Interview

Selbstvertrauen: „Das bleibt wie eine lebenslange Wunde“

Der deutsche Entwicklungspsychologe Peter Zimmermann über die Auswirkungen von Helikopter-Eltern, den Umgang mit schüchternen Kindern und wie man Selbstvertrauen fördert.

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In welchen Phasen einer Kindheit wird das wichtigste Fundament für das Selbstvertrauen eines Kindes gelegt?
Zimmermann
Selbstwert und Selbstvertrauen sind im Lauf eines Lebens ständiger Veränderung unterworfen und von situativen Faktoren und oft aktuellen Vergleichen mit anderen beeinflusst. Aber natürlich ist es von Vorteil, in den Entwicklungsthematiken Bindung, Autonomie und Kompetenzgefühl positive Erfahrungen gemacht zu haben.
Bindung in der Frühphase, also im ersten Lebensjahr, wird häufig als wichtigste Voraussetzung für ein später stabiles Selbstvertrauen klassifiziert. Was macht eine gute Bindung aus?
Zimmermann
Eine sichere Bindung ist tatsächlich eine wichtige Basis und beeinflusst einen lebenslang. Wobei ich sagen würde, nicht allein das erste, sondern die ersten zehn Lebensjahre sind einflussreich für Bindung und Selbstvertrauen. Sichere Bindung heißt, verlässlich Trost und Ermutigung zu erhalten, wenn man überfordert ist, und sich dadurch in der Lage fühlen, wieder selbstständig zu handeln. Es geht für das Kind darum, Akzeptanz und Fürsorge zu bekommen – auch wenn es nicht den Erwartungen entspricht oder Ärger macht. Ich will jetzt nicht die Wirkung der Kindheit dramatisieren, aber die Fähigkeit, auf jemand zugehen zu können, wenn man nicht weiterweiß, und trotzdem sich selbst zu vertrauen, ist stark davon beeinflusst.
Wenn Kinder in schwierigen Verhältnissen groß werden, wird oft in der Resilienzforschung die Theorie lanciert, dass eine einzige liebevolle Bezugsperson möglicherweise in der Lage ist, andere Defizite auszubalancieren.
Zimmermann
Eine sichere Bindung kann die Auswirkungen früherer schwieriger Lebensverhältnisse abpuffern. Die Annahme, dass jede andere spätere Beziehung das kompensieren kann, halte ich für einen Mythos. Möglicherweise funktioniert das in Einzelfällen so, in der Regel sehen wir, dass andere enge soziale Beziehungen nach der Art, wie man von den Eltern behandelt worden war, gestaltet werden. Soziale Interaktion hängt sehr stark davon ab, wie sehr ich jemand anderem vertrauen kann. Eine früh erworbene Anfälligkeit, nicht gemocht zu werden oder den Erwartungen nicht entsprechen zu können, das bleibt wie eine lebenslange Wunde.
Wir leben im Zeitalter der Helikopter-Eltern. Welche Auswirkungen hat diese Form der Überfürsorge?
Zimmermann
Es gibt viele Eltern, die fürsorglich sind, aber mit der Autonomie des Kindes nichts anfangen können. Im zweiten Lebensjahr entwickelt ein Kind ja ein solches Autonomiebedürfnis, wenn da zu viel eingegriffen oder kontrolliert wird, kann sich das dann später im Kindergarten- oder Schulkontext negativ auswirken, also überall dort, wo das Kind allein unterwegs ist und eigenständig handeln sollte.
Zwischen Blockflötenstunde und Kinderyoga: Viele Eltern wollen natürlich nur das Beste, Förderung kann auch zur Überforderung werden.
Zimmermann
Das ist ein Trend in den westlichen Ländern, dass Eltern ihre Kinder so organisieren. Das Einpressen in Zeitpläne, wo dann auch gerne alles gepostet wird, was das Kind so macht, ist elternorientiert und eher nicht zum Wohle des Kindes. Wenn diese Form der Organisation durch die Eltern dann wegfällt, hat das möglicherweise einen Einfluss auf das Selbstvertrauen. Das Kind lernt nicht, eigene Ziele zu entwickeln und auszuprobieren. Der positive Effekt von Förderung hängt vom Alter und der Intensität ab. Die Angebote, die man macht, sollten den Eignungen und Neigungen des Kindes entsprechen. Da kann Ermutigung, wenn das Kind einmal etwas nicht schafft, einem bleibenden Interesse durchaus förderlich sein. Alles zu loben, was das Kind macht, ist nicht richtig. Lob bei Erfolg sollte für die Anstrengung oder den Einsatz verteilt werden und nicht mit Sätzen wie „Du bist ja so gescheit“, sonst gibt das Kind bei Misserfolg eher auf. Wichtig ist es, das Kind in den Mittelpunkt zu stellen und nicht die elterliche Selbstdarstellung. Es gibt ja Eltern, die damit vor allem zeigen wollen, was für tolle Erzieher sie sind.
Haben schüchterne Kinder weniger Selbstvertrauen als andere?
Zimmermann
Schüchternheit ist ein Charaktermerkmal. Es gibt auch Kinder, die durchaus mit sich selbst zufrieden sind oder auch mit zu viel sozialen Kontakten überfordert sind. Menschen unterscheiden sich nun einmal in der Art, wie viele soziale Kontakte sie brauchen.
Wie sollte man als Elternteil agieren, wenn ein Kind soziale Ängstlichkeit zeigt, sich nicht traut und allein auf der Bank sitzen bleibt, während alle anderen spielen?
Zimmermann
Da hat es sich als wirksamer erwiesen, im Alltag durchaus etwas herausfordernder zu sein und das Kind nicht nur bei sich am Schoß zu behalten und es zu trösten. Studien haben gezeigt, dass Väter, die etwas herausfordernder und wilder mit dem Kind spielen und es etwas fordern, hier eine größere Wirkung haben als Mütter. Das hat uns auch überrascht. Möglicherweise hat das damit zu tun, dass Väter mit Kindern aufgabenorientierter und ausgelassener ihre Zeit verbringen, also zum Beispiel gemeinsam Sport machen, während Mütter mehr dazu tendieren, Zeit mit Reden und emotionaler Nähe zu verbringen.
Was die Persönlichkeit eines Menschen beeinflusst, sind Umwelt, Kindheit und genetische Prädisposition. Ist Selbstvertrauen etwas, was auch genetisch beeinflusst ist?
Zimmermann
Nein, Selbstvertrauen ist stark von Umwelterfahrungen beeinflusst. Unterschiede im Selbstvertrauen sind in der Entwicklung nicht so stabil wie zum Beispiel Intelligenzunterschiede und ständig im Wandel begriffen. Das heißt aber auch, was in der Kindheit passiert ist, muss nicht irreversibel sein. Menschen mit einem geringen Selbstvertrauen sind jedoch in jedem Fall viel gefährdeter für Depressionen und Angststörungen. Selbstvertrauen in eigene Fähigkeiten, Selbstwert, also wie sehr ich mich sozial akzeptiert und gemocht fühle, und Selbstwirksamkeit, also das Gefühl, etwas gestalten und bewirken zu können, stehen in einem dynamischen Verhältnis und beeinflussen jeden Tag, welche Entscheidungen ein Mensch trifft.

Peter Zimmermann, 58

hält den Lehrstuhl für Entwicklungspsychologie an der deutschen Universität Wuppertal und ist Autor zahlreicher wissenschaftlicher Bücher über frühkindliche Bindungsmuster.

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort