Ratgeber-Bücher: Wenn einfache Lösungen Probleme verursachen
Gut möglich, dass die Abkühlung der vergangenen Tage auf meine Kappe geht. Ich habe es ganz einfach getan. Bin mit dem Rad zur Arbeit und wieder nach Hause gefahren, habe Tomaten vom eigenen Balkon gegessen und immer fest an die Weisheit von Seite 53 gedacht: "Wir sind nicht darauf angewiesen, dass andere uns retten. Wir können das im Rahmen unserer Möglichkeiten selbst erledigen. Der Aufwand spielt keine Rolle." Klimawandel? Kleinigkeit. Gern geschehen.
Die Passage stammt aus dem Buch "Die Kunst einfache Lösungen zu finden", das sich, der Einfachheit halber, das Komma im Titel spart, aber auf orthographische Spitzfindigkeiten kommt es dem Autor und TV-Moderator Christian Ankowitsch womöglich gar nicht an. Es geht ihm vielmehr darum, dass man es einfach macht, und zwar egal, was. Dass man Probleme löst. Nicht immer alles verkompliziert. Einfach tut und daran glaubt. Probleme auch einmal ignoriert, wenn es sein muss. Und wenn alles nichts hilft: etwas anderes macht.
Die einfachste Verbindung zwischen zwei Punkten ist eine gerade Linie. Sie verläuft im vorliegenden Fall von Dotter- nach Zitronengelb, von A wie Ankowitsch, Christian, nach B wie Brezina, Thomas. Der Kinderbuchautor und TV-Moderator präsentiert dieser Tage sein erstes Sachbuch. Es heißt "Tu es einfach und glaub daran", braucht weder Apostroph noch Beistrich und eigentlich auch nicht viele Worte, um seine Botschaft zu formulieren: Nicht lange nachdenken - und wenn doch, dann unbedingt positiv. "Ja, wir können die Welt verändern. Und zwar am einfachsten, indem wir unsere kleine, persönliche Welt in allen Aspekten so gestalten, dass es eine Welt ist, in der wir uns sehr wohl fühlen und in die andere gerne zu Besuch kommen."
Komplexitätsparanoia
Es ist nicht besonders schwierig, "Tu es einfach und glaub daran" als aufgelegten Bestseller zu identifizieren. "Die Kunst einfache Lösungen zu finden" verfügt über ähnliches Potenzial. Aber man soll, wie man von anderen Ratgeberbänden weiß, auch nicht ungerecht sein: Erstens sind Ankowitsch und Brezina, näher gelesen, doch sehr verschieden, was die Komplexität ihrer Argumentation betrifft. Zweitens haben sie das Einfach-Tun keineswegs selbst erfunden. Ankowitsch verleugnet gar nicht, dass sein Buch in weiten Teilen auf den Arbeiten des US-amerikanischen Familientherapeuten Steve de Shazer fußt. Brezinas Ratschläge kommen in ihrer Schlichtheit ganz gut ohne Quelle aus.
Dennoch müssen diese beiden Bücher als Symptome gelesen werden. Die Krankheit, die sie auslöst, heißt Komplexitätsparanoia. Der Mensch leidet schon seit mehr als hundert Jahren an ihr. Zuletzt wurde sie aber leider epidemisch. Die Welt, so erscheint es ihrem gegenwärtigen Bewohner, wird immer undurchschaubarer, seine Teilhabe an ihr immer nebulöser: Ein halbes Grad Celsius mehr auf dem 72. Breitengrad, und schon fällt der Monsun in Indien aus oder das Ski-Opening am Arlberg. Warum die globalisierten Finanzmärkte tun, was sie tun, bleibt auch zehn Jahre nach Lehmann schleierhaft. Und die Anlandung eines Schlauchbootes auf Gran Canaria dreht, wer weiß, sogar die Bürgermeisterwahl in Wels.
Leider ist die Welt nicht nur schrecklich kompliziert - wir sind auch noch an allem schuld. An Ausbeutung, Ungerechtigkeit , Klimawandel. Und sei es aus historischen Gründen: Kapitalismus, Kolonialismus, Krachlederne. Unsere Schuld ist kollektiv und potenziell unendlich, unser schlechtes Gewissen nicht wegzudenken. Vielleicht stellt man das Denken am besten ganz ein. Hilft es nichts, schadet es nicht.
