Emilia Roig
Beziehungen und Sexualität

„Sex und Liebe bedingen einander doch nicht“

Die in Berlin lebende Autorin und Aktivistin Emilia Roig fordert in ihrem neuen Essay-Band „Lieben“ ein Überdenken traditioneller Beziehungskonzepte. Die promovierte Politologin und gebürtige Französin ist bekannt für ihre gesellschaftspolitisch provokanten Thesen.

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Die promovierte Politologin Emilia Roig wuchs in Frankreich auf und lebt seit 20 Jahren in Berlin. Ihr Schwerpunktthema ist Intersektionalität, die 41jährige ist eine gefragte Keynote-Speakerin und Publizistin. Soeben erschien ihr Essayband „Lieben“ im Hanser Verlag Berlin, eine thematische Fortsetzung ihres 2023 heftig diskutierten Buchs „Das Ende der Ehe: Für eine Revolution der Liebe.“ Roig überprüft  in „Lieben“ die tradierten  Konzepte auf ihre Untauglichkeit in der Gegenwart, eröffnet neue Möglichkeiten des Miteinanders und erzählt  auch mit schonungsloser Ehrlichkeit von ihrem eigenen  Liebes- und Beziehungsleben.

Getrieben von einer Sehnsucht nach Symbiose, aber gleichzeitig voller Angst vor der Enge: In Ihrem neuen Buch „Lieben“ schreiben Sie angesichts der Zweisamkeit einer Ex-Freundin mit einer neuen Partnerin den Satz: „Dieses Leben, das eine so große Sehnsucht in mir auslöste, es war nicht meins. Ich würde darin ersticken.“

Emilia Roig

Die romantische Liebe ist eine Norm, die uns vorgegeben wird. Und von der erwartet wird, dass sie alle unsere Bedürfnisse abdeckt: Interessen, Urlaube, intellektuelle Gespräche, gemeinsame Haushaltsführung, Care-Arbeit . Dabei gäbe es so viele unterschiedliche Beziehungsmodelle. Warum muss ich mit einer Person, mit der ich eine romantische Beziehung habe, auch unbedingt den Haushalt teilen? Oder ein Kind aufziehen? Das könnte ich auch im Verbund mit Freundinnen machen. Kinder wurden früher auch schon immer in Dorfgemeinschaften großgezogen.

Ich habe meine Position erschaffen, in der ich an diesen Tabus rütteln kann.

Emilia Roig

Sexualität fehlte in Ihrer Aufzählung. Ich nehme an, mit Absicht. In Ihrem Buch schreiben Sie auch, dass die Entkoppelung von Sex und Liebe eine Gefahr für das Patriarchat ist.

Roig

Diese Verschmelzung von Sex und Liebe ist integral, um die patriarchale Unterdrückung, die Vereinnahmung und die Kontrolle der Sexualität der Frauen, aufrechtzuerhalten. Hören wir damit auf, Sex und Liebe selbstverständlich miteinander zu verknüpfen, denn wenngleich sie koexistieren können, bedingen sie einander doch nicht.

Das verstehe ich nicht ganz. Sexuelle Erfüllung und Liebe in einer Person finden zu können, ist doch das erstrebenswerte Optimum in einer Beziehung.

Roig

Ja, das stimmt. Aber die Tatsache, dass Sex – vor allem bei Frauen – in einem klar definierten Rahmen passieren soll, nämlich in und durch Liebe, schränkt die sexuelle Selbstbestimmung der Frauen ein. Durch die Tatsache, dass Frauen Kinder gebären, wird die Kontrolle über ihre Körper ausgeübt. Die Verbindung von Besitz und Liebe ist eine patriarchale Säule, die nach dem Prinzip funktioniert: „Wenn ich dich liebe, dann will ich dich auch besitzen.“ Dieses Denken ist die Norm, obwohl es eindeutig den Boden für Missbrauch und Gewalt bereitet.

Ihre Zweifel an der Überlebensfähigkeit der Kernfamilie sind also groß?

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort