Hochzeit von Prinz Harry und Meghan Markle: Die Windsors als schrecklich normale Familie
Gleich neben dem Anwesen von William und Kate, in dem auch Harry wohnt, residieren einige Superreiche, allerdings ohne blaues Blut: Der russische Putin-Freund und Oligarch Roman Abramowitsch, der reichste Brite Len Blavatnik, der chinesische Tycoon Wang Jianlin. Die für den öffentlichen Verkehr gesperrte Milliardärsstraße sieht mit ihren Gaslaternen vor allem nachts noch immer so aus, als wäre London die Hauptstadt eines Empires und in den Himmelbetten der Paläste schlummerten sanft viktorianische Prinzessinnen dem nächsten Tag entgegen. In manchen Nächten kann man neuerdings eine zierliche Gestalt aus dem Kensington-Palast huschen sehen.
Nach verlässlichen Informationen der "Royal Correspondents" verlässt die 36-jährige Meghan Markle regelmäßig nachts den goldenen Käfig. Markle, bis vor Kurzem bekannt als Rachel Zane aus der amerikanischen Fernsehserie "Suits", wird am 19. Mai im Schloss Windsor Prinz Harry heiraten. Ihre Erkundungsgänge stehen im Zeichen der Nächstenliebe. Die zukünftige Herzogin von Sussex (der Titel ist noch nicht offiziell, gilt aber als hoch wahrscheinlich) besucht in diesen ruhigen Stunden Obdachlose, geht in die Asylheime und unterhält sich mit ihren zukünftigen Untertanen. Auch die Überlebenden der Grenfell-Tower-Katastrophe hat sie schon mehrfach aufgesucht. 71 Menschen sind im vorigen Juni bei einem Brand in Kensington gestorben - im selben Bezirk, in dem sich auch der Palast der Windsors befindet. Allerdings stand das fahrlässig gewartete Hochhaus im nördlichen und damit armen Stadtteil. Meghan kommt zu diesen Besuchen ohne Prinz Harry und ohne Kameras. Sie setzt sich zu den Leuten, die teilweise immer noch auf neue Wohnungen und Kompensation warten. Meghans verstorbene Schwiegermutter Diana dürfte bei diesen Inszenierungen Pate gestanden haben. Doch wie bei allen Geschichten rund um die Royals weiß man nie, ob es sich um ein rührendes Märchen oder eine knallharte PR-Aktion handelt.
Meghan Markle hat in jedem Fall die größte Rolle ihres Lebens gelandet. "In ihren Adern fließt das Blut von Sklaven aus Georgia und von Königen aus Schottland", erklärt Andrew Morton, der soeben "Meghan. A Hollywood Princess" publizierte. Morton hat Meghan noch nie getroffen, interviewte aber zahlreiche Wegbegleiter. Eine seiner Gesprächspartner war Meghans Kindheitsfreundin Ninaki Priddy, die den Knüller lieferte: Meghan soll schon als kleines Mädchen davon geträumt haben, "eine neue Diana" zu werden.
600 Hochzeits-Gäste
Am 19. Mai um 12 Uhr mittags wird sich diese Sehnsucht erfüllen: Vor platzbedingt nur 600 Gästen wird sie dem einstigen Problemprinzen Harry in der St.-George-Kirche auf Schloss Windsor das Jawort geben. Der Designer des Brautkleids ist noch ein Geheimnis, Burberry scheint ein heißer Kandidat zu sein. Von Meghans Familie sind nur die Eltern zugelassen, die Halbgeschwister müssen fern bleiben. Ein Schicksal, das sie sich mit der krisengeschüttelten Premierministerin Theresa May und dem früheren US-Präsidenten Barack Obama teilen, was besonders verwundert: Schließlich setzt der sich für Harrys Versehrten-Olympiade "Invictus" ein. Abends wird Prinz Charles für seinen Zweitgeborenen eine Party schmeißen, davor gibt es einen Empfang im Schloss mit 2640 Normalbürgern, die durch besonderes soziales Engagement auffielen.
Meghan Markle ist angekommen, dabei war ihre Ausgangsposition alles andere als verheißungsvoll. Sie wuchs in Los Angeles auf, ihr Vater arbeitete als Beleuchter auf Filmsets. Meghan war zwei Jahre alt, als sich die Eltern trennten. Das Besondere an Meghans Kindheit war aber nicht nur das dramatische Umfeld von Hollywood mit der absurden Diskrepanz zwischen Glamour und Arbeitslosigkeit, schicken Celebritys und zerbrochenen Familien. Meghan Markles Geschichte beginnt als Kind zwischen den Stühlen: Ihr Vater Tom Markle ist weiß, ihre Mutter Doria Ragland schwarz. In den 1980er-Jahren waren "biracial couples" in Kalifornien noch äußerst ungewöhnlich. Legal wurde die Ehe zwischen Schwarzen und Weißen in den USA erst 1967.
Meghans soziales Leben war von Anfang an von ihrer Hautfarbe geprägt. Ihre Schauspielkarriere litt darunter, dass sie für die schwarzen Rollen zu weiß und für die weißen zu schwarz war. Ursprünglich hatte sie Diplomatin werden wollen. Sie bewarb sich nach einem Studium der Internationalen Beziehungen an der Elite-Uni Northwestern in Chicago auch beim US-State-Department - ohne Erfolg. Dann versuchte sie es als Schauspielerin und tingelte in Los Angeles von einem Casting zum nächsten. Erst mit der Rolle der zielstrebigen Rachel Zane, die mit aller Kraft ihren Traum von der Recherche-Assistentin zur Anwältin verfolgt, in der TV-Erfolgsserie "Suits" schaffte sie 2011 den Durchbruch.
Ende der Schauspielkarriere
In der Serie wird Rachel Zane noch schnell ihre Langzeitliebe heiraten, bevor Markle Prinz Harry das Jawort gibt. Denn die zukünftige Prinzessin wird, wie einst Grace Kelly, natürlich ihre Schauspielkarriere beenden müssen. Meghan gibt für ihren Harry noch ein paar andere Dinge auf. Dazu gehört ihr eigener Blog "The Tig", benannt nach dem italienischen Wein Tignanello aus der Chianti-Region. Markle hatte auf ihrem Lifestyle-Blog über alles geschrieben, was ihr relevant erschien: Essen, Trinken, Partys (am liebsten in der weltweit vertretenen Soho-House-Kette), aber auch feministische und politische Essays, die sich mit humanitären Anliegen und Identität beschäftigten. Bereits im Alter von elf Jahren hatte sie eine Demonstration gegen den Irak-Krieg im Schulhof angeführt. Zur selben Zeit protestierte die junge Feministin per Brief gegen sexistische Waschmittel-Werbung bei Procter & Gamble. Mit Erfolg: Der Werbespruch "Frauen überall in Amerika kämpfen mit fettigen Pfannen" wurde auf "Menschen in ganz Amerika " abgeändert.
Markles soziales Bewusstsein und karitatives Engagement sind also alles andere als eine bloße PR-Attitüde, die sie sich für ihre neue Rolle zulegte. Auch ihre eigene soziale Unabhängigkeit war ihr immer wichtig: Von ihrem ersten Ehemann, einem Hollywood-Produzenten, ließ sie sich scheiden, als die Ehe im Karrierestress versandete. Angeblich schickte sie Trevor Engelson den Ehering per Post zurück. 2015 trat Markle bei den Vereinten Nationen als UN-Frauen-Botschafterin ans Rednerpult, erzählte ihre Geschichte und rief zur Gleichbehandlung von Frauen auf: "Wenn wir Frauen keinen Platz am Tisch bekommen, dann werden wir uns einen neuen Tisch suchen."
Dass Prinz Harrys Wahl auf eine geschiedene Frau und feministische Bloggerin mit einer schwarzen Mutter fiel, stieß in Großbritannien durchaus auf viel positives Echo. Doch wie unabhängig und meinungsfrei darf sie tatsächlich als Mitglied der königlichen Familie sein, ohne an jenem System anzuecken, an dem auch die Prinzessin von Wales gescheitert ist?
Je näher der Hochzeitstermin rückt, desto hitziger werden die Debatten geführt, ob Markle der Monarchie tatsächlich den so notwendigen Modernisierungsschub verpassen wird.
"Mit Meghan können sich viele identifizieren"
Für die Autorin Afua Hirsch, selbst Tochter einer Schwarzafrikanerin und eines Engländers, ist der Neuzugang bei den Windsors eine Hoffnungsträgerin. Hirsch publizierte kürzlich das Buch "Brit(ish)", in dem sie Patriotismus und Rassismus in Britannien thematisiert. In der neuen Prinzessin ortet sie eine Chance, Menschen verschiedener Hautfarben ein größeres Zugehörigkeitsgefühl zu vermitteln. "Ich selbst fand es als Kind schwer, mich britisch zu fühlen. Schließlich stand an der Spitze unserer Gesellschaft eine durchgängig weiße Familie", so Hirsch. "Mit Meghan können sich viele identifizieren, ich in jedem Fall."
Andere Intellektuelle finden die Debatte um die Prinzessin dagegen lächerlich. "Markle ist nicht Großbritanniens Obama-Moment und sollte auch nicht als solcher behandelt werden", tweetete Reni Eddo-Lodge. Die schwarze Autorin hat mit ihrem Buch "Warum ich nicht mehr mit weißen Leuten über Rasse spreche" Furore gemacht. "Wenn jemand von einem Prinzen als Prinzessin auserwählt wird", schreibt sie, "dann hat das doch nichts mit Demokratie zu tun."
Die britische Monarchie steht trotz der politischen und ökonomischen Wirren nahezu unangefochten da. Nur weniger als ein Fünftel der Briten wollen sie laut jüngsten Meinungsumfragen abschaffen und eine Republik einführen. Das liegt auch daran, dass die 91-jährige Queen Elizabeth II. tief verehrt wird. Die alte Dame entzückt in ihrem 65. Regierungsjahr ihre Untertanen immer noch mit ihrem Sinn für Pflicht und wohldosierten Einsatz von königlichem Humor. Beim Spaziergang durch ihren Park im Buckingham-Palast mit dem britischen Tierfilmer Sir David Attenborough soll sie, gestört vom Rotorgeräusch eines Hubschraubers, unlängst bemerkt haben: "Klingt wie Präsident Trump."
Lang vorbei scheinen die Tage, als die Queen ihre Schwiegertochter Diana mit harschen Worten zur Disziplin pfiff und die anderen von der Spur des Anstands geratenen Nachkommen zur Vernunft zwingen wollte. Scheidungen, Sexpartys und unwürdige Auftritte, wie die von "Fergie" als Schutzheilige der Weight-Watchers-Bewegung, machten der Queen schwer zu schaffen. Am Tiefpunkt ihrer Popularität stand sie 1997, als sie den tragischen Unfalltod ihrer ungeliebten Schwiegertochter lange unkommentiert ließ und die Fahnen am Buckingham Palace nicht auf Halbmast setzte. Der Halbwaise Harry galt lange als ihr größtes Sorgenkind. Partys, Alkoholexzesse oder eine Naziuniform als Faschingskostüm -Harry lieferte der Boulevardpresse verlässlich Skandale; sein letzter peinlicher Ausrutscher war 2012, als er sturzbetrunken beim Strippoker in Las Vegas gefilmt wurde.
Schon lange vor der unkonventionellen Verlobung fand der 33-jährige Prinz Harry laut "Senior Royal Expert" Penny Junor "endlich seine Rolle". Er benutzte seinen Namen, um Paralympische Spiele für kriegsversehrte Soldaten zu gründen. 2014 fanden die "Invictus Games" erstmals in London statt, 2018 werden sie in Sydney ausgetragen werden.
