Schinkenfleckerl: Pikante Mehlspeis
Teigwaren. Schinken. Ei. Käse. Mit diesem Zutatenquartett machen sich Giulia und Giuseppe eine hübsch cremige Carbonara, bei Julia und Josef kommen unweigerlich Schinkenfleckerl heraus. Ich finde die Vorstellung immer wieder faszinierend, diese vier Produkte einfach nebeneinanderzulegen und darüber nachzudenken, was in welcher Ecke der Erde daraus entsteht. Schinkenfleckerl sind in unserer Kultur mindestens so bedeutend wie Spaghetti Carbonara in Italien. Und es gilt für beide Speisen: Man kann trefflich über orthodoxe, gerade noch zulässige und streng verbotene Regeln bei der Zubereitung debattieren; der Schinken etwa muss bei unseren südlichen Nachbarn Guanciale, ungeselchter Wangenspeck vom Schwein, sein, und wer Zwiebel und/oder Obers verwendet, landet in den Bleikammern des Dogenpalastes von Venedig. Der würzige Auflauf der altösterreichischböhmischen Küche ist nicht ganz so streng reglementiert; sogar die seriöse Kochbuchliteratur gestattet Freiheiten bei der Wahl des Fleischanteils vom Beinschinken bis zu Selchfleisch, und auch beim Käse: Parmesan, Bergkäse, Gouda? Wie es beliebt.
Wir steuern derzeit ja zielstrebig auf die Schinkenfleckerlsaison zu-die Tage nach Ostern, an denen geselchte Reste und überflüssige Eier einer nicht immer empathischen Restlverwertung unterzogen werden, die auch der 1994 jung verstorbene Dramatiker Werner Schwab in einem seiner wie üblich radikalen Texte schilderte; da ging es darum, was die Mama den Fleckerln antut: "Da verabschieden sich die Schinkenfleckerl nun schon tagelang von einer
jeglichen Genießbarkeit, nachdem sie unter der Schirmherrschaft der allgemeinen Unappetitlichkeit schleimgeboren werden mussten, weil der Osterschinkenspeck der längst verdauten Auferstehungstage schon ranzig geschwitzt hat und die Fleckerlnudeln freilich längst abgelaufene Beerdigungsnudeln waren, aber deswegen halbpreislich veranschlagt, und trotzdem glänzen die Schinkenfleckerl täglich auf dem Tisch und duften wie ein ungewaschener Schlachthof."
Es geht auch anders, und ich nehme mir nun heraus, Wege vorzuschlagen, die aus den urwüchsigen Schinkenfleckerln eine saftige und elegante "Delikatesse" machen, als die sie auch Franz Maier-Bruck in seinem Standardwerk "Vom Essen auf dem Lande" betrachtet. Übrigens wurden Schinkenfleckerl noch bis weit ins 20. Jahrhundert in Kochbüchern unter Mehlspeisen gelistet.
Die Fleckerl
Ich halte wenig von den fertig gekauften, kleinen, leicht gewölbten Fleckerln: Sie sind zu dick und können auch in Geschmack und Textur nicht mit frisch gemachter Pasta mithalten. Die Fleckerl machen wir lieber selber: 400 g Mehl Type 00 vermische ich mit 4 Eiern und 1 Bonusdotter, 1/2 EL Olivenöl und 1/2 TL Salz und knete alles zu einem geschmeidigen Teig; eine gute Küchenmaschine mit Rührhaken auf der niedrigsten Stufe (etwa 10 Minuten lang) macht den Job hervorragend. Den Teig lasse ich 15 Minuten eingewickelt rasten, dann walke ich ihn mit dem Nudelholz hauchdünn aus oder drehe ihn portionsweise händisch durch die Nudelmaschine; am Ende soll er so dünn sein, dass an einer darunter gehaltenen Hand die Finger schemenhaft zu erkennen sind (1 mm wäre perfekt).Den Teig schneide ich nun in 2 x 2 cm große Quadrate, oder ich lasse ihn trocknen und breche ihn am nächsten Tag in ebenfalls etwa 2 cm große Stücke.
Der Schinken
Aus historischer Sicht ist der Prager Schinken die beste Wahl. Die würdigen Nachfahren dieses legendären Kochschinkens der böhmischen Küche sind die handgepökelten und in Gestelle eingespannten Schweinebeine aus engagierten Fleischerbetrieben, die mit langen scharfen Messern in mehrere Millimeter dicke Scheiben gefieselt werden. Selchfleisch halte ich für zu derb würzig; schon in Katharina Pratos "Süddeutscher Küche" steht geschrieben: "Guter Schinken ist in Wahrheit Manna für den Mund und Balsam für den Magen." Steht kein abzusäbelnder Schinken zur Verfügung, lasse ich mir den besten verfügbaren Beinschinken in 4 bis 5 mm dicke Scheiben schneiden, die ich dann in 1 cm große Stücke teile. Das Verhältnis Teig zu Schinken sollte mindestens 1:1 betragen; und am besten gibt man noch einen Schinkenbonus von 10 bis 20 Prozent dazu, also 300 g Fleckerln und 330 bis 360 g Schinken.
Nächste Woche: Käse, Ei und Assemblage.