Lexikon der modernen Emotionen – Nummer 4: Selbstbefetzung
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Gefühl Nr. 4: Selbstbefetzung – das Gefühl, wenn der Grant auf die anderen einen in Wahrheit selber trifft.
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Es ist also wieder diese Zeit im Jahr. Die Bäume schlagen aus, die Nasen laufen und die Fahrräder werden ausgewintert. Letzteres merkt man auf Wiener Fahrradwegen ganz besonders schnell, weil diese ja tendenziell leider immer noch unterdimensioniert, also rasch überfüllt sind. Und zwar mit Schönwetterfahrern, die keinen Tau haben, wie und wo man Wiener Fahrradwege sinnvoll verwendet. Oder, was leider auch eine denkbare Option ist: denen das einigermaßen egal ist und die also ganz selbstverständlich zu dritt nebeneinander bummeln, an roten Ampeln heillose Pulks bilden und freihändig in den Gegenverkehr krachen.
Ja, man könnte aus der Haut fahren. Tut es auch. Schimpft oder winkt oder hasst unausgesprochen. Und merkt dann, manchmal zumindest, was man da gerade macht: Man kämpft für Recht und Ordnung und das Gute auf der Welt – und schießt sich selbst ins Knie.
Denn die eigene moralische Überlegenheit fällt ja in der Regel sehr schnell in sich zusammen, sobald man auch nur hauchzarte Selbstkritik übt. Ja, man macht es natürlich richtig, weiß es natürlich besser – und wird sich dieses Besser-Sein und Besser-Wissen sicher nicht von irgendwelchen dahergeradelten Schönwetterfahrern nehmen lassen. Und schon ist man selbst der Blöde.
Denn niemand wird bestreiten, dass es auch unter Fahrradfahrern rücksichtslose Volldeppen gibt. Wahrscheinlich bewegt sich ihr Wert sogar im landestypischen Schnitt, denn wenn ein Trottel aufs Fahrrad umsteigt, bleibt er halt immer noch ein Trottel. Der Hass, den ich ihm (auch Frauen sind betroffen, tendenziell aber seltener) entgegenbringe, fällt freilich auf mich zurück. Denn ich hasse in solchen Fällen ja leider aus überheblichen Gründen und/oder aus sehr schlichtem Eigeninteresse: Ich will mir meine auserwählte Gutseins-Gemeinschaft – in dem Fall eben: jene der Fahrradfahrer – nicht durch unliebsame Deppen beschämen lassen. Es ist die Angst des Vogels vorm Nestbeschmutzer, des Fahrradfahrers vor dem Falschfahrer, der die eigene Gemeinschaft ein Stück weiter in Richtung Trotteltum treiben könnte. Zu Ende gedacht bedeutet dieser Gedanke freilich, dass der einzig wahre Radweg einer wäre, auf dem ich ganz alleine unterwegs wäre. Denn am besten kann es ja zwangsläufig immer nur einer machen, also höchstwahrscheinlich ich selber. Alle anderen radeln immer nur in Abstufungen der Fehlerhaftigkeit.
Um dieses unangenehme Gefühl, das ich Selbstbefetzung nennen möchte, im Zaum zu halten, hilft: nicht ärgern, nur wundern. Gute Ratschläge erteilen. Mit angezogener Bremse auffahren. Und immer daran danken: Anderen geht es mit ihren Gutseins-Gemeinschaften genauso. Auch Veganer können Deppen sein.
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Wie oft habe ich dieses Gefühl: derzeit leider täglich
Mit welchen Gefühlen ist es artverwandt: Egophobie, Statusangst, Überheblichkeit
Wenn ich über dieses Gefühl ein Lied schreibe, trägt es folgenden Titel: I’m a freak, too.