Charles ältester Thronfolger weltweit
Sein 35-jähriger Bruder William hat schon fast eine Glatze, dreht brav die Warteschleife als Thronfolger und wurde nun zum dritten Mal Vater. Seine Frau Katherine funktioniert perfekt als hübsche, pflegeleichte Vorzeigeprinzessin ohne eigene Ambitionen. Vor William muss aber noch Prinz Charles auf den Thron, der älteste Thronfolger aller Monarchien weltweit. Der 69-jährige Charles zeigt Gelassenheit angesichts der Tatsache, dass seine Mutter ihren Platz nicht räumen will. Er ist Kummer gewohnt.
Was hatten die Leute über ihn gelacht, als er vor 30 Jahren anfing, Bäume zu umarmen, Bio-Gemüse anbauen ließ und Solar-Paneele auf seinen Palast packen wollte. Inzwischen wurde nachhaltige Landwirtschaft zu einer Selbstverständlichkeit. Der exzentrische Prinz Charles hat letztlich schon früh progressiver über die Zukunft seines Königreichs nachgedacht als viele der politischen Repräsentanten.
Auch gesellschaftspolitisch besaß er Pioniergeist. Seine Langzeitliebe Camilla Parker-Bowles heiratete er 2005, obwohl beide geschieden waren. Das war erst möglich, nachdem die anglikanische Kirche 2002 ihre Scheidungsregeln offiziell geändert hatte. Die Monarchie hat sich lange damit Zeit gelassen, Geschiedene nicht mehr wie Aussätzige zu behandeln. Früher wurden geschiedene Frauen, wenn der Ex-Partner noch lebte, bei Hof nie wieder eingeladen. Edward VIII. musste 1936 noch abdanken, damit er Wallis Simpson, eine geschiedene Amerikanerin, heiraten konnte. Jetzt kommt ein noch viel extravaganteres Exemplar an Gewöhnlichkeit durch die Türen des Palastes herein, und die Queen lächelt glücklich. Denn Meghan Markle bietet die Hoffnung, dass das Vereinigte Königreich nicht nur eine (mit Abstrichen) gloriose Vergangenheit hat, sondern auch einen Platz in der Zukunft.
Dass Meghans Hautfarbe nicht weiß ist, scheint dabei als zusätzlicher Trumpf. "Die Verbindung zwischen Harry und Meghan lässt die Monarchie in einer sich ändernden Welt relevanter wirken", meint Markle-Biograf Andrew Morton.
Die Hochzeit wirkt aber auch stabilisierend in einem zerrütteten Land. Denn die Briten stehen knapp vor dem Brexit, bis in die konservative Regierungspartei ist das Volk tief über die Europa-Frage zerstritten. Die Royals wirken inmitten des Brexit-Chaos wie die normalste Familie im Königreich.
Bisher hat Meghans Plan, "Diana 2.0" zu werden - so eine ehemalige Schulfreundin -, perfekt funktioniert. Sie hat gegenüber der ersten Prinzessin der Herzen einen enormen Vorteil. Diana wurde mit 19 Jahren als scheues Reh und Teilzeit-Kindergärtnerin in einen 24-Stunden-Medienzirkus geschleudert. Was Harrys Mutter als schwere Belastung empfand, ist für ihre Schwiegertochter ein reines Lebenselixier: das Rampenlicht. In ihrer Karriere als Schauspielerin und als Bloggerin hat Meghan wenig von sich verheimlicht, sie lebt seit Jahren mit den Medien. Als Prinzessin kann sie die Öffentlichkeit zwar nur im Rahmen der royalen Gepflogenheiten nutzen, dafür aber Millionen Menschen weltweit erreichen.
"Princess Meghan" könnte dank der eisern disziplinierten Hauptdarstellerin zu einer erfolgreichen Endlosserie werden.