Ganz in diesem Sinne hat Thomas Brezina, Autor Hunderter Kinder- und Jugendbücher und seit zwei Jahren nebenbei auch Lebenshilfe-YouTuber, seine rasend optimistischen Online-Ratschläge in ein Buch gekippt. "Tu es einfach und glaub daran" handelt vom positiven Denken, von dem es, glaubt man Brezina, kaum genug geben kann. Plus und Plus ergibt Zuckerguss. "Bleibt der Freude auf der Spur!", empfiehlt der Autor, der sich als "Storyteller, Freude-Forscher" vorstellt. Als solcher rät er dazu, To-do-Listen, die einen stressen oder gar überfordern könnten, einfach als "Zur-Freude-Listen" zu bezeichnen und sich über deren Abarbeitung zu freuen. Was Brezina nicht sagt, aber anklingen lässt: Das Gehirn ist ein gefährliches Organ. Es sorgt für Kopfzerbrechen. Darum erklärt er sich und sein Konzept möglichst einfach. Wirklich einfach. Ärgert man sich, frage man sich: Ist es dir das wert? Ist man traurig, sage man sich: Alles geht vorbei. Brezinas Buch ist die literarische Entsprechung von transzendentaler Meditation: Wer an nichts denkt, kann fliegen. Die Konjunktur von Achtsamkeit, Meditation und Wellness ist auch nur ein Symptom für unser zeitgenössisches Problem-und Komplexitätsbewusstsein. Es geht um das Ausschalten von Details zugunsten der Konzentration auf sich selbst. Warum an etwas denken, wenn man auch an nichts denken kann? Und vor allem: nicht an andere. Die Problemlösungsstrategien, die Brezina und Ankowitsch anregen, entstammen einem egozentrischen Bewusstsein. Ich leide daran, dass es der Welt schlecht geht. Ich fühle mich schuldig. Zum Glück - zu meinem Glück - kann ich etwas dagegen tun. Jede Kleinigkeit zählt! Plastiksackerl verweigern und Ozeane retten. profil abonnieren und freie Presse bewahren.
Das Einfachste ist das Komplizierteste
Leider ist es nicht immer so einfach. Schon die Einfachheit selbst ist es nicht. Die "Stanford Encyclopedia of Philosophy" erläutert "Simplicity" auf 19 eng bedruckten Din-A4-Seiten, von denen zweieinhalb aus Literaturangaben bestehen. Diese reichen von Thomas von Aquin über Aristoteles und Galilei bis zu Kant und Popper. Das Einfache ist das Komplizierteste und als solches seit Jahrtausenden Gegenstand philosophischer, theologischer und naturwissenschaftlicher Debatten. Hat Einfachheit einen Wert an sich? Wie sehr ist unser Bild von der Welt eine Simplifikation? Sind die Naturgesetze nur Hilfskonstruktionen und die Dinge in Wirklichkeit unbegreiflich? Ist Einfachheit eine Frage der Form oder des Inhalts, eine mehr semantische oder mehr ontologische Angelegenheit? Beides? Warum?
Einfachheit ist relativ. Und sie ist am Ende. Die moderne Naturwissenschaft ist sich darüber weitgehend im Klaren, dass Reduktion nicht reicht, um die Welt zu verstehen, weil auch in scheinbar geordneten Systemen Wechselwirkungen und Verwirbelungen vorkommen, ja immer wieder auch Zufälle. Die US-Wissenschaftstheoretikerin Sandra Mitchell schreibt: "Angesichts von Rückkoppelung und chaotischen Prozessen wäre es selbst mit einem vollständigen Wissen über die deterministische Struktur der Natur nicht möglich, sichere Voraussagen über die Zukunft zu machen. Nimmt man dann noch die Quantenunschärfe und die rechnerische Unzulänglichkeit hinzu, dann ist es überhaupt erstaunlich, dass wir über die komplexe Welt, in der wir leben, überhaupt etwas wissen."
Nun ist, zugegeben, das tägliche Dasein der meisten Menschen keine Quantenphysik im engeren Sinn. Christian Ankowitsch, der seine Thesen elegant formuliert und mit guten Beispielen unterfüttert, geht es denn auch weniger um philosophische Unschärferelationen als um den Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Beziehungskrise. Ein gern zitiertes Paradebeispiel aus dem besprochenen Band: Bei Schlaflosigkeit oder Ehekrise einfach einmal die Bettseite wechseln. Denn: "Oft genügt es bereits, winzige Details zu verändern. Und schon verschwinden die hartnäckigsten Probleme." Man muss Ankowitsch freilich zugestehen, dass er es sich dann doch nicht ganz so einfach macht: "Es soll keinesfalls der Eindruck entstehen, alle schnarchenden und sexlosen Menschen der Welt müssen nur die Bettseiten tauschen; das wäre eine unzulässige Generalisierung." Er gesteht seinen Lesern sogar ein einigermaßen komplexes Dasein zu: "Wie autonom wir auch agieren mögen -wir bleiben stets Teil eines größeren Ganzen. Nicht eines Kontextes, wohlgemerkt, sondern vieler, wechselnder."
