STOLZ UND VORURTEIL: Salzburger Mittelfeldspieler Valon Berisha freut sich über das 4:1 gegen Lazio Rom am 12. April.

Red Bull Salzburg hat den heimischen Fußball in die Gegenwart geholt

Mit dem Einzug ins Halbfinale der Europa League feiert Red Bull Salzburg den bisher größten Erfolg seiner jungen Vereinsgeschichte. Selbst erbitterte Gegner müssen inzwischen neidlos anerkennen: Der Club von Dietrich Mateschitz hat den heimischen Kick in die Gegenwart geholt.

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Von Salzburg aus gesehen liegt Marseille irgendwo hinter Maria Enzersdorf und Mattersburg, also in einer anderen Welt. Aber, alte Fußballregel: Am Ende zählt, was auf dem Platz passiert, egal wo er sich gerade befindet. Am Donnerstag dieser Woche bestreitet Red Bull Salzburg im Stade Vélodrome von Marseille sein erstes Europa-League-Halbfinalspiel gegen Olympique de Marseille, eine Mannschaft, die man in der Gruppenphase desselben Bewerbs schon zweimal sehr erfolgreich düpierte und die ihrerseits im Viertelfinale den Salzburger Schwesternverein RB Leipzig abserviert hat. Österreichische Energydrinks werden an der westlichen Côte d'Azur heuer wahrscheinlich nicht mehr groß in Mode kommen.

In Österreich hingegen hat man sich inzwischen dazu durchgerungen, Red Bull als Fußballfaktor ernst zu nehmen. Als der Getränkemilliardär Dietrich Mateschitz im Frühjahr 2005 den Salzburger Traditionsverein SV Austria Salzburg übernehmen, aufrüschen und umbenennen ließ, war dies noch nicht absehbar. Der Coup wurde als unfreundliche Übernahme gewertet, das Fußball-Engagement von Red Bull als hässliche Marketingkampagne und Ende aller Fußballtugenden. Tatsächlich ist die Spannung in der ohnehin nicht immer schillernden österreichischen Bundesliga aufgrund wettbewerbsverzerrender Budgetdifferenzen seither weitgehend abgebaut worden. In der Meisterschaft hat Red Bull Salzburg heuer von 30 Spielen nur zwei verloren.

Aber es gibt auch gute Nachrichten. In der laufenden Europa League wurden die internationalen Großgegner Real Sociedad, Borussia Dortmund und Lazio Rom bezwungen, Letztere innerhalb von fantastisch verrückten fünf Minuten, in denen Salzburg drei Tore schoss, was sogar den bekannten Bierduschengegner Dietrich Mateschitz zu einem spontanen Kabinenpartybesuch bewegte.

Prägender Einfluss auf heimsichen Fußball

Derzeit ist man in Österreich deshalb sehr stolz auf Salzburg. Das kann sich schnell wieder ändern. Was jedoch bleiben wird, ist Red Bulls prägender Einfluss auf den heimischen Fußball. Der vielgeschmähte Konzernverein hat den heimischen Kick in die Gegenwart geholt - und nach Europa. In der für die Europacup-Startplätze maßgeblichen UEFA-Fünf-Jahres-Wertung hat Salzburg Österreich mehr oder weniger im Alleingang auf Platz elf geschossen, was mit einiger Wahrscheinlichkeit für einen Champions-League-Fixplatz für den Meister 2018/19 reichen wird (der mit einiger Wahrscheinlichkeit Red Bull Salzburg heißen wird).

