Shout out and play: Warum es Künstler wie Schapka und Ambros braucht
Kommentar von Stephan Wabl
Vor fünf Jahren haben mein Kollege Philip Dulle und ich den damaligen Kurator des Popfests, Patrick Pulsinger, in einem Interview gefragt: „Darf das Popfest eine politische Bühne sein?“ Seine Antwort: „Ja, natürlich. Es gibt keinen Vertragspunkt in dem steht: Sie werden gebeten, politische Statements zu unterlassen. Jeder kann diese Stunde auf der Bühne nach seinem Ermessen nützen.“ Das war gut zu hören. Auf unsere Frage, ob die alternative Musiklandschaft in Österreich kein Interesse an Politik hätte, antwortete Pulsinger jedoch mit einer ernüchternden Einschätzung: „Sich politisch zu engagieren wird einem in Zeiten von Korruption und Machtmissbrauch nicht unbedingt mehr schmackhaft gemacht. Das betrifft aber wirklich nicht nur die Popmusik, das ist ein allgemeiner Trend.“
Fünf Jahre später wurde das Popfest heuer nun doch zur politischen Bühne. Und nein, es wurde nicht zur Revolution oder zum Sturm auf das Parlament aufgerufen. Es wurden Fragen und politische Positionen zur Debatte gestellt. Allen voran von der Punk-Band Шaпκa (Schapka). Die vier Frauen traten beim Popfest auf der sogenannten Red Bull Stage auf, einer vom Energy-Drink-Hersteller gesponserten Bühne. Mit den Worten „Es wird Zeit, über Red Bull zu reden“, leitete Schapka ihren Auftritt ein und hielt ein Transparent in Richtung Publikum mit der Aufschrift: „Wir sind Propaganda, aber nicht für Rechtspopulisten“. Während ihres knapp 30-minütigen Konzerts zitierte die Band politische Äußerungen von Red-Bull-Miteigentümer Dietrich Mateschitz, kritisierte das Abwürgen eines Betriebsrates beim Red-Bull-Sender „Servus TV“ und stellte sich gegen Aussagen des von Red Bull gesponserten Extremsportlers Felix Baumgartner („Du kannst in einer Demokratie nichts bewegen. Wir würden eine gemäßigte Diktatur brauchen“). All diese Kritikpunkte sind nicht neu und wurden zu ihrem jeweiligen Anlass breit in den Medien behandelt.
Trotzdem wollten manche politische Kommentatoren den vier Frauen nur schwer zugestehen, das Popfest dafür zu nutzen, um die Frage zu stellen: Auf welcher Bühne stehen wir hier eigentlich? Kurier-Journalistin Martina Salomon zum Beispiel meinte von oben herab („Jo eh, liebe Schabernacks, äh Schapka“), dass es gerade wohlhabende Unternehmer wie Dietrich Mateschitz seien, „die mit ihren Steuern den Sozialtopf füllen, von dem jene oft leben müssen, die sich den Luxus kreativer Arbeit ohne entsprechendes zahlungsbereites Publikum leisten.“ Diese „Wer zahlt, schafft an“-Mentalität ist in Österreich leider nicht ungewöhnlich – aber völlig fehl am Platz und demokratiepolitisch gefährlich. Das musste vor wenigen Tagen auch Wolfgang Ambros erfahren, der nach seiner Regierungs-Kritik von FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker als „abgehalftert“ und „Systemgünstling“ beschimpft wurde. Was hinter dieser Angriffen steckt, ist klar: Wer eine Bühne hat und sich politisch unangenehm äußert, soll diskreditiert werden. Dabei braucht es mehr und nicht weniger politische Auseinandersetzung auf den öffentlichen Bühnen dieses Landes.
Es wäre wünschenswert, dass sich mehr Künstler und Künstlerinnen politisch äußern.
Es geht dabei vordergründig nicht um links oder rechts, arm oder reich, sondern um Fragen wie: Wohin bewegt sich unsere Gesellschaft? Wie entwickelt sich unsere Stadt? Welche Rolle spielen wirtschaftlich starke Unternehmen? Es wäre wünschenswert, dass sich mehr Künstler und Künstlerinnen, Sportler und Sportlerinnen dazu äußern, wenn sie das Bedürfnis dazu haben. Denn sie verfügen neben der Politik über eine öffentliche Plattform, um Kritik zu üben und eine Debatte anstoßen zu können.
„Es wird Zeit, über Red Bull zu reden“ ist eine mögliche Form davon. „Es wird Zeit, über den Donaukanal zu reden“ wäre eine weitere. Auch hier gäbe es mit dem Donaukanaltreiben eine Bühne, um über die zunehmende Kommerzialisierung des öffentlichen Raumes am Wiener Kanal zu reden. Dass das Donaukanaltreiben von einem SPÖ-nahen Verein organisiert wird, sollte Musiker und Musikerinnen ebenso wenig von Kritik abhalten, wie der Umstand, dass Dietrich Mateschitz in Österreich Steuern zahlt und Arbeitsplätze schafft. Das ist Demokratie, Meinungsaustausch, Auseinandersetzung.
Die Hand, die einen füttert, soll man bekanntlich nicht beißen.
In Österreich tut man sich damit allerdings schwer. Konfliktfähigkeit, seine Meinung klar, deutlich und respektvoll zu äußern, für etwas einzustehen, auch wenn es Nachteile bringen könnte, ist eine Fähigkeit, die im Land der Hofräte nicht gefördert wird. Das hat auch damit zu tun, dass hierzulande kaum ein Kulturevent oder Sportverein ohne öffentliche Förderung oder private Sponsoren auskommt. Da überlegt man es sich dreimal, ob man wirklich anecken will. Die Hand, die einen füttert, soll man bekanntlich nicht beißen. Dieser Umstand hat auch dazu geführt, dass sich Künstlerinnen oder Sportlerinnen kaum mehr damit beschäftigen, welche Interessen die Sponsoren vertreten, die unter ihrem Namen auf dem Festivalplakat oder auf ihrem Trikot stehen.
Unsere Gesellschaft wäre aufgeschmissen, wenn es diese Impulse nicht gäbe.
Es hat auch dazu geführt, dass sich Künstler oder Sportler in Österreich kaum zur politischen Entwicklung unseres Landes äußern. Denn, wer gerade einen Antrag auf Filmförderung, Konzertunterstützung oder Mithilfe beim Stadionneubau eingereicht hat, möchte lieber nichts riskieren. Das ist ein Problem – und Kommentare wie jene von Martina Salomon oder Christian Hafenecker fördern diese Entwicklung. Aber Sponsoren und die Politik, egal welcher Parteifarbe, müssen Kritik aushalten können. Mehr noch: Sie sollten sich ihr stellen. Denn unsere Gesellschaft wäre aufgeschmissen, wenn es diese Impulse nicht gäbe. Nicht jeder Musiker oder jede Sportlerin muss sich gesellschaftspolitisch äußern. Aber wer eine Bühne und ein Publikum hat, trägt auch eine Verantwortung. Und wir sollten jedem dankbar sein, der diese Verantwortung wahrnimmt und seine Plattform für Kritik und Debatte nützt.
Die Aussagen von Martina Salomon und Christian Hafenecker zu Schapka und Wolfgang Ambros erinnern daran, wie eine Fox-Journalistin kürzlich reagierte, als der Basketballspieler LeBron James US-Präsident Donald Trump kritisierte. „Shut up and play“, richtete sie dem bekanntesten amerikanischen Sportler per Fernsehen aus. Das Gegenteil sollte der Fall sein, egal ob auf der Bühne oder am Spielfeld: „Shout out and play!“