Bei Red Bull Salzburg wirkt man in diesen Tagen nervös. Eine Interviewanfrage von profil wird sofort abgelehnt und der Rollbalken heruntergefahren. Man wolle nicht reden, sondern zurück auf die Erfolgsspur, heißt es. Vor wenigen Tagen flog Salzburg gegen den schwächelnden LASK aus dem Cup. Und in der Liga rangiert man vorm Rückrundenstart am kommenden Sonntag hinter Sturm, Austria, Rapid und dem Wolfsberger AC (!) auf dem fünften Rang. Jahrelang lag Salzburg uneinholbar voran – nun hat man zehn Punkte Rückstand auf Platz eins. „Wir sind am Boden der Tatsachen angekommen“, erklärte Trainer Thomas Letsch.
Vor 20 Jahren stieg Red Bull in das Fußballgeschäft ein. Mateschitz setzte lange lieber auf waghalsige, eigens kreierte Trend-Sportarten, die zur Marke passten: Rennfahrer und Turmspringer, die sich von hohen Schanzen und Klippen stürzten. Dann aber erkannte er: Verkaufszahlen lassen sich am besten mit Massenphänomenen steigern. Im Jahr 2004 stieg Red Bull in die Formel 1 ein, 2005 wurde der Traditionsklub Austria Salzburg übernommen. Doch der Erfolg blieb anfangs aus. Mateschitz verpflichtete satte Altstars, die für die große Ligen schon zu langsam waren und auf den letzten Metern ihrer Karriere gemütlich abkassieren konnten. Dazu wurden prominente, aber längst überholte Trainer engagiert – etwa der Italiener Giovanni Trapattoni, der ein aus der Zeit gefallenes Faible für Abwehrschlachten hatte. Mateschitz tat, was viele Mäzene vor ihm taten: Heuern und Feuern – samt Millionenverlusten.
Dann kam Ralf Rangnick ins Spiel. Der Deutsche galt als akribischer Entwicklungshelfer, der bereits Erfahrung in der Modernisierung von Fußballklubs hatte. Er erklärte Mateschitz, dass seine Kicker alt und langsam seien. Was er denn ändern solle, fragte der Red Bull-Chef. Rangnicks Antwort: „Alles!“ 2011 übernahm Rangnick den Laden, der mittlerweile aus einer Flotte an Fußballteams bestand: RB Salzburg, RB Leipzig, RB New York. Er kreierte eine Philosophie, installierte eine aufregende Spielweise, verpflichtete pfeilschnelle Toptalente und innovative Trainer, die alle zum neuen Mantra passten: Angriff – immer und überall. Mateschitz wünschte sich lange eine Entwicklung, wie er sie im US-Film „Die Bären sind los“ gesehen hatte, in dem ein miserables Baseball-Team plötzlich bärenstark wird. Die Bullen sind los, das wäre doch was, dachte er. Rangnick hauchte seiner Vision Leben ein.
Blaupause für ein Geschäftsmodell
Salzburg wurde zum Nabel der Red-Bull-Fußballwelt. Das hat auch damit zu tun, dass eine riesige Nachwuchs-Akademie hier gebaut wurde. Der Standort bot viele Vorteile. In der kleinen österreichischen Liga konnten Rohdiamanten bereits mit 18 oder 19 Jahren Fuß fassen. So wurden europäische Topklubs aufmerksam. Salzburg verkaufte reihenweise Spieler um mehr als 20 oder 30 Millionen Euro. Erling Haaland, Dominik Szoboszlai oder Sadio Mané wurden zu Weltstars. Und die Salzburger steinreich. In der letzten Saison hat RB Salzburg 77,6 Millionen Euro aus Spielerverkäufen lukriert. Die aktuelle Champions-League-Vorrunde brachte 42,5 Millionen. Und 50 Millionen kassiert Salzburg im Juni für das Antreten bei der FIFA-Klub-WM.
Auch Red Bull partizipierte am Erfolg seiner Sportbeteiligungen – in Form von Werbewerten. 2003 verkaufte der Konzern weltweit 1,5 Milliarden Dosen pro Jahr. Heute sind es mehr als zwölf Milliarden.
Nun aber ist das alles in Gefahr. Der Red-Bull-Fußball funktioniert nicht mehr. Einst galt er als Rieseninnovation. Aber mittlerweile wurden Gegenrezepte entwickelt. Viele Teams überlassen den Bullen den Ball – und nehmen ihnen so ihre Stärke: das Bällejagen. Zuletzt wurde Salzburg erstmals seit elf Jahren nicht Meister. Und in Europa fürchtet sich auch keiner mehr. Salzburg sei „eine der schwächsten Mannschaften der Champions League“, schrieb die spanische „Marca“.
Der Red-Bull-Fußball sei „berechenbar“ geworden, erklärte Salzburgs Geschäftsführer Stephan Reiter letzten Sommer – und sprach von einer angestrebten „Evolution“. Man wolle „Veränderung in Angriff nehmen“, um bald wieder „einen Wettbewerbsvorsprung zu haben“. Der 42-jährige Holländer Pep Lijnders, davor Assistent beim FC Liverpool, wurde als neuer Trainer engagiert. Man habe ihn „aktiv eingeladen, Dinge zu verändern“, erklärte Reiter den „Salzburger Nachrichten“. Nun wurden die Bälle nicht mehr gejagt, sondern gehalten. Die Folge: Der Rambazamba-Fußball wich einem drögen Ballgeschiebe. Und aus der angestrebten Evolution wurde eine Erosion. „Der Verein wollte mit dem Ball eine Weiterentwicklung haben – aber das ist auf Kosten der Red-Bull-DNA gegangen“, erklärt René Aufhauser, der jahrelang für RB Salzburg als Assistenz- und Nachwuchs-Trainer tätig war, gegenüber profil. „Man hat den Red-Bull-Fußball einfach vergessen.“
Im Klub-Umfeld geistern mehrere Theorien umher, die den Misserfolg erklären sollen. Die Spieler haben keine Siegermentalität, sagen die einen. Die Mannschaft sei zu jung, unken die anderen. Manche denken, der RB-Stil sei entschlüsselt. Andere wiederum glauben, dass er bloß zu halbherzig umgesetzt werde. Manche vermissen auch eine Führungsfigur wie Rangnick. Einen Chefstrategen, der das Fußballspiel erdenkt und lenkt. Vor vier Jahren hat Rangnick den Red-Bull-Kosmos verlassen. Christoph Freund, der bei Rangnick in die Lehre ging, führte sein Werk nahtlos fort. 2023 wurde er aber vom FC Bayern abgeworben. Seither geht es bergab.
Im Herbst 2022 starb auch noch Dietrich Mateschitz, der große Mäzen. Seine Unternehmensdoktrin war es, alles intern zu regeln und keine Schmutzwäsche nach außen zu tragen. Doch nach seinem Tod begann ein öffentlicher Kampf um seine Nachfolge zu toben – samt Boulevard-Schlagzeilen. Denn Mateschitz war zwar CEO und das Gesicht der Red Bull GmbH – doch die Mehrheit (51 Prozent) gehört der thailändischen Familie Yoovidhya, die sich zunehmend einmischte.
Auch bei den Fußballklubs herrschte ein Führungschaos. Der 2023 neu bestellte Sportdirektor Bernhard Seonbuchner – der Nach-nachfolger von Rangnick – stand aufgrund der Misserfolge schnell in der Kritik. Bei Interviews wirkte er nervös. Immer öfter trat Geschäftsführer Reiter, ein Mann der Wirtschaft, vor die TV-Mikrofone – und gab die sportliche Richtung vor. „Wir müssen uns von diesem Dogma, extrem jung zu sein, ein Stück weit verabschieden und nach und nach Erfahrung in den Kader zuführen“, erklärte er.
Jahrelang bestand der Bullen-Erfolg aus zwei Faktoren: dem angriffigen Spielstil und blutjungen Teams. Stand nun im Panikmodus die gesamte Erfolgsmatrix auf der Kippe?
Die einst konsequent durchgezogene Linie wich einem Zickzack-Kurs. Kurz vor Weihnachten wurde die Neuausrichtung des Red-Bull-Fußballs wieder abgesagt – und Coach Lijnders entlassen. Der neue Plan: zurück zu den Wurzeln – zum alten Rambazamba-Angriffsstil, der nun reaktiviert werden soll. Zwei Deutsche mit viel Red-Bull-Fußball-DNA sollen das bewerkstelligen: Thomas Letsch als Trainer und Rouven Schröder als Sportdirektor. Der Kader wird derzeit kräftig umgebaut. Aber anders als früher wird nicht auf die Jugend, sondern auf Routiniers gesetzt. Der 32-jährige Karim Onisiwo wurde verpflichtet. Und der 27-jährige Maximiliano Caufriez. Doch der erhoffte Aufwärtstrend blieb aus. Die ersten drei Partien nach der Winterpause gingen verloren. Die roten Bullen, sie wirken wie ratlose Bullen.
Einst stand Salzburg für Kontinuität und Weitsicht. In den letzten zwei Jahren wechselten sich jedoch vier Trainer und drei Sportdirektoren ab. Einst wurde der Bullen-Erfolg auf deren Reichtum zurückgeführt. Nun zeigt sich: Es war in erster Linie ein klares Konzept, das den Erfolg brachte. Nicht das Kapital.
Nervosität im Konzern
Im Red-Bull-Konzern wird man jedenfalls langsam nervös. Denn der Fußball bleibt ein wichtiges Geschäftsfeld. Es wird sogar kräftig expandiert. Neben den Flaggschiffen RB Leipzig (auch dort kriselt es gewaltig) und RB Salzburg wurde ein Verein in Japan übernommen. Bei Klubs aus England (Leeds United) und Frankreich (Paris FC) hat man Anteile erworben. Dazu hält Red Bull Dependancen in Brasilien und den USA – und sponsert neuerdings auch Athletico Madrid und den FC Torino. Es braucht also dringend ein Erfolgsrezept für das wachsende Kick-Konglomerat. Denn ohne funktionierenden Spielstil keine Champions League, kein Jubel-Trubel, keine begehrten Kicker. Heißt letzten Endes: keine Millionen – und kein saftiger Werbewert. Red Bull will schließlich Flügel verleihen, keine müden Beine.
Klar ist mittlerweile, wer die Richtung im Red-Bull-Konzern nach dem Tod von Dietrich Mateschitz vorgibt: der deutsche Ex-Langstreckenläufer und Betriebswirt Oliver Mintzlaff. Er leitet den Konzern als Teil einer Dreier-Geschäftsführung – und ist dabei für die Sportbeteiligungen zuständig. Mintzlaff stieß einst als Berater von Ralf Rangnick zu Red Bull – und gewann bald das Vertrauen von Firmenboss Mateschitz. Dann aber verkrachte er sich ausgerechnet mit Rangnick, der Red Bull 2020 angesäuert verließ.
Nun muss Mintzlaff den Karren selbst flottbekommen. Und dafür hat er einen großen Namen verpflichtet: Jürgen Klopp, 57, einst mit dem FC Liverpool Meister und Champions- League-Sieger, hat weltweit den Ruf als Sympathieträger und Trainer-Gott.
Mitte Jänner wurde er im Salzburger Hangar 7 als „Head of Global Soccer“ vor rund 200 Journalisten präsentiert. Red Bull inszenierte eine große Show: Klopp marschierte ein, wurde beklatscht, saß auf einem Podest. Fast 90 Minuten dauerte das Vorstellungstrara. „Ist das die längste Pressekonferenz in der österreichischen Geschichte?“, fragte Klopp ungläubig. Beim Energydrink-Riesen ist die Erwartungshaltung hoch: Klopp soll den Red-Bull-Kick aus der Krise führen.
In seiner neuen Rolle aber wirkte er noch etwas ungelenk. Eigentlich hätte er nach den fordernden Jahren in Liverpool eine Pause benötigt, erklärte der Deutsche. Dann aber kam Red Bull dazwischen. Klopp, wuscheliges Haar, Dreitagesbart, weiße Turnschuhe, saß nun im riesigen Hangar zwischen allerlei Red-Bull-Deko, nippte an einer Red-Bull-Dose und erklärte etwas hilflos: „Ich möchte den Leuten Flügel verleihen.“
In seinen ersten Wochen reiste er um die Welt, besuchte Red Bull New York, Red Bull Brasilien, er hielt Kontakt zu Red Bull Salzburg. Was genau Klopp nun verändern soll – und wie er die angeknackste Spielweise wieder flottbekommen will? „Das Problem ist“, erklärte er, „wenn du der Welt da draußen von deinen Ideen erzählst, fragen sie dich jeden Tag: Wo sind sie? Wo kann ich sie sehen? Das bremst die Entwicklung.“ Klopp ist als Heilsbringer vorgesehen. Heilsversprechen hat er noch keines parat.