Severin Zotter: „Alles, was die Radkultur fördert, ist positiv“
profil: Christoph Strasser, ihr Freund und Konkurrent beim Race Across America, ist gerade dabei, den Weltrekord für die Australien-Durchquerung von Perth nach Sydney (knapp 4.000 Kilometer) zu brechen. Würde Sie das auch reizen? Severin Zotter: Momentan nicht, langfristig fände ich es aber schon spannend. Ich habe vor drei Jahren mit meiner Freundin eine Australien-Durchquerung im gemütlichen Stil mit Tourenrädern gemacht. Damals habe ich mir gedacht, es wäre auch interessant, diese Fahrt nonstop auf Tempo zu fahren. profil: Was ist die besondere Herausforderung daran? Zotter: Die Australien-Durchquerung ist im Gegensatz zum Race Across America (knapp 5.000 Kilometer, Anmerkung) kein Rennen, sondern eine Solofahrt. Dafür musst du dich komplett alleine vorbereiten und motivieren. Du kannst dich nur am bestehenden Rekord messen. Dieser Umstand macht das Projekt einerseits besonders spannend, aber erschwert es sicherlich auch hin und wieder, die Motivation aufrecht zu erhalten.
profil: Race Across America, Trans-Siberian Extreme in Russland, Durchquerung Australiens: Österreicher sind bei diesen Ultraradrennen häufig Gewinner und halten Rekorde. Wie erklären Sie sich das? Zotter: Es gibt in Österreich in Sachen Ultraradrennen eine gute Tradition. Das beginnt bei Franz Spilauer, der 1988 als erster nicht-amerikanischer Fahrer das Race Across America gewonnen hat. Danach kamen Wolfgang Fasching und eben Christoph Strasser. Diese Leute haben Aufmerksamkeit erzeugt und Menschen wie mich für diese Sache begeistert. Zum anderen gibt es vor allem in Graz seit Jahren eine sehr aktive Ultraradrennszene, die sich gegenseitig motiviert und unterstützt. Da wird auch viel Know-how und Detailwissen weitergeben, das man für diese Rennen braucht. profil: Sie haben 2015 das Race Across America als Einzelfahrer gewonnen, und vergangenes Jahr das Race Around Austria im Zweierteam. War das für Sie eine große Umstellung? Zotter: Im Team muss man miteinander und füreinander fahren. Die Motivation ist eine andere: Sobald du beim 2er-Team am Rad sitzt, musst du ordentlich Gas geben, weil viel mehr auf Tempo gefahren werden kann. Der größte Unterschied ist allerdings das Organisatorische, da man 24 Stunden am Stück unterwegs ist und immer zwei Autos braucht zur Betreuung. Logistisch ist der Umfang beim Race Around Austria natürlich nicht vergleichbar mit dem Race Across America. Es war in Österreich dann aber doch komplizierter als gedacht.
profil: Ihr Motto für das Race Across America war „100%ige Akzeptanz und 100%iges Vertrauen“. Haben Sie psychologisch aus Ihrer Arbeit als Sozialarbeiter etwas für das Rennen mitnehmen können? Zotter: Ja, sicherlich. Ich sehe jeden Tag sehr schwierige Lebenskontexte und meine Grundhaltung diesbezüglich ist zu versuchen, nicht zu werten und nicht zu urteilen, den Menschen und Umständen offen zu begegnen. Diesen Zugang habe ich für meine Situation am Rad mitgenommen und adaptiert. profil: Haben Sie umgekehrt aus den Erfahrungen bei dem Rennen wiederum etwas für Ihren Alltag und Ihre Arbeit mitnehmen können? Zotter: Die Entscheidung, beim Race Across America teilzunehmen, war für mich eine schwierige und mit Risiko verbunden. Im Nachhinein habe ich aber sehr viel für mein Selbstvertrauen und Vertrauen allgemein mitgenommen. Wenn man Projekte motiviert und gut angeht, ist sehr viel schaffbar. Das Teamerlebnis und die Zusammenarbeit mit meinen elf Betreuern war ebenfalls eine einmalige Erfahrung, von der ich immer noch zehre. Mit meinem Chef von der Caritas, der auch beim Rennen dabei war, habe ich das Rennen im Nachhinein immer wieder reflektiert mit der Frage, was wir daraus für unsere Arbeit mitnehmen können.
profil: Sie haben am Race Across America 5 Euro pro Kilometer für syrische Flüchtlingskinder im Libanon gesammelt. Am Ende sind für das Projekt mit der Caritas 30.000 Euro zusammengekommen. Haben Sie das Projekt nach Rennende noch weiterverfolgt? Zotter: Als wir das Projekt ins Leben gerufen haben, war die Flüchtlingsthematik noch weiter weg von Österreich. Aber schon bald danach ist das Thema direkt in Österreich angekommen. Ich habe mich dann als Einsatzleiter beim Transitquartier in Graz-Webling beteiligt, das die Caritas betreut hat. Es stand auch im Raum, dass ich mir im Libanon vor Ort die Projekte anschaue, die wir unterstützt haben. Mir war es aber am wichtigsten, dass das Geld gut vor Ort angekommen ist.
profil: In den letzten Jahren haben sich Fahrradfahren als Lifestyle und Retrorennräder als Modeaccessoire etabliert. Wie sehen Sie diese Entwicklung? Zotter: Grundsätzlich finde ich alles, was die Radkultur in der Stadt fördert, sehr positiv. Ich bin selber 15 Jahre als Fahrradbote gefahren, habe seit 14 Jahren ein Fixie-Rad und kann gut verstehen, warum sich diese Art der Fortbewegung zum Lifestyle entwickelt hat. Manchmal wundert es mich, wie viel Geld für nicht immer besonders spannende Fahrräder ausgegeben wird. Und mittlerweile ist es als Radfahrer in der Stadt gar nicht mehr so einfach, weil es so viele gibt. Da würde ich mir manchmal wünschen, dass das Fahren kontrollierter abläuft. profil: Welche Rennziele haben Sie für die Zukunft? Zotter: 2017 wird ruhiger für mich, da ich bald für ein Jahr in Elternkarenz gehe. In dieser Zeit ist das nötige Training, um gute Rennen fahren zu können, nicht möglich. Daher konzentriere ich mich heuer auf Radmarathons und betreue eventuell Freunde bei Rennen. Ich schließe aber nicht aus, dass ich in Zukunft das Race Across America ein zweites Mal fahre. Was mich auch interessiert ist das Transcontinental Race, das unbegleitet und in Eigenregie von Belgien nach Istanbul führt. Paris-Brest-Paris, häufig als das älteste Radrennen der Welt bezeichnet, würde mich auch reizen.
Severin Zotter (35) ist Langstreckenradfahrer und war viele Jahre Fahrradbote. Hauptberuflich ist der Steirer Sozialarbeiter bei der Caritas im Drogenstreetwork in Graz. 2015 gewann er gleich bei seiner ersten Teilnahme das Race Across America. Die 4837,5 Kilometer lange Strecke legte er in 8 Tagen, 8 Stunden und 17 Minuten zurück.