FRANK STRONACH IN MACHOPOSE
Möglicher Prozess

„Frank Stronach behandelte mich wie eine Sexpuppe“

Frank Stronach, 92, sieht sich in Kanada mit schweren Vorwürfen von 13 Frauen konfrontiert, darunter Vergewaltigung. Ob es tatsächlich zu einem Prozess kommt, wird im April entschieden. Die Schriftstellerin Jane Boon erzählte profil ihre traumatische Erfahrung mit dem Milliardär.

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Am 11. April dieses Jahres werden im kanadischen Toronto möglicherweise die Weichen für einen spektakulären Prozess gestellt – falls die ermittelnde Staatsanwaltschaft bis zu diesem Tag ausreichend Beweismaterial vorlegen kann, um das Verfahren in Gang zu bringen. 13 Frauen haben insgesamt 18 Vorwürfe gegen den heute 92-jährigen Milliardär und Magna-Gründer Frank Stronach vorgebracht, die eine Zeitspanne von 50 Jahren umfassen. Der jüngste Vorfall stammt vom Februar 2024. Es geht um Vergewaltigung, sexuelle Nötigung und gewaltsame Freiheitsberaubung. Stronach selbst möchte, so berichten kanadische Medien, vor einem Schwurgericht Rede und Antwort stehen.

Es gilt die Unschuldsvermutung. Die Chronik der Ereignisse: Anfang Juni 2024 wurde publik, dass der damals 91-jährige Frank Stronach zur Einvernahme in der Polizeistation Peel in Ontario vorgeladen worden war, wo er seinen Pass hinterlegen musste und gegen Kaution wieder auf freien Fuß gesetzt wurde. Wieso aber hatten ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt mehr als ein Dutzend Frauen den Mut gefasst, ihre oft Jahrzehnte zurückliegenden, oft traumatisierenden Erlebnisse mit Frank Stronach zu melden?Die Kettenreaktion wurde offensichtlich durch Berichte über sexuelle Belästigung ausgelöst, die von einer oder mehreren Mitarbeiterinnen des in Aurora, Ontario, situierten Restaurants „Frank’s Organic Garden“ (das im Besitz von Stronach steht) im Frühsommer deponiert worden waren. Nach kanadischem Recht ist es Opfern und „Beschwerdeführerinnen“ nicht erlaubt, sich im Vorfeld zu einem möglichen Prozess öffentlich zu äußern.

Deswegen wird es vor einem möglichen Prozessbeginn keine detaillierten Einblicke in die einzelnen Causen geben. Mit einer Ausnahme: In einer Sendung des kanadischen TV-Aufdeckerformats „The Fifth Estate“ unter dem Titel „Power and Silence“ (Macht und Stille) wusste eine 65-jährige Frau unter dem Pseudonym „Leigh“ Schockierendes zu berichten: Als 20-Jährige habe sie auf einem Gestüt von Stronach gearbeitet und sei mit zwei Arbeitskolleginnen zum Feiern in dessen Club „Rooney’s“ im Vergnügungsviertel von Toronto gegangen. Stronach kam, so erzählt sie vor laufender Kamera, zu ihnen und goss den Frauen Champagner ein, obwohl Leigh mehrfach darauf hinwies, dass sie nicht trinke. Der Abend endete mit schweren Erinnerungslücken und Blackouts in einer Wohnung mit Hafenblick in Toronto. Als Leigh zu Bewusstsein kam, „lag Stronach auf mir, und es war ganz klar, dass ich gerade vergewaltigt wurde“, sagt sie. Ihre Angst, „danach im Hafenbecken versenkt zu werden“, weil „Typen mit so viel Geld es sich nicht leisten können, dass über sie schlecht geredet wird“, war so groß, dass sie ihr traumatisierendes Erlebnis für sich behielt. Bis 2015, als sich immer mehr „survivors“ (Überlebende) ähnlicher Vorkommnisse im Fahrwasser der #MeToo-Bewegung zu Wort meldeten: „Das machte mir Mut. Denn auch ich war eine Überlebende.“

