept den Spaß am heimischen Ligabetrieb vermiese, wird eine Erneuerung der Geisteshaltung folgen müssen.

Kühbauers Entlassung ist wie jede Trainer-Ablöse bei Rapid eine bloße Symptombekämpfung. Nur eine klare Identität, eine zum Verein passende Spielweise und eine Trainerwahl, die sich daran orientiert, können Rapid nachhaltig verbessern. Salzburger Trainer steigen auch deshalb schnell zu Heroen auf, weil deren Klub die Spielwiese gewissenhaft aufbereitet anstatt sie zum Spielplatz konträrer Trainerphantasien werden zu lassen.

Rapid wird einsehen müssen, dass die glorreiche Vergangenheit bei der Zukunftsgestaltung wenig hilfreich ist.

Mit Purismus können traditionsbewusste Fans, aber keine Titel (derzeit nicht einmal Spiele) gewonnen werden. Kurz gesagt: Rapid, das Antiquitätenmuseum, würde dringend moderne Kunst benötigen, die – im ambitioniertesten Fall – von keinem Familienmitglied stammt.

Gerald Gossmann

Gerald Gossmann

Freier Journalist. Schreibt seit 2015 für profil kritisch und hintergründig über Fußball.