Auch die Salzburger Nachwuchspflege trägt Früchte: Aktuell spielen in der österreichischen Bundesliga etliche Red-Bull-Spieler leihweise bei anderen Vereinen, viele von ihnen in tragenden Rollen, darunter die Großtalente Majeed Ashimeru (WAC), Mergim Berisha (LASK), Stefan Stangl (Austria Wien) und der für Salzburg zuletzt in Liga und Cup ziemlich unangenehme Teilzeit-Mattersburger Smail Prevljak. Auch etliche Bundesliga-Trainer haben eine Vorgeschichte an der Salzach, zum Beispiel LASK-Coach Oliver Glasner (von 2012 bis 2014 Co-Trainer bei Red Bull Salzburg) oder Austria-Coach Thomas Letsch, der zuvor den Salzburger "Kooperationspartner" FC Liefering trainierte. Die von dem Red-Bull-Sportdirektor Ralf Rangnick entwickelte Fußballphilosophie (extremes Pressing, hohes Tempo, große Flexibilität) diffundiert in die heimischen Ligen.

"Ich denke schon, dass wir in der österreichischen Liga Vorreiter sind", sagt Salzburgs Sportdirektor Christoph Freund, und weil er auch fließend Marketingsprech spricht, formuliert er es gleich noch einmal, etwas blumiger: "Unser innovativer Weg der letzten Jahre hat sicher entscheidende Impulse für den österreichischen Fußball und die Bundesliga geliefert."

In der Gegenwart angekommen

Tatsächlich ist Österreich, das Land, in dem K & K immer auch für Kartnig und Krankl stand, in den vergangenen Jahren in der Fußballgegenwart angekommen. Diese Gegenwart hat in Salzburg ein konkretes Datum: 26. April. William Shakespeare hat an diesem Tag Geburtstag, Ketus, Kletus, Ratbert und Trudpert feiern Namenstag, der Super-GAU von Tschernobyl jährt sich, außerdem wird der Unesco-Welttag des Geistigen Eigentums begangen. Und eben: Halbfinale Europa League, Stade Vélodrome, Marseille gegen Salzburg.

Vor seinem Ausflug nach Europa musste Marco Rose aber noch durch die Mühen des Alpenvorlands, die er natürlich nie als solche bezeichnen würde. Vielmehr sagt der aus Leipzig stammende Cheftrainer von Red Bull Salzburg drei Tage nach dem 4:1-Sieg gegen Lazio Rom ganz nüchtern: "Wir haben uns heute um elf Uhr getroffen, danach hat die medizinische Abteilung den Status quo analysiert. Dann ging's in die unterschiedlichen Gruppen. Die einen regenerieren, die anderen trainieren. Und jetzt bereiten wir uns im Trainerteam auf Mattersburg vor." Zu den Gerüchten über seinen möglichen Wechsel in die deutsche Bundesliga (zur Debatte stehen Eintracht Frankfurt und Borussia Dortmund und natürlich auch RB Leipzig) äußert sich Rose vieldeutig nichtssagend: "Es macht mir Riesenspaß hier, und wir haben noch einiges vor in dieser Saison. Das ist das Einzige, worauf ich mich im Moment konzentriere."

So spricht einer, der nur gewinnen kann. Tatsächlich hat Rose in Salzburg das Verlieren verlernt. In seinen fünf Jahren bei Red Bull (als U16-, U18-, Youth-League-und Cheftrainer) hat Rose von 145 Spielen neun verloren. Der FM4-Blogger Martin Blumenau erklärte Rose denn auch schon im Herbst zum "besten in Österreich tätigen Coach", der "mit seinen strategischen und taktischen Maßnahmen Rest-Österreich als vorgestrig dastehen" lasse.

Dabei wirkte die Red-Bull-Fußballgeschichte am Anfang gar nicht sonderlich zukunftsträchtig. Nach den Vätern des Erfolgs gefragt, gibt Sportdirektor Freund zwar pflichtschuldig zu Protokoll, dieser sei in erster Linie "Herrn Mateschitz" zu verdanken, einem "absoluten Visionär". Nur bestand dessen Vision nach der Übernahme des SV Austria Salzburg vor allem darin, eine Runde altgedienter Fußballspieler und -lehrer (Kurt Jara, Giovanni Trapattoni, Co Adriaanse, Huub Stevens) nach Salzburg zu lotsen und darauf zu vertrauen, dass sie seinem Projekt schon irgendwie Flügel verleihen würden.