Ankowitsch verspricht nicht zu viel. Er behauptet nicht, dass einfache Lösungen immer besonders kreativ oder genial sein müssen. Sie seien eben, was sie seien: einfach. "Was dazu führt, dass wir sie nicht beachten, nicht ernst nehmen und weder ihre Eleganz noch ihre Klugheit erkennen." Eine "tiefe Weisheit" führt der Autor schon auf Seite 22 ins Feld: "Versuche es erst einmal mit der denkbar einfachsten Lösung, auch wenn das Problem noch so vertrackt erscheint." Das wiederum klingt verdächtig nach moderner Stimmungspolitik. Populisten stehen ja unter dem Generalverdacht, die Welt und ihre Probleme verkürzt, zum Teil auch verschärft darzustellen und die eigene Problemlösungskompetenz zu übertreiben. Sozialstaat kaputt? Ausländer schuld! Grenze dicht! Seriöse Politik ist das nicht. Aber sehr menschlich.
"Schnell, beiläufig und unangestrengt"
Das Streben nach Verkürzung ist uns angeboren. Es hilft gegen psychotische Sinnesüberflutung oder dauerhafte Börsencrash-Paranoia. Menschen, die eine simple Schwarz-Weiß-Politik verurteilen oder Verschwörungstheorien als unsägliches Vademecum für komplexitätsverdrossene Internetuser verteufeln, hält Ankowitsch entgegen, dass komplexe Probleme nicht automatisch nach komplexen Lösungen verlangen, sondern auch "schnell, beiläufig und unangestrengt" gelöst werden können. Eine erschöpfende Begründung abseits spitzfindiger Beispiele bleibt er leider schuldig.
Dabei ist Ankowitsch ein durchaus selbstironischer Ei-des-Kolumbus-Knaller. Und wenn er den Menschen zum geborenen Komplexitätsreduzierer erklärt, lässt sich dem auch gar nicht widersprechen: "Es gibt einige Strategien, auf die wir zurückgreifen, um die überschießend bunte Welt in den Griff zu bekommen. Auf eine davon möchte ich kurz eingehen. (...) Die Rede ist vom Vertrauen." Nämlich dem Vertrauen darauf, dass sich auch andere Menschen, Tiere und Naturgesetze an den vereinbarten Lauf der Dinge halten, also an Regeln, Axiome, Verabredungen und Gewohnheiten. Paradoxerweise ist aber gerade der, der sich am wenigsten an solche Verabredungen und Regeln hält, der größte Vereinfacher von allen. Er hat orange Haare, wohnt in einem weißen Haus und beweist mehrmals täglich, dass einfache Lösungen nichts als Probleme bereiten.
Es gibt, so kompliziert das auch erscheinen mag, verschiedene Formen von Einfachheit. Manche machen das Leben erst möglich. Zum Beispiel verkürzen wir doch sehr radikal, wenn wir eine bestimmte Häufung von Molekülen "Bürokollege" nennen oder "Drehtür". Und ein Hubschrauberpilot, der ins Trudeln kommt, wird im eigenen Interesse auch nicht jeden einzelnen Anströmwinkel extra vermessen, bevor er das Ruder zur Landung herumreißt. Man nennt das Heuristik: die wissenschaftliche Methode, aus begrenzter Information auf ein möglichst zuverlässiges Ergebnis zu schließen. Das funktioniert erstaunlich gut, auch in hochkomplexen Zusammenhängen. Dazu gehört aber auch, die tatsächliche Kompliziertheit der Dinge immer anzuerkennen. Sonst glaubt man am Ende, man könnte den Nahostkonflikt mit einem Popkonzertboykott lösen und den globalen Klimawandel per Tomatenzucht beenden.
Letztlich bleibt der Glaube, dass Einfachheit eine Qualität an sich sei, eine theologische Annahme. Ihre Kurzform: Gott hat ein wohlstrukturierte, regelgerechte Welt erschaffen, wenn nicht sogar die beste aller möglichen. Um es mit Albert Einstein zu sagen: Gott würfelt nicht. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weiß Einsteins Gott nichts von diesem Diktum. Die Ordnung, die wir vermuten, ist immer nur vorläufig, die Sicherheit, nach der wir streben, auf jeden Fall unscharf. Einfach ist das nicht, nicht im Weltraum und nicht in Wels. Aber es ist auch kein Grund zur Panik. Schwierigkeiten sind relativ. Man muss es nur wissen.