„Die schönste Art von Fußball”

Salzburg-Coach Roger Schmidt über Erfolge und Wutanfälle

Fußball. Salzburg-Coach Roger Schmidt über Erfolge und Wutanfälle

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Interview: Rosemarie Schwaiger

profil: Red Bull Salzburg brach zuletzt diverse Rekorde der österreichischen Fußballgeschichte. Plötzlich ist fast jeder Salzburg-Fan. Und alle Experten singen Lobeshymnen auf Sie als Trainer. Können Sie eine solche Ausnahmesituation einfach genießen? Oder wird Ihnen mulmig, wenn Sie daran denken, welche Erwartungshaltung Sie geschaffen haben?
Roger Schmidt: Ich kann das sehr wohl genießen. Natürlich weiß ich, dass es nicht alltäglich ist, was wir im Moment erleben. Fußball kann unglaublich schön sein, aber auch unglaublich brutal. Man sollte im Hier und Jetzt fokussiert bleiben und anerkennen, dass es uns derzeit richtig gut geht.

profil: Beim 0:0 gegen den FC Basel am vergangenen Donnerstag hatte Salzburg zum ersten Mal seit langem Probleme. Die Spieler wirkten nachher ziemlich fassungslos. Stefan Ilsanker etwa sagte: „Es ist ein komisches Gefühl, nicht zu gewinnen.“ Waren Sie sich Ihrer Sache zu sicher?
Schmidt: Die Frage an sich ist schon außergewöhnlich. Wir haben bei einem regelmäßigen Champions-League-Teilnehmer im Achtelfinale der Europa League auswärts gespielt, waren die bessere Mannschaft und erreichten ein Unentschieden. Das macht uns nicht fassungslos. Was wir erreicht haben, war mit intensiver, harter Arbeit verbunden. Wir haben keinen Alleinanspruch auf Siege.

profil: Werden Sie im Rückspiel die Strategie ändern?
Schmidt: Wir haben eine glänzende Ausgangsposition und werden wieder volles Rohr auf Sieg spielen. Darin sind wir besonders gut.

profil: Nach den zwei Siegen gegen Ajax Amsterdam träumten die Fans schon vom Finaleinzug in der Europa League. Sollen sie weiter träumen?
Schmidt: Jetzt träumen wir erst einmal davon, am Donnerstag einen großartigen Europa-League-Abend zu erleben. Hoffentlich verbunden mit dem Einzug ins Viertelfinale.

profil: Begonnen hatte Ihre Zeit in Salzburg ja erheblich weniger glorreich. Gleich Ihr zweites Match als Trainer war am 24. Juli 2012 das peinliche 0:1 gegen den luxemburgischen Halbamateurverein Düdelingen. Mehr als die Hälfte der Spieler von damals ist immer noch dabei. Was hat sich denn so gravierend verändert?
Schmidt: Wir haben uns weiterentwickelt. Damals kam auch alles Unglück dieser Welt zusammen: Der linke Außenverteidiger Dusan Svento wurde nach einer Minute mit Kreuzbandriss vom Platz getragen. Dann bekamen wir einen Sonntagsschuss in den Winkel. Jonatan Soriano erhielt noch eine gelb-rote Karte für eine angebliche Schwalbe, obwohl wir eigentlich einen Elfmeter hätten kriegen müssen. Das war zu viel.

profil: Wie fühlt es sich an, wenn man als Trainer auf der Bank sitzt und so einem Fiasko zusehen muss?
Schmidt: Nicht gut. Aber man hat ja immer die Hoffnung, dass sich noch etwas ändert. Und damals dachten wir auch, wir könnten es im Rückspiel ausgleichen.

profil: Haben Sie sich nicht gefragt, ob Sie besser in Deutschland geblieben wären?
Schmidt: Nein, wenn ich mich für etwas entschieden habe, schaue ich nicht mehr zurück.

profil: Fühlten Sie sich anfangs fair behandelt in Österreich?
Schmidt: Ich fühlte mich von den Menschen fair behandelt, die mir wichtig sind: von den Leuten im Verein und von den Fans. Die Häme der Medien tut mir nicht weh. Die ist mir völlig egal.