Vertuschte Polizeiberichte

Die ehemalige Pferdebetreuerin ließ ihren Bericht also 35 Jahre nach dem Horror, im Jahr 2015, bei der Polizei im kanadischen Distrikt York, wo Magna beheimatet war und Stronach einen entsprechend großen Einfluss besaß, aufnehmen. Und hörte danach nie wieder etwas von irgendeiner Behörde – kein Nachhaken, keine Kontaktaufnahme, nichts, wie sie sagt. Dieses von den Behörden mitgetragene Schweigen sei vermutlich damit zu erklären, dass Stronach ein großer Charity-Gönner in der Region war, wovon auch die örtliche Polizei profitiert haben soll. Mittlerweile sind die Verfahren aus York nach Toronto transferiert worden.

Nach mehreren Absagen erklärte sich Stronach im Sommer vergangenen Jahres dann doch bereit, dem Präsentator der Sendung „The Fifth Estate“, Mark Kelley, Rede und Antwort zu stehen. Zuerst agierte er nach der Methode, die er auch während seiner politischen Karriere in Österreich in Interviews häufig praktizierte: Er antwortete nicht auf die Fragen zu den Anschuldigungen, sondern sprach über seine wirtschaftlichen Erfolge. Stronach war 2010 aus dem von ihm gegründeten Autoteilezulieferer-Unternehmen Magna, das über 170.000 Mitarbeiter in mehr als 25 Ländern beschäftigt, nach einer Auszahlung von einer knappen Milliarde Dollar ausgestiegen und prozessierte in Folge auch gegen seine eigene Tochter Belinda.

Als Kelley insistierte, dass Stronach angesichts der Vorwürfe in Gefahr liefe, den Rest seiner Tage hinter Gittern verbringen zu müssen, antwortete dieser: „Ich stehe über dem Gesetz“ und „Ich stehe über allem“, dann fügte er hinzu: „Wir müssen die Gesetze verbessern“, da man sich sonst von einer „freien Gesellschaft“ wegbewege. Vermutlich wollte er damit seine Überzeugung ausdrücken, dass er innerhalb der Gesetze agiert habe. Unmissverständlich jedoch war seine Aussage vor laufender Kamera, dass all die Beschwerden dieser Frauen „Lügen, Lügen und nichts als Lügen“ waren, die nur ein einziges Motiv hatten: „dadurch zu Geld zu kommen“. Eigentlich habe er Mitleid mit diesen Frauen, deren einziges Motiv, diese Unwahrheiten zu verbreiten, darin bestehe, „ihrer Armut“ zu entkommen. Vor Gericht werde er mit entsprechenden Materialien alles entkräften können und den Menschen zeigen, „wer er wirklich ist“. Dann wurde es noch religiös: Irgendwann werde er vor seinen Gott treten, der ganz genau wisse, dass er nicht gelogen habe.

Dass Stronach in der Vergangenheit auch außergerichtliche Abschlagszahlungen getätigt hatte, um drohende Verfahren abzuwenden, ist in Kanada ein offenes Geheimnis. Nicole Will, eine damals 22-jährige Barkeeperin im Headquarter von Magna, erzielte beispielsweise 2003 eine außergerichtliche Einigung mit Stronach und dem Magna Golfklub, die Höhe blieb unbekannt.

In der Stronach-Biografie „Magna Cum Laude“ aus dem Jahr 2006 zitiert Autor Wayne Lilley weibliche Angestellte, die ihre jüngeren Kolleginnen regelmäßig davor warnten, „welches Benehmen vom Boss zu erwarten sei“.

Tatsächlich scheint Stronach, der im vergangenen März durch den Tod seiner Frau Frieda nach 60 Jahren Ehe zum Witwer wurde, in einer Welt zu leben, in der er, der erfolgsverwöhnte Machtmensch, an seine Unverwundbarkeit glaubt.

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort