Italienische Polygamie
Stars der Fotokunst wie Philippe Halsman, Alfred Eisenstaedt, Gjon Mili und durchaus auch einige Frauen wie Margaret Bourke-White, Lisa Larsen und Nina Leen, was zumindest in der Anfangsphase noch sehr ungewöhnlich war, drückten jahrzehntelang für „Life“ auf die Auslöser. Einige der „Fotojournalisten“, wie die neue Branchenfacette hieß, bauten sich jahrelange Vertrauensverhältnisse mit ihren „Sujets“ auf. Eisenstaedt begleitete beispielsweise Sophia Loren und deren in puritanischen Kreisen verpöntes Verhältnis mit dem Filmproduzenten Carlo Ponti, der sich über Jahre nicht scheiden lassen wollte oder konnte. Eine dieser Fotoromanzen erschien sogar unter dem reißerischen Titel „Italienische Polygamie“, was zu Stürmen der Entrüstung bei der Leserschaft führte.
Das 1936 von Henry Luce gegründete Wochenmagazin „Life“ (der Titel wurde von einem sterbenden Periodikum für Pin-up-Girls und Satire übernommen) zeigte einen völlig neuen Typus am Zeitschriftenmarkt, der das heute altmodisch anmutende Genre der Illustrierten begründete: Üppig angelegte Fotostrecken mit vergleichsweise spärlichen Mengen Text, sogenannte Foto-Essays, hochklassig und in der Regel von den Besten ihrer Zunft ins Licht gerückt, sollten das Publikum, so die im Impressum verkündete programmatische Absicht, dazu verführen, „das Leben zu sehen, die Welt zu sehen, Augenzeuge großer Ereignisse zu werden. Sehen und am Sehen Freude haben. Sie sollen Frauen, die Männer lieben, und Scharen von Kindern sehen und dabei staunen.“
Auf dem ersten Coverbild des Magazins (fotografiert von Margaret Bourke-White) prangte der Staudamm „Fort Peck Dam“, der nicht nur gigantische Ausmaße besaß, sondern auch wirksam die regionale Arbeitslosigkeit bekämpfte. Aber schon bald ging der Verleger Henry Luce, der zuvor schon mit der Gründung des Polit-Wochenmagazins „Time“ (auch ein Vorbild für profil) Publizistikgeschichte geschrieben hatte, mit den Betreibern eines Stechpalmenwalds (so die wortwörtliche Übersetzung des Begriffs Hollywood) in den kalifornischen Hügeln eine Liebesheirat ein, die unser Verständnis des Starkonzepts und die Image-Inszenierungen von Filmschauspielerinnen und ihren männlichen Kollegen bis heute prägen sollte.
Publikumsköder auf das Titelblatt
Ideengeberin für das Magazin war übrigens die „Vanity Fair“-Redakteurin und Schriftstellerin Clare Boothe, die mit dem Konzept beim Hochglanz-Mogul Condé Nast (u. a. „Vogue“) nicht landen konnte. Luce hingegen überführte den Einfall sofort in die Realität und heiratete die Visionärin Boothe wenig später. Erstes Covergesicht der Hollywood-Riege war Jean Harlow im Gründungsjahr 1936; die Pionierin aller Hollywoodblondinen sollte nur einen Monat später an einer Vergiftung auf einem Filmset mit 26 Jahren sterben. Der Erfolg des ersten Star-Titelblatts intensivierte die Hollywood-Beziehung. Cover-Stars am nahezu laufenden Band waren die Folge: Rita Hayworth, Bette Davis, Sophia Loren, Grace Kelly, Liz Taylor, die Hitchcock-Blondine Tippi Hedren, die fragile Audrey Hepburn oder die Prinzen der Coolness, Marlon Brando und Steve McQueen, um nur eine Handvoll aufzuzählen. Die Studios lieferten dem Magazin „Life“, das in seinen Spitzenzeiten in den 1940er- und 1950er-Jahren wöchentlich bis zu 13 Millionen Exemplare verkaufte und jeden vierten Amerikaner, jede vierte Amerikanerin zu seiner Klientel zählte, ihre „Zirkuspferdchen und Cash-Kühe“ (so Filmmogul Daryl Zanuck) auf dem Silbertablett. Denn unter dem „Life“-Fittich konnten sie sicher sein, dass ihre Publikumsköder fantastisch aussahen und sympathisch erschienen. Sie mutierten also zu Göttern und Göttinnen von nebenan, mainstreamtauglich an der Schnittstelle zwischen Glamour und Normalität platziert. Schmutzwäsche wurde da nie gewaschen, biografische Flecken allerhöchstens familientauglich angedeutet. Inszenierungen glatt polierter, heiler Welt, wie sie das Ehepaar Tony Curtis und Janet Leigh mit ihren Kindern vorführte, waren üblich; da konnte Curtis’ Alkohol- und Pillensucht noch so sehr ein offenes Geheimnis in der Branche darstellen.
„Life“ zeigte sich auch immer verlässlich, was spektakuläre Fotoinszenierungen betraf: die Hitchcock-Blondine Tippi Hedren posierte beispielsweise mit einem Löwen, der in ihrem Garten lebte. Später sollte das Bild jedoch einen tragischen Beigeschmack bekommen: Für den Film „The Roar“ (das Gebrüll) tummelten sich in Hedrens Garten noch mehr Raubtiere, die ihre Tochter Melanie Griffith (neben Mitgliedern der Crew) so sehr verletzten, dass sie schwere Gesichtsoperationen über sich ergehen lassen musste.
„LIFE – Hollywood“
Über 600 Bilder in zwei opulenten Bänden im Schuber, die die geniale Wechselwirkung zwischen der US-Filmindustrie und dem Fotomagazin „Life“ von 1936 bis 1972 dokumentieren. Arbeiten von über 70 Fotografen wie Alfred Eisenstaedt , Gordon Parks und Lisa Larsen im XL-Format, Texte von Filmkritikern und Filmhistorikern.
Bei TASCHEN ab Mitte August, Preis: rund 200 Euro
„Life“ mit seiner Seriosität und herausragenden Ästhetik war ein wohltuender Ausgleich zu den blutrünstigen Trash-Zeiten, die Ende der 1920er-Jahre ein Zeitungsreporter namens Walter Winchell ausgerufen hatte. Winchell, so sein Biograf Neal Gabler, „war der Begründer der brutalen Celebrity-Kultur. Inmitten eines Heers von journalistischen Erfüllungsgehilfen war er der Erste, der berichtete, wer mit wem schlief, wer pleite war, Mafia-Kontakte besaß oder eine Minderjährige vergewaltigt hatte.“ In den 1940er-Jahren erwiesen sich die Klatschfurien Hedda Hopper, Elsa Maxwell und Louella Parsons als würdige Thronfolgerinnen. Ihre oft vor Gehässigkeit und Häme triefenden Rubriken wurden in über 250 Zeitungen gedruckt. „Wann immer eine von den dreien zum Interview pfiff“, erinnerte sich Rock Hudson in seinen Memoiren, „begann man zu zittern. Die wussten mehr über einen als man selbst.“
Lebender Online-Leichnam
Ab den 1980er-Jahren wurde das Waffenarsenal für Star- und Gossip-Reporter nachhaltig erweitert: 50 Jahre nach der Gründung von „Life“ hefteten sich quer über den Erdball ganze Legionen von Reportern, Paparazzis und Videorazzis an „das eine Prozent der Menschheit, das Schönheit, Glamour, Tragik und Macht symbolisiert“ (Gabler), um sie in die Niederungen des allzu Menschlichen zurückzuzwingen. „Die Öffentlichkeit ergötzt sich offenbar an den Fehlern der Berühmtheiten, ihrer Helden – das gibt ihr vermutlich ein Gefühl der Überlegenheit“, klagte Liz Taylor, mit ihren neun Ehen und zig Dramen die Mater dolorosa des modernen Celebrity-Wahns. Die britische Kolumnistin Julie Burchill mag ihr gar nicht widersprechen: „Die Schmerzen der Celebrities wirken ungleich besser als ihre Triumphe. Wir sind nun mal primitiv.“ In diese Zeit fiel das langsame Ende von „Life“, das nach einer Umstellung auf monatliches Erscheinen 2000 endgültig seinen Geist aushauchte und noch ein paar Jährchen als lebender Online-Leichnam dahinvegetierte.
Mit der Einführung von „Facebook“ und „Instagram“ mutierten die Rezipienten ohnehin weltweit zu einer voyeuristischen Glaubensgemeinschaft, in der durch die allen zugängliche Aufbereitungsmaschinerie sämtliche sozialen Distanzen aufgehoben wurden. Die Ära der Kardashians, die mit ihrer Reality-Show seit 2007 wieder das alte Paris-Hilton-Credo „Ich bin berühmt, weil ich berühmt bin“ in gigantischen Dimensionen und mit (pro Mitglied) um die 300 Millionen Followern belebten, löste die „Tabloid-Dekade“ („Vanity Fair”) ab. Instagram sei Dank führen die Stars und Starlets von heute die Regie in ihrem eigenen Exhibitionismus. Madonna legte in ihrer Lissabon-Phase ungeschminkt ihre Einsamkeit offen („All alone and no friends“); Jane Fonda ließ ihr Gefolge wissen, dass sie die Robe vom letzten Abend am Morgen beim Frühstückskaffee noch immer anhat, weil sie den Zipp nicht allein öffnen konnte. Und David Beckham verrät beim Schmoren eines „Sunday roasts“, dass seine Frau Victoria die langweiligste Esserin der Welt ist: „Jeden Abend immer nur gegrillten Fisch mit Gemüse.“
Ob so viel Lieschen-und-Hansi-Müller-Mentalität auf die Dauer tatsächlich die Horden bei der Stange halten wird, steht zu bezweifeln.
Normal sind die ohnehin selbst.