profil: Wirklich? Es muss doch schlimm sein, einen neuen Job anzutreten und dann in der Zeitung zu lesen, dass man gerade „eine historische Blamage“ mitverschuldet hat.
Schmidt: In dieser Beziehung habe ich ein unerschütterliches Selbstbewusstsein. Ich weiß, dass ich ein guter Trainer bin, und ich weiß, dass ich eine Mannschaft führen kann. Das wird nicht dadurch erschüttert, dass irgendwer schreibt: „Roger Schmidt ist eine Pfeife.“

profil: Die Salzburger Spieler galten lange als sehr bequem. Es wurde nicht gerade bis zum Umfallen gekämpft. Jetzt ist das völlig anders. Wie bringt man den Schlendrian aus einer Mannschaft heraus?
Schmidt: Indem man Ziele setzt und der Mannschaft vermittelt, dass es ohne Geschlossenheit und Leidenschaft nicht geht. Darauf kann kein Verein verzichten. Das ist die Basis für alles. Gerade unsere Spielweise ist geprägt davon, sich gegenseitig zu unterstützen und sehr geschlossen zu agieren. Das versuche ich der Mannschaft auch in der täglichen Trainingsarbeit zu vermitteln.

profil: Und wie geht das?
Schmidt: Wir trainieren, in Unterzahl gegen eine Überzahl den Ball zu gewinnen. Dafür muss man taktisch gut sein. Man muss kompakt agieren und durch Verdichtung um den Ball herum dem Gegner die Überzahl wegnehmen. Das schaffe ich, indem ich sehr viel Druck auf den Ball kriege und sehr nah dran bin. Wenn die Spieler spüren, dass es funktioniert, können sie das ins Match transportieren. Dann kommt der Mut, das auch umzusetzen.

profil: Selbst der „New York Times“ war diese Strategie vor Kurzem eine Betrachtung wert. „Salzburg hebt die Kunst des Pressings auf ein neues Level“, hieß es. Ist das eine Philosophie, die Sie als Trainer überall einsetzen würden? Oder passt es besonders gut zu dieser Mannschaft?
Schmidt: Natürlich muss man die Feinjustierung auf den Kader abstimmen. Aber grundsätzlich würde ich das überall so ähnlich spielen, weil es aus meiner Sicht die schönste Art von Fußball ist. Ich möchte, dass meine Mannschaft so spielt, dass die Zuschauer das Spiel genießen. Dynamik, Intensität, Tempowechsel: Das ist es, was Fußball eigentlich ausmacht. Es ist wesentlich attraktiver als so ein Ballgeschiebe.
profil: Defensives Rasenschach gefällt Ihnen gar nicht?
Schmidt: Für mich steht fest, dass eine Mannschaft, die ich trainiere, nie so einen Fußball spielen wird. Da höre ich vorher auf, das würde mir keinen Spaß machen.

profil: Wenn man Sie im Fernsehen bei einem Match sieht, könnte man auf die Idee kommen, dass Sie sich intensiver ärgern als freuen können.
Schmidt: Auf diese Idee könnte man vielleicht kommen, ja.

profil: Jedenfalls werfen Sie gerne mit Wasserflaschen.
Schmidt: Ich kann mich unglaublich ärgern. Aber während des Spiels sollte man mich nicht so ernst nehmen. Da bin ich in einem anderen Modus.

profil: Der ehemalige Salzburger Sportdirektor Heinz Hochhauser sagte vor ein paar Jahren in profil: „Es gibt keinen Topspieler, der nach Österreich kommt, solange er noch woanders in einer Spitzenliga spielen kann. Dem kannst du zahlen, was du willst.“ Würden Sie das unterschreiben? Oder hat sich das geändert?
Schmidt: Wenn er damit meinte, dass es nicht möglich ist, einen Spieler zu holen, der schon den Durchbruch geschafft hat, stimme ich ihm zu. Aber man kann Spieler finden, die kurz davor sind, richtig gut zu werden. David Alaba wird man nicht davon überzeugen können, nach Salzburg zu gehen. Kevin Kampl und Sadio Mane konnten wir überzeugen. Und das war für beide Seiten ein toller Wechsel.

profil: Es bleibt aber noch die Frage, wie lange Spieler wie Mane, Kampl, Soriano und ein paar andere in Österreich bleiben.
Schmidt: Diese Spieler haben alle sehr langfristige Verträge. Sie bleiben so lange, bis jemand kommt und ein Vielfaches von dem bezahlt, wofür sie eingekauft wurden. Wenn sie irgendwann einem anderen Verein 20 bis 25 Millionen Euro wert sind, freuen wir uns alle, dass sie bei uns gewesen sind, und sie werden wechseln.

