Krapfenwaldlbad: 100 Jahre Planschen über Wien
„Telephon“, prangt noch in schwarz-gelber Schrift auf der Doppelkabine, doch die Fenster der Münzfernsprechautomaten-Häuschen sind längst mit Papier abgedeckt und die Türen der Telefonzellen verschlossen. Im Handy-Zeitalter braucht sie niemand mehr. Eine neue Verwendung für die Häuschen hat sich offenbar nicht gefunden. Auch die überdimensionierte Riesenwaage mit der auffordernden Aufschrift „Prüfe dein Gewicht“ ist außer Betrieb, und der „offene Bücherschrank“ hat schon belebtere Zeiten gesehen: Nur einige wenige Bücher verlieren sich darin, darunter „Capitain Carpfanger“ ein historischer Abenteuerroman aus dem Jahr 1973, und „Hurra, wir leben noch“, der Wälzer des Bestsellerautors Johannes Mario Simmel aus dem Jahr 1978.
Derartige Zeugnisse vergangener Zeiten finden sich in den weitläufigen und angejahrten roten Kabinengängen des altehrwürdigen Krapfenwaldlbades in Wien-Döbling, auch Schilder mit der Aufschrift „Das Sonnenbad dient der Ruhe und Erholung!“ haben eine lange Geschichte. Am 17. Juni 1923 wurde das höchst gelegene Bad Wiens mit seinem 33 Meter langen Schwimmbecken mit Panoramablick über Wien eröffnet. Weitgehend unbemerkt: Es war ein kühler und regnerischer Tag, kein Promi-Polit-Komitee stand auf dem Hügel, keine Ansprache ist in Zeitungen notiert. Dabei war das „Krapfenwaldlbad“, eine der 31 Badeanlagen des Roten Wien, bewusst in die noble Villengegend im wohlbetuchten Bezirk Döbling gebaut, ähnlich wie die einige Busstationen entfernte Gemeindebau-Trutzburg Karl-Marx-Hof. Bis heute ist das Krapfenwaldlbad ein städtisches Freibad, Eintritt 7 Euro für Erwachsene, an einem Aussichtsort, der in anderen Metropolen wohl sündteuren Schwimmklubs vorbehalten wäre.
Einst kaiserlicher Jagdgrund, benannt nach dem Jagd- und Lustschlösschen des Baron Krapf, im Zweiten Weltkrieg Luftwaffenkaserne und unter russischer Nachkriegsbesatzung Autowerkstatt, wurde das liebevoll „Krawa“ genannte Bad 1952 um ein Kinderplanschbecken erweitert. Prominente wie der Hai-Forscher und Taucher Hans Hass sorgten im Bad für Aufsehen. Der Meeresforscher testete hier in den 1950er-Jahren unter Wasser seine selbst entwickelten Kamerahüllen. Kameras und Fotos spielen bis heute eine Rolle, Selfies und Instagram-Posen vor dem Ausblick über Wien gehören bei vielen zum Badbesuch, sehen und gesehen werden in der schnieken Menge ebenso. Andere einst progressiv anmutende Strömungen sind mittlerweile vergessen: Das Krapfenwaldlbad war Ende der 1970er-Jahre das erste Wiener Freibad, das sich als Oben-ohne-Bad deklarierte – ein Trend von vorvorgestern.
Zur Jubiläumsfeier am vergangenen Wochenende wurden Live-Konzerte geboten, unter anderem von 5/8erl in Ehr’n, einer „Wiener Soul“-Band. Einige Tage nach der 100-Jahre-Jubiläumsfeier ist das Bad halb leer, was sich eine Kellnerin so erklärt: „Den Leuten ist es jetzt vielleicht sogar zum Baden zu heiß.“