Das war 2024: Abschied von Richard Lugner im Stephansdom
Von Angelika Hager
Schriftgröße
Das Genre: Operette noir. Die Dimension: Staatsgottesdienst. Ausländische Passanten fragen sich angesichts des Aufgebots vor dem Dom wohl: Ist hier ein früherer Präsident der Republik gestorben? Oder gar ein Popstar der Herzen? Nein, es ist nur ein lange Zeit sehr erfolgreicher Baumeister und Unternehmer, der sich die Aufmerksamkeit der Republik vor allem durch die Anmietung internationaler Stars und Starlets als Opernballbegleitung erkauft hat, der nun im satten Alter von 91 Jahren die Showbühne der Society verlassen hat. Und der in seinem Leben die Raimund-Posse „Der Bauer als Millionär“ einfach umdrehte und den kritikresistenten Parvenu, mit Austern im Ketchup-Bad und kokainweißer Stretchlimo, in der Dauerschleife gab. Die Häme und das Nasenrümpfen, die Richard Lugners nahezu pathologisches Kasperltheater auf allen erdenklichen Medienkanälen evozierte, perlten an ihm mühelos ab. Auf die Frage, ob ihn diese latente Verachtung nicht kränke, erklärte er im profil-Interview nur: „Schauen Sie, wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten.“ Zusatz: „Mir macht das alles einen solchen Spaß.“
Bodyguards bewachen, aufgepumpt mit Bedeutsamkeit, im Inneren der Kathedrale die Absperrungsschnüre, die das schaulustige Volk von der Trauergemeinde trennen. In der kirchlichen VIP-Lounge hat sich die Familie (Tochter Jacky; deren FPÖ-Gatte Leo Lugner, vormals Kohlbauer; Christina Lugner, vormals „Mausi“, die schon kurz nach dem Ableben des öffentlichsten Menschen Österreichs einen Jackie-O.-artigen Auftritt auf ihrem Stammspielplatz, dem Strandcafé an der Alten Donau, hingelegt hatte; sowie die Söhne Alexander und Andreas mit Frauen) in der rechtsseitigen Frontrow in Position gerückt. An der Kanzel in milkafarbenem Glamouroutfit: „Seitenblicke“-Hochwürden Toni Faber. Das Styling der weiblichen Trauergäste liegt irgendwo zwischen den Kardashians und den Geissens.
Die Operette noir nimmt ihren effektiven Anfang mit dem Eintreffen der Witwe „Bienchen“ alias Simone Lugner, Ehefrau Nummer 6, eine ehemalige Baumarktangestellte, die nach 72 Tagen Ehe die Villa in Grinzing vertraglich in der Tasche hat. „Bienchen“, in langem Schwarz und keksgroßem Fascinator auf dem weißblonden Haupthaar, lässt sich in einer weißen Stretchlimousine, Lugners traditionellem Opernball-Auftrittsgefährt, vor den Dom chauffieren. In Sachen Geschmack dürfte sie ihrem verstorbenen Gatten eine gelehrige Schülerin gewesen sein.
Was sich auch an den Showeinlagen im Dom ablesen lässt, wo der Elvis-Imitator Dennis Jale neben „Amazing Grace“ auch Simones adaptierte Version von „Candle in the Wind“ tremoliert: „Goodbye, Richard my Love!“ Und, was für ein Wink des Schicksals, exakt am Todestag von Lady Di wird Richard Lugner zu Grabe getragen. Warum Frau Lugner sich erst mit 20-minütiger Verspätung und in Begleitung ihrer „besten Freundin“ Lydia Kelovitz, die in Lugners Streichelzoo einst den Beinamen „Wildsau“ verpasst bekommen hat, zur Trauerfeier der „Liebe meines Lebens“ einfindet, erklären Insider später mit einer gewissen Nervosität vor den Aversionen des Clans. Nicht nur durch die Platzierungen in großem Sicherheitsabstand sinddie Spannungen zwischen der Kurzzeit-Ehefrau und der Kernfamilie von „Mörtel“ spürbar.In den Reihen dahinter alter FPÖ-Adel in Form von Heinz-Christian Strache und Norbert Hofer, der in seiner Trauerrede geschickt die Schönheiten des Burgenlands und der Burgenländer:innen platziert. Um den blau-schwarzen Proporz in der Balance zu halten, hält der niederösterreichische Landtagspräsident Karl Wilfing (ÖVP) ebenfalls eine Lobpreisung des Verstorbenen. Lugner sei trotz seiner Bundespräsidentschafts-Kandidaturen „kein politischer Mensch“ gewesen, erklärt ORF-Begräbniskommentator Roland Adrowitzer, aber ideologisch „irgendwo zwischen ÖVP und FPÖ“ zu Hause gewesen. Auch das Wort „Fremdschämen“ entgleitet Adrowitzer ein, zwei Mal.
Bemerkenswert, dass ORF III das Lugner-Begräbnis live und in voller Länge überträgt und zu einem Ereignis hochjazzt, das durchaus ebenbürtig mit royalen Abschieden in europäischen Königshäusern behandelt wird. Bei den Trauerreden wendet sich ausschließlich die ehemalige Kabarettistin Edith Leyrer, glamourös in Schwarz mit theatralischem Hut, kondolierend an die Witwe; bei den anderen Ansprachen wird diese nicht einmal erwähnt. Die Theatralik des Leyrer-Hutes ergänzt perfekt deren pathostriefenden Vortrag eines Kästner-Gedichts über den Zug des Lebens, in dem die erste und zweite Klasse klar voneinander getrennt sind – und wo unser Richard natürlich ganz zu Recht im Plüschabteil zu sitzen gekommen war.
Danach wird der Lugner-Sarg, der auf dessen Anweisung im Lugner-City-Rot gehalten ist, in eine schwarze Limo verladen, die sich in Richtung 19. Bezirk zur Kaasgraben-Kirche und anschließend zum Heurigen Fuhrgassl-Huber in Bewegung setzt.
Die Operette geht natürlich weiter. Die Hauspostillen von Simone Lugner, „heute“ und „Österreich“, halten uns auf dem Laufenden: Simone weinend im Brautkleid am Grab, dann ihre Entlassung aus der Lugner-City, die Präsentation ihrer eigenen Honig-Linie „Bienchen“, ihre Vorbereitungen zum C-bis-F-Promihopsen „Dancing Stars “ – und die beruhigende Nachricht, dass die Katze „Nyo“, gerettet aus Russland, ihr immer wieder Kraft gibt und auch mit Richards Geist in Interaktion tritt, der noch immer durch die Villa segelt. Was will man mehr? Stay tuned!
Angelika Hager
leitet das Gesellschafts-Ressort