profil: Viele Trainerkollegen in Österreich werden Sie um die Annehmlichkeiten und das viele Geld beneiden, das Salzburg zur Verfügüng hat. Beneiden Sie umgekehrt manchmal die Kollegen, weil deren Teams keine so hohen Erwartungen erfüllen müssen?
Schmidt: Bevor ich nach Salzburg kam, hatte ich genau das. Paderborn (der SC Paderborn, Schmidts früherer Verein, spielt in der zweiten deutschen Bundesliga, Anm.) hatte von allen Vereinen in der Liga den kleinsten Etat. Jeder Experte sah uns vor der Saison als Abstiegskandidat Nummer eins. Das war eine Situation, in der man nur positiv überraschen konnte. Jetzt habe ich das andere Extrem. Wenn du bei Red Bull Salzburg nicht jedes Spiel 5:0 gewinnst, heißt es schon, der Verein steckt in der Krise. Natürlich war es in Paderborn einfacher, weil der Druck nicht so groß war. Auf der anderen Seite sind meine Möglichkeiten hier viel größer. Wenn ich erfolgreich sein, Titel gewinnen und auch international etwas Außergewöhnliches erreichen will, ist mir die Situation in Salzburg lieber.

profil: In der heimischen Bundesliga läuft es nicht ganz rund. Die Zuseherzahl ist in den vergangenen Jahren gesunken, das Niveau vieler Spiele auch. Wenn Sie einen Wunsch frei hätten: Was müsste sich ändern?
Schmidt: Dann würde ich sagen: Lasst uns eine 18er-Liga machen, in der jeder gegen jeden nur einmal auswärts und einmal zu Hause spielt.

profil: Ist das Ihr Ernst? Dann müsste Salzburg gegen ein paar noch schlechtere Gegner antreten.
Schmidt: Sie haben ja gesagt, dass ich einen Wunsch frei habe. Und es gibt in Österreich durchaus ¬Städte, die von ihrer Größe her das Potenzial hätten, in der Bundesliga zu spielen. Ich finde es schlimm, dass ein Verein wie der LASK nicht in der Bundesliga vertreten ist. Wenn Linz, Klagenfurt und ein paar andere Städte dabei wären, würde das die Liga aufwerten und jedes einzelne Spiel attraktiver machen.

profil: Wie lange werden Sie in Salzburg bleiben?
Schmidt: Ich habe gerade meinen Vertrag verlängert, weil ich mich hier sehr wohl fühle. Wir sind noch nicht am Ende unserer Entwicklung.

profil: Was ist das Ziel? Wann würden Sie sagen: Jetzt hab ich hier alles erreicht und muss weg?
Schmidt: Das zu sagen, hielte ich für sehr respektlos gegenüber dem Verein, den man hinterlässt. Nach dem Motto: Man ist etwas Besseres als der Verein. So denke ich überhaupt nicht. Mir muss der Fußball Spaß machen. Nach Salzburg bin ich gekommen, weil wir international spielen können. Das schaffen wir jetzt, und wir sind dieses Jahr noch nicht am Ende. Vielleicht erreichen wir noch die nächste oder übernächste Runde. Und mit den Erfahrungen kann das nächste Jahr international noch besser werden.

profil: Da muss es dann aber die Champions League sein.
Schmidt: Das ist das Ziel, aber man darf jetzt nicht den Fehler machen, zu glauben, die Champions League sei quasi selbstverständlich. Es kann sein, dass wir in der Qualifikation gegen Arsenal London spielen. Da ist es nicht ausgemacht, dass wir gewinnen. So abgehoben sind wir dann auch nicht.

profil: Wie kam der Salzburger Sportdirektor Ralf Rangnick vor zwei Jahren ausgerechnet auf Sie?
Schmidt: Er hat wohl gesehen, dass wir in Paderborn guten Fußball gespielt spielten, und zwar auf eine Art, wie er sich das auch für Red Bull Salzburg vorstellte. Dann führten wir ein paar Gespräche und merkten schnell, dass wir sehr gut miteinander klarkommen.

profil: Sie sind der erste Trainer, den Red-Bull-Chef Didi Mateschitz nicht persönlich ausgesucht hat. Mischt er sich sonst gelegentlich ein?
Schmidt: Wir sprechen ab und zu miteinander. Aber der Austausch ist nicht so regelmäßig, wie er ihn mit unserem Sportdirektor und unserem Global Sports Director hat. Ich glaube, Herr Mateschitz hat sehr bewusst Ralf Rangnick und Gerard Houllier geholt, um ihnen die Entscheidungskompetenz zu übertragen. In meinem Bereich als Trainer kann ich autark arbeiten.

profil: Ihre Heimat Deutschland steht bei der WM in Brasilien massiv unter Druck. Es soll endlich wieder einmal ein Titel her. Wird es diesmal funktionieren?
Schmidt: Ich fürchte, das wird schwer. Wir haben natürlich eine super Mannschaft. Aber viele Spieler sind derzeit nicht in der idealen Verfassung. Außerdem hat in Südamerika noch nie eine europäische Mannschaft den WM-Pokal geholt.

profil: Die Enttäuschung wäre riesig, wenn es wieder nur für das kleine Finale reichen sollte.
Schmidt: Das ist dann aber Jammern auf höchstem Niveau.

profil: Sie waren selbst Fußballer, haben dann Maschinenbau studiert und als Ingenieur gearbeitet. Warum sind Sie doch wieder im Fußball gelandet?
Schmidt: Das hatte ich eigentlich nicht in Erwägung gezogen. Ich habe zwar die Trainerscheine gemacht, aber nur, weil ich dachte, das würde ich einmal brauchen können. Dann ließ ich mich überreden, nebenbei auch als Trainer zu arbeiten. Und als ich eigentlich aufhören wollte mit dem Fußball, weil es zu viel wurde, kam diese Anfrage von Preußen Münster. Der Präsident überzeugte mich davon, es hauptberuflich zu machen. Bei mir war das eine Bauchentscheidung. Ich sagte mir, der Fußball ist meine Leidenschaft, und vielleicht auch das, was ich am besten kann.

profil: Red Bull ist seit 2005 in Salzburg engagiert. Sollte es kommende Saison mit der Champions League klappen, wären das zehn Jahre Anlauf und vermutlich fast eine halbe Milliarde Euro Investition. Hätte man das nicht billiger haben können?
Schmidt: Ich kann nicht beurteilen, ob diese Summe stimmt. Und vielleicht war der Marketingeffekt trotz allem positiv. Wenn wir uns jetzt mit Red Bull Salzburg international etablieren, kann sich das sehr schnell in einem anderen Licht darstellen. Im Moment sind wir für die Marke sicher gut.

profil: RB Leipzig, ebenfalls im Besitz von Red Bull, wird von vielen Fans als seelenloser Retortenverein gesehen. Verstehen Sie diese Kritik?
Schmidt: Ich kann ein bisschen nachvollziehen, wie sich Fans fühlen, die in der Familie vielleicht schon seit Generationen zu einem Verein gehen. Aber man sollte das nicht zu sehr aus einem einzigen Blickwinkel betrachten. Wenn RB Leipzig irgendwann in der ersten deutschen Liga spielt, wird ganz Ostdeutschland extrem froh darüber sein. Denn klar ist auch: Wäre Red Bull nicht in Leipzig eingestiegen, würde es verdammt lange dauern, bis dort mal wieder ein Verein auf der Landkarte erscheint.

profil: Vielleicht war der Trick mit dem Namen genau eine Umdrehung zu viel. Also den Verein RasenBallsport Leipzig zu nennen, nur damit in der Abkürzung RB steht …
Schmidt: So etwas gab es früher auch schon. In Ostwestfalen hatten wir zum Beispiel den LR Ahlen. LR stand für ‚Laufen Rasenfreunde‘. Und dahinter stand das Unternehmen LR Cosmetics.

Red Bull Salzburg: Die Torfabrik
Seit April 2005 gehört der Verein zum Imperium des Energydrink-Erzeugers Red Bull. Seither wurde das Team viermal österreichischer Meister, zuletzt in der Saison 2011/12. Mit einem Jahresbudget von rund 50 Millionen Euro ist Red Bull Salzburg der mit Abstand reichste österreichische Bundesligaverein. Die Leistungen passten trotzdem lange nicht zu den hohen Ansprüchen. Das änderte sich nach dem Amtsantritt von Trainer Roger Schmidt, 47, im Sommer 2012. Red Bull steht schon jetzt, neun Runden vor dem Ende der Saison, als Meister praktisch fest. Von den letzten 61 Pflichtspielen hat Salzburg 44 gewonnen und nur 4 verloren. Besonders beeindruckend verlief der bisherige Auftritt in der Europa League: Zehn von elf Spielen endeten mit einem Sieg, nur das bisher letzte brachte ein Remis. Am kommenden Donnerstag spielt Red Bull Salzburg daheim ­gegen den FC Basel um den Aufstieg ins Viertelfinale.

Bild: Florian Rainer für profil