Rangnick als Mastermind

Es folgten sieben teils bizarre, teils turbulente Jahre. Dann trat Ralf Rangnick in das Leben des Dietrich Mateschitz. Gemeinsam mit dem französischen Fußballfunktionär Gérard Houllier und dem Trainer Roger Schmidt stellte Rangnick, vormals Schalke-und Hoffenheim-Coach, die Red-Bull-Fußballstrategie von den Füßen auf den Kopf. Damals entstand der rote Faden, an dem sich seither sämtliche Red-Bull-Spieler und -Trainer, ob in Salzburg, Leipzig, São Paulo oder New York, bei der U11, in der A-Jugend oder der Kampfmannschaft, entlanghanteln . Es geht, vereinfacht gesagt, um Geschwindigkeit: in den Beinen, im Kopf, am Ball, aber auch beim Scouting. Anstatt abgehalfterte Stars auf den Platz zu schicken, werden in der Ära Rangnick nur noch junge Talente gesucht und am besten schon in ihrer frühesten Jugend an den Verein gebunden. Spieler wie der französische Innenverteidiger Dayot Upamecano, der als 16-Jähriger nach Salzburg kam, genauer: zum RB-Zweitliga-Ableger FC Liefering, der aber noch in derselben Saison in die erste Bundesliga wechselte und ein knappes Jahr später nach Leipzig, zur Red-Bull-Filiale in der deutschen Bundesliga, wo der inzwischen 19-Jährige auf einen Marktwert von 25 Millionen Euro beziffert wird und damit zu den wertvollsten Spielern im Leipziger Kader gehört (allerdings doch deutlich hinter dem gerade für 65 Millionen Euro zum FC Liverpool vermittelten Ex-Salzburger Naby Keita).

Auf der Konzern-Achse Liefering-Salzburg-Leipzig werden also Rohdiamanten geschliffen und Marktwerte geschaffen. In Salzburg will man trotzdem nicht so gern über Leipzig reden. Mit seinem Kollegen Ralf Hasenhüttel habe er "gar keinen Kontakt ", sagt Salzburg-Trainer Marco Rose: "Leipzig ist Leipzig, und Salzburg ist Salzburg. Wir haben beide viel um die Ohren." Sportdirektor Freund sieht das ähnlich: "Wir sind ein eigenständiger Verein und sind in einem anderen Bereich tätig als RB Leipzig. Wir scouten in anderen Bereichen. Wenn Leipzig Interesse an einem unserer Spieler hat, ist das wie bei jedem anderen Verein auch. Wir lukrieren sehr gute Transfereinnahmen. Aber ob die aus Leipzig kommen, aus Leverkusen oder aus Liverpool, ist für uns nicht entscheidend."

Man will halt niemanden provozieren. Und nichts provoziert im Fußball so sehr wie offene kommerzielle Abgebrühtheit. Red Bull hat das früh gelernt, teils auch schmerzhaft, in Leipzig wie in Salzburg. Red Bull hat den Sport schon vor zehn Jahren in einem Geist betrieben, der ihn heute überall beseelt, auch wenn es niemand zugeben wird, wobei Red Bull nie große Angebote an die Traditionalisten und strukturkonservativen Dauerkartenbesitzer machte, sondern die provokante Parole ausgab: Sorry, die gute alte Zeit ist vorbei, Profifußball echt kein Sozialprojekt mehr. Wo Red Bull draufsteht, ist keine Geschichte drin, sondern immer nur das, was man darin sehen mag: böser Kommerz, reiner Kapitalismus, Spektakel. Inzwischen sieht man aber immer häufiger schlicht ein sehr zeitgemäßes, sehr erfolgreiches Unternehmen, das erstaunlich gut zum Vorbild taugt. Mit einem Wort von Marco Rose, kurz nach dem letzten Montagstraining gelassen gesprochen: "Erfolg macht sexy, das ist ja klar."

Mitarbeit: Gerald Gossmann

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Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur und ist seit 2020 Textchef dieses Magazins.