Gesellschaft

Schönheits-OPs: Der Fluch der Kardashians

Nasenkorrektur mit 15, Brustvergrößerung als Maturageschenk? Die stärksten Zuwächse verbucht die Verschönerungsindustrie bei jungen Erwachsenen, die oft den mit Filtern getrimmten Instagram-Idealen hinterherhecheln. Doch es gibt Hoffnung auf den "Trend" Natürlichkeit.

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Der New Yorker Literaturstar der Stunde heißt Allie Rowbottom, 36, ihr eben erschienener Roman "Aesthetica". Das Schicksal der tragischen Heldin zielt direkt in das Nervenzentrum einer von Selbstoptimierung und Besessenheit mit dem Äußeren kontaminierten Pop-und Alltagskultur der Generation Z und drunter: @annawrey ist eine abgestürzte Instagram-Celebrity im Jahr 2032, die im Alter von 19 Jahren Hunderttausende Follower mit unzähligen Schönheitskorrekturen am Liken gehalten hatte. Inzwischen ist sie Mitte 30, verkauft Anti-Aging-Produkte an vergänglichkeitsparanoide Frauen und steht vor der größten Transformation ihres eigenen Lebens. In einer Klinik, die sich darauf spezialisiert hat, durch zu viele Eingriffe völlig verfremdete Menschen wieder zu ihrem ursprünglichen Äußeren zurückzuführen, will sie wieder zurück zum optischen Ursprung, das große Authentizitäts-Makeover sozusagen.

"Es ist meine Art von Feminismus gewesen", sinniert diese Anna Wrey, "in der digitalen Realität hatte ich die Kontrolle über meinen Körper, meine Inhalte, meine Jugend. "Und entwickelte eine Sucht nach der Droge Anerkennung in Form von Followern und Likes, wie die Journalistin Nena Schink, die sich im Selbstversuch für das deutsche "Handelsblatt" als Influencerin versuchte, ergänzend erzählt: "In wenigen Minuten kannst du mit diversen Apps dein Foto super pimpen. Mit dem Effekt, dass keiner mehr zu sich selbst steht. Und eine völlig schwache Generation von Frauen entsteht, die neben dieser Besessenheit mit ihrem Äußeren dann auch noch auf alte Traditionen zurückgreift und Verlobung, Hochzeit oder Mutterschaft extrem zelebriert. Millionen Mal sieht man den #wifey angefügt. Alles sehr rückschrittlich."

Einen kleinen Schritt in Richtung altes Selbst ging die Influencerin Sabrina Wlk, 25, "Bachelor"-Mitstreiterin, die gerne als "Wiener Barbie" punziert wird und 77000 Follower hinter sich hat: "Ich habe mir gerade die Lippen wieder durch eine Hylase-Injektion verkleinern lassen. Es sah einfach zu unnatürlich aus. Man verliert leider das Bild von sich."

"Ich habe mir gerade die Lippen wieder durch eine Hylase-Injektion verkleinern lassen. Es sah einfach zu unnatürlich aus. Man verliert leider das Bild von sich." - Sabrina Wlk, 25, Influencerin und "Bachelor"-Kandidatin

Natürlichkeit ist kein Begriff, der einen beim Durchforsten des von lasziven Posen dominierten @sabrinawlk-Profils durch den Kopf geht. Wlk, gelernte Industriekauffrau, die auch eine Ausbildung zur Volksschullehrerin absolviert hatte ("Nur habe ich mit meinem Aussehen keinen Job bekommen"), spricht über ihre Inszenierungen in kühler, reflektierter Distanz; man hat den Eindruck, dass sie sich wie ein Projekt betrachtet. Die eben in Ausbildung befindliche Visagistin bekennt sich nur zu einer Nasenoperation, die aufgrund "einer deformierten Nasenscheidewand" notwendig war: "Da dachte ich mir, dann kann ich den Höcker auch gleich wegmachen lassen." Ihr Gesicht ist irgendwo zwischen Kindchenschema und Disney-Cartoonfigur getrimmt: Bambi-Blick, überlange Wimpern, "russian lips",eine mit Extensions aufgepimpte Mähne, hohe Wangenknochen: "Mein Aussehen ist nun einmal meine Visitkarte. Ich möchte das Bestmögliche aus mir rausholen, aber die Frauen auch empowern: Hey, wir sind alle individuell auf diese Erde gesetzt worden, aber machen wir das Beste daraus."

Eine weltweite Mission. Laut der Internationalen Gesellschaft für Plastische Chirurgie steigerte sich die Zahl der Schönheitskorrekturen im Jahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr weltweit um fast acht Prozent (25 Millionen Eingriffe). Laut Schätzungen werden in Österreich jährlich 100.000 Eingriffe durchgeführt, wobei die Hälfte davon nicht chirurgisch ist. Und im Segment von Botox-Injektionen und "Fillern" mit Hyaluronsäure herrscht laut einer Online-Umfrage in 32 heimischen Schönheitskliniken in der Altersgruppe zwischen 25 und 34 Jahren die größte Zuwachsrate. Während weltweit die USA (in Europa führt Italien) noch immer die Länderliste von Schönheitseingriffen anführt (relativ zur Bevölkerung), ist Südkorea jenes Land, in denen schon die 13-bis 19-jährigen Teenager die häufigsten Eingriffe ausführen lassen. Gespenstisches Beispiel ist der gerade einmal 20-jährige K-Pop-und TV-Star Kwanghee, der seinen Fans gerne von seinen Prozeduren erzählt (Kinn-Implantat, Nasenverkleinerung, Lidhebung, Brauenanhebung etc.) und Tipps für den Heilungsprozess gibt.

Der deutsche Schönheitschirurg Werner Mang beobachtete in einem "Bunte"-Interview mit Entsetzen, "dass in meinen Sprechstunden zwölfjährige Mädchen sitzen, die aussehen wollen wie Selena Gomez, bei den Jungs ist es Justin Bieber. Das kann in einer psychischen Sackgasse enden. Die sozialen Medien machen unsere Jugend krank."

Nicht ganz so dramatisch sieht es der Wiener Schönheitschirurg Artur Worseg, der in der Gruppe der Jungen auch eine "deutliche Zunahme" in seiner Praxis beobachtet: "Da ich selber Kinder in dem Alter habe, weiß ich, was der dauerhafte Konsum dieser idealisierten Instagram-Bilder auslösen kann. Obwohl ich der Überzeugung bin, dass diese intensive Beschäftigung mit dem Äußeren oft herhalten muss für andere Defizite."

"Momentan ist alles sehr extrem, aber ich spüre auch einen Trend in Richtung Natürlichkeit."

Artur Worseg

Schönheitschirurg

Auch der Plastische Chirurg Edvin Turkof beobachtet einen Anstieg "der Anzahl junger Menschen" im Wartezimmer seiner Praxis. Häufigster operativer Eingriff bei jungen Frauen sei "die Brustvergrößerung", immer mehr mit Eigenfett anstelle von Silikon; bei Männern "Korrekturen des weiblichen Brustwachstums und Fettabsaugungen". Laut Gesetz kann die Entscheidung über einen ästhetischen Eingriff erst ab dem 18. Geburtstag erfolgen, zwischen dem 16. und 18. Lebensjahr bedarf es der Einwilligung der Eltern. Dass Töchter gemeinsam mit ihren Müttern in die Praxis kommen, passiere durchaus häufig: "Wenn die beiden ein gutes Verhältnis haben, kann die Mutter ein wichtiges Korrektiv sein."

Bei jungen Männern sieht Worseg einen starken Anstieg in Richtung Körperfetischismus: "Die gehen jetzt schon mit 15,16 Jahren täglich ins Fitnesscenter. Später wollen Männer vor allem Fettabsaugungen, Gesichtseingriffe sind eher selten."

Bei Frauen dominiert das Gesicht bei der Selbstoptimierung. "Das Bild von sich verlieren": Dieser Satz von Sabrina Wlk brennt sich einem ein, wenn man durch das Universum von Instagram scrollt. Ein Einheitsgesicht an so vielen unterschiedlichen Frauen! #foxeyes, so der Hashtag für die schräg gestellten Augen, eine schmale, kleine Nase, leicht gebräunter Teint, Lippen wie Schlauchboote, die Haare überlang und glatt. Die Schriftstellerin Helene Hegemann assoziiert in ihrem Buch "Patti Smith" einen "konformen Blick", der einem auf Instagram aus Hunderten Profilen entgegenschlägt, "irgendwas zwischen Opium, Analsex und dem Einsturz des World Trade Centers". Obligat scheint auch der leicht geöffnete Mund, über den der Starfotograf Peter Lindbergh sagte: "Diese auf halber Haselnuss-Höhe geöffneten Lippen haben etwas entsetzlich Vulgäres."

Das Fundament für den sexuell offensiven Einheitslook setzte die Sippe der Kardashians, die vor ihrer 20 Staffeln langen Reality-Show "Keeping Up With the Kardashians" (Start 2007) nur deswegen prominent war, weil der inzwischen verstorbene Robert Kardashian (Vater von Kim, Kourtney und Khloé) dem Verteidigungsteam im Mordprozess gegen den Footballspieler O. J. Simpson angehört hatte. Und weil das Clan-Oberhaupt Kris in zweiter Ehe mit der späteren transsexuellen Caitlin Jenner (ehemals Zehnkämpfer und Vater von Kendall und der inzwischen jüngsten Selfmademilliardärin der Welt Kylie) bis 2015 verheiratet war. Mit ihrem Exhibitionismus jeglicher Intimitäten, dem Bling-Bling-Lifestyle, aber vor allem einem in ständiger Verbesserungspathologie befindlichen Schönheitsideal prägten sie die Sehnsuchtsvorstellung von einem besseren Selbst von Millionen von Teenagern: Kylie (373 Millionen Follower),Kim (334 Millionen) und Kendall (264 Millionen). "Die Kardashian-Frauen waren die Prototypen für diesen gespenstischen Cyborg-Look", so die "New York Times", "der sich in den sozialen Medien inzwischen vervielfacht hat. Sie existieren nicht als fixes Image, sondern in einem Prozess ständiger technologischer Upgrades. Aus dem Computer scheinen sie ihrer Follower-Schar ständig zuzurufen: "Tu was, du kannst noch besser aussehen!"

Dass im Fahrwasser der Kardashians auch viele andere Stars zu drastischen Veränderungsmaßnahmen griffen, multiplizierte das leicht faschistoide Credo, aus einem als noch so kümmerlich empfundenen Selbst eine Art Übermensch zimmern zu können: Popstar Adele nahm 50 Kilo ab und ließ ihr Gesicht auf Barbie-Niveau trimmen; Lana Del Rey erfand sich mit Botox und dem Skalpell neu; auf Dutzenden Instagram-Accounts wie "Celebface" kann man die wundersamen Metamorphosen der Kardashians und anderer zurechtgerückter Stars wie Mila Kunis oder Selena Gomez in allen Phasen nachleben.

"Momentan ist alles sehr extrem", erklärt Artur Worseg, "aber das Pendel wird auch wieder in die andere Richtung ausschlagen, wie das oft so ist. Ich spüre schon jetzt einen Trend in Richtung Natürlichkeit, dass man zum Beispiel wieder Achselhaare oder auch Zellulitis mit einem Selbstbewusstsein zeigt."

Wir können es kaum erwarten.

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort