Show am Klo: Die glamouröse Toilettenfrau des Burgtheaters tritt ab
Die Festwochen-Gastspiele im Haus sind ein einziges Drama. Da hat das Trinkgeld im Körberl sehr viel Luft: „Andere Leit“ san die einfach. Manche kommen „in Fetzen, die ich nicht einmal zum Putzen anziehen tät“. Früher, da ging man noch „adjustiert“ ins Theater, heute nur abgefuckt.
Veronika Fileccia (den exotischen Nachnamen hat sie von einem sizilianischen Maurer mit sehr schönen blauen Augen und sehr fortschreitender Gewaltbereitschaft, aber „er war meine große Liebe“) streift noch einmal den adrett gebügelten Kittel über und versprüht an ihrem vorletzten Arbeitsabend mit großer Geste den letzten Rest des Weihnachtssprays mit Zitro-Zimt-Duft: „Es g’hört ja alles auf’braucht.“ Ihre Toilette war nicht nur wegen der Wuchteln ihrer Hüterin berühmt, sondern auch wegen der speziellen „Klozuckerln“ und den „Duftsprays“, die sie immer aus eigener Tasche bezahlte: „Des war das Kürprogramm von mir. Wenn’s zamzwicken müssen, manche mit puterrotem G’sicht, die Damen, beim Warten, soll’s wenigstens fesch riechen.“
Wie groß ist die Wehmut vor dem Abschied? Null, oder ja, „a bisserl schon“, aber nur „wegen meiner Stammgäste“, das Haus selbst wird sie nicht vermissen, weil „es is eh schon lang nimma mei Burgtheater“. Arbeitstitel für mögliche Memoiren: „Ich habe für euch gespült!“
Viele ihrer Stammgäste sind „echte Fileccia-Fans“, die oft trotz Sitzplätzen auf der anderen Seite des Parketts zu ihr pilgerten, weil auf ihrer „Häusl-Bühne“ die „Wuchteln“ nur so durch die Luft flogen: „Bei mir geht kaner in den Keller lachen, sondern nur am Klo.“
Übernatürliche Schauspieler
Früher war hier generell „vom Haus aus“ einfach mehr Familie: Der Peymann, der Bachler und die Bergmann, „des war halt noch a Direktion“, da wurde gegrüßt und nicht durch einen durchgeschaut; jetzt ist sie schon lange nicht mehr zu „den Premierenfestln“ gegangen: „Man kennt ja die Leut’ nimma. Und es rennt ka Schmäh mehr.“ Früher gab’s sogar echte Freundschaften mit den Schauspielern: Mit dem Oliver Masucci, „der heute a Weltstar is, da kann er jetzt schön schauen, der Herr Direktor“, und der Christiane (von Poelnitz): „Die waren sogar bei mir z’Haus. Wir haben eine solche Gaudi g’habt. Manche von den Schauspielern sind ja echt oft a bissl übernatürlich, das bringt der Beruf wahrscheinlich so mit sich; so ‚Gmiatliche‘ wie die Maria Happel werden halt a immer weniger.“
Kein Wunder bei dem „vielen Dreck, den die spielen müssen“. Gesehen hat sie den Dreck „na wirklich net“, aber am Befindlichkeitsbarometer ihres Publikums konnte sie immer klar ablesen, wo „a Genuss war und wo net“. Viele von den Fans kommen ja schon vor dem Einlassläuten zu ihr mit der Frage: „Wie ist es denn heute ungefähr?“ Und wenn sie nach einer Kunstpause nur trocken ihren Stehsatz „Na, schauen Sie sich’s halt an …“ rübergeschoben hat, dann haben die sowieso schon gewusst, „wie viel’s g’schlagen hat“. Nein, mit dem Theater kann man sie jagen; nur einmal, ein einziges Mal war das so richtig erhebend als Erlebnis gewesen, ist aber schon „a Zeitl her“, bellendes Gelächter, da war sie nämlich gerade 16: „Die ‚Gräfin Mariza‘ im Raimund Theater, da war eine Aufmachung und Kostüme. Da ist einem das Herz aufg’angen.“
„Ich hab' echte Hardcore-Fans g'habt, die sie vor jedem Stück meine Meinung g'holt haben. Angeschaut habe ich mir nix, mit dem Theater kannst mi jagen, aber die Reaktion der Leute war immer die beste Kritik.”
Richtig schwarze Trinkgeldtage waren auf der Burg-Toilette immer dann, wenn es „zu viel Tote in an Stückl geben hat“. „Hamlet“: Katastrophe. Oder wenn es eben fad war: „Faust“. „Der Faust hat ja net amal den Deutschen g’fallen.“ Das Klimpern im Körberl häufte sich eben nur, „wenn’s lustig war“. Und in letzter Zeit war wenig lustig. Manchmal sind die Gäste wutschnaubend und „voll gesättigt“ von „dem Stückl“ ins Klo gestürzt, besonders negativ erregt waren sie von „dem Ingolstadt und den Troierinnen“. „Ich bin natürlich für die die erste Anlaufstelle, wenn’s ang’fressen sind. Das war für mich dann psychisch schwer zum Durchdrucken. Ich hab des immer schlechter ausg’halten. Die Leut’ haben g’schimpft, die sind mich teilweise echt angegangen, und ich hab dann oft nur g’sagt: ,Tut mir sehr leid, aber i kann mich nicht erinnern, dass ich mitg’spielt hab.“ Richtig mei G’schäft umbracht haben die Ohne-Pause-Stückeln. Und natürlich Corona, muss man sagen, da san viele ‚2D‘ worden: deppert und deprimiert.“
Nur über die Stammgäste, „meine lieben Abo-Damen“, lässt sie nichts kommen. Sie hat ihnen auch einen Abschiedsbrief mit einem Gedicht auf die Fliesen geklebt: „Was an Schmutz in Leib und Seele/ gar manchen Menschen quäle/ in der Toilette spült man’s fort/ bei nettem Tratsch auch an dem Ort/ Und denke gerne an die Zeit/ als ich mit Papier und Spray bereit/ für eure sitzende Bequemlichkeit.“
Der Tratsch artete manchmal eher in einen Monolog der „Vroni“ aus. Heute dreht sie noch einmal voll auf und erklärt voll Inbrunst vor ihrem Stammpublikum, der blasennervösen Warteschlange, was ein Mann können müsse, wenn sie sich noch einmal auf den Beziehungsplaneten begeben soll: „An armen Schlucker nehm i sicher net. Dafür hab i viel zu viel erlebt. Der muss was vorweisen. Und Kuscheln heißt bei mir wirklich nur Kuscheln und net Sex. Ich bin nicht leicht zum Haben, mich muss man erobern. Und des kann lang dauern.“ Schließlich habe sie ja auch was zu bieten, und wie auch noch: „Na, sicher: Ich war die berühmteste Tänzerin von da bis dort und dann war ich die berühmteste Klofrau von ganz Österreich.“ Ihre letzte Liebe vor ein paar Jahren war ein „Mistler von der MA 48“, erzählt sie später im „Vestibül“ bei ihrem Lieblingsdrink (Gin Tonic), tätowierungsfrei, weil „noch alte Garde“, der konnte wenig bis gar nichts bieten, zehn Jahr älter und dementsprechend lahm. „Der war mir dann zu inaktiv, der wollt’ nix außer Spazierengehen und Spritzertrinken. Und der Sex in dem Alter? Eher a halbweiche Angelegenheit. Na, danke, des brauch ich nimmer.“
In der dritten Pubertät
Man stelle sich vor, erzählt sie stolz auf der Toilette, im Herbst werde sie sogar als „unstudierter Mensch“ auf die Universität eingeladen, von einer Soziologie-Professorin, um aus ihrem Leben zu erzählen: „Fünf von meine sieben Leben hab i schon gelebt, jetzt hab i no zwa. Ich bin jetzt original in der dritten Pubertät.“ Auch einen Brustkrebs hat sie hinter sich gebracht: „Da hat mei Busen kurzfristig ausg’schaut wie eine eingetretene Wirtshaustür.“ Nikotinbelegte Lachsalve. Nur das mit dem Weinen sei jetzt vorbei, aber für immer und endgültig: „Früher, wenn i an Liebeskummer g’habt hab, hab i g’rehrt ohne Ende, dann bin i ins nächste Wirtshaus, hab mir in der Jukebox ‚Liebeskummer lohnt sich nicht‘ gedruckt und nachher wieder weiter g’want. Oida!“ Sie drückt noch einmal kräftig auf die Spraydüse, erneut kommen Weihnachtsgefühle auf, die Damen in der Schlange nicken teils ergriffen, teils belustigt. „Ja, meine Damen, wirklich, des können S’ mir glauben: I hab schon auf größere Bühnen getanzt als die da.“ Sie deutet in Richtung Burgbretter. „In Aleppo. Montecatini. Überall und ständig unterwegs.“
Sie kramt alte Fotos hervor: Die Bilder zeigen eine junge Kurvengöttin mit frechem Blick, in goldenen Nichtigkeiten von einem Kostüm, mit Polizeimützen beziehungsweise Straußenfedern-Extravaganzen auf ihrem Kopf: „I war immer in der Mitte und hab’s antrieben, die anderen Girls. Ich hab so a Kraft g’habt.“ Begonnen hat ihre Karriere im Tanzgewerbe, als die gelernte Verkäuferin (eigentlich wollte sie Automechanikerin werden) Vroni Fischer, damals knapp 18, per Zufall über ein Inserat in der Zeitung stolperte: „Tänzerinnen gesucht, Tanzausbildung nicht notwendig“. Ihre ersten Enthüllungsmutproben legte sie bei der „Hallelujah-Show“ in Wien vor, bald mutierte sie zum Juwel der vor allem durch den Nahen Osten tourenden Revuetruppe Diamond Girls. Ihre Spezialnummer als strippende Tänzerin war das wenig Interpretationsspielraum zulassende Kreisen „meines sehr gebärfreudigen Beckens“, das habe ihr die Frau eines Nachtclubbesitzers in Beirut beigebracht: „Da san’s alle ausgezuckt, die Bauernschädeln!“
Aber über die Moslems können die anderen schimpfen, was sie wollen: „Mich haben s’ immer wie eine Prinzessin behandelt.“ Also meistens: „Manche Männer hätten mich aber auch am liebsten umgebracht, weil sie so eifersüchtig waren.“ Einmal ist ihr ein besonders Narrischer mit einem Krummsäbel hinterhergehechelt, weil sie mit einem Rivalen in die Disco gestochen ist. Überlebt hat sie nur durch die Flucht im Dienstwagen eines Diplomaten.
Aber verkauft hat sie sich nie, nur auf der Bühne beim Tanzen. Die Ausbildung als Ballerina, die ihr heißester Wunsch mit 14 war, haben ihr die Eltern nicht zahlen können.
Also lernte die Tochter einer Hausbesorgerin, die zusätzlich noch in der Küche eines Ottakringer Heurigen schuftete (der Papa war Arbeiter und wenig da, „weil ständig auf Montage“), eher leidenschaftslos Verkäuferin. Für Liebe war in dieser Kindheit wenig Zeit, aber eines hat sie von ihren Eltern gelernt: „Von der Mama das Arbeiten und das Sparen, vom Papa des Leben. Des war eigentlich a gute Einteilung, mit der ich die letzten 62 Jahre super g’fahren bin. Sex, Drugs and Rock’n’Roll und Money … Ich hab genug auf der Seite, damit ich mir keine Sorgen machen muss.“ Auch ohne genug auf der Seite würde sie sich keine Sorgen machen: „Bei mir ist immer irgendwas kommen, wenn nix war.“
MAGERE AUSBEUTE
Das meiste Geld gab es bei Komödien, Tragödien waren da „ein echter Horror”: „Da blieb wenig über.”
Wenn die ihr von der ohnehin lächerlichen Pension nicht beim Weiterarbeiten so viel abziehen würden, hätte sie die Show am Klo noch verlängert: „In dem Land wirst ja g’straft fürs Arbeiten. Der Typ hat mir vorgerechnet, dass ich pro Jahr im Dienst sechseinhalb Euro mehr im Monat kriegen würde. So ein Scherzküberl!“
Den Alkohol hat sie inzwischen nahezu ad acta gelegt, ab und zu „ein bisserl kiffen“ tut sie noch immer gerne. „Ich war manchmal so aufgeregt von den Leuten und die Aggressionen von denen, dass ich mindestens zwei Stunden braucht hab, um von dem allen runterzukommen. Man muss wissen: Ich bin a innerer Vulkan, i hab sonst so a Unruhe in mir.“ Der Begleitsound zur Vulkanabkühlung: Reggae. Sie wohnt seit Jahrzehnten im 14. Bezirk, die einzige Österreicherin in ihrem Wohnhaus, sonst lauter Syrer, Türken, alle möglichen Nationen: „I hab’s alle voll integriert, bei mir hat des voll geklappt mit der Integration. Wenn mich meine Syrer auf der Straßen sehen, sagen s’ alle: Servas, Vroni!“ Dass sie mit Ausländern überhaupt kein Problem habe, liege daran, dass sie selbst immer eine Ausländerin war: Vom Waldviertel mit sieben nach Wien, als junge Ehefrau jahrelang in Italien mit dem sizilianischen Maurer Mario, Vater ihres Sohnes Rosario (den er ihr aus Wien später entführen sollte, fünf Jahre lang dauerte die Tragödie!), und jetzt nach Pensionsantritt wird sie für ein paar Monate als Ausländerin auf Kreta leben. Dort warten schon „viele sehr leiwande Hawara“.
Psychologisches Studium am Klo
Noch einmal werden die Nasszellen vor Ende der Vorstellung kontrolliert, fehlende Papierrollen nachgelegt. Ein bisschen Nachdenklichkeit kriecht ihr bei diesen letzten Handgriffen hoch. Eigentlich habe sie hier auf ihrer großen Toilette auch „a psychologische Ausbildung“ abgeschlossen, so ganz nebenbei. Die mit „den Gucci-Taschln, bei denen war auch das Trinkgeld futschi“. Tatsächlich bewahrheitete sich die Formel zigfach: Je teurer die Handtasche, desto mehr „haben s’ beim Geld zamzwickt“. Und sich vielleicht dann noch elendslang die Lippen „ang’schmiert“ und die ganze Partie beim Waschbecken aufgehalten.
Bei denen „mit den Oma-Kofferln“ war meistens „a Fufzgerl“ drinnen, manchmal sogar ein Euro. Am verlässlich großzügigsten waren die, die ausgeschaut haben „wie Mindestpensionistinnen“.
Im Toilettentheater konnte man das menschliche Verhalten wie unter einem Brennglas studieren. Schon als Kind, so schwört sie (und es klingt fast zu perfekt einstudiert), hatte sie genau zwei Berufswünsche: „Tänzerin und Klofrau, weil man da mit allen, aber wirklich allen Menschen zu tun kriegt. Und ich liebe die Menschen, zumindest manche.“
Der Festwochen-„Wahnsinn“ dauerte „Gott sei Dank“ nur knackig kurz, wir beschließen den Abend im „Vestibül“.
Sie sagt: „Ich will nicht mehr kämpfen, ich hab so viel kämpft im Leben. Ich bin müd’.“ Und wenig später fügt sie hinzu: „Wissen S’, was die Veronika jetzt macht? Ich hab mir mein Bauchtanzkostüm renoviert. Ich werd demnächst in so an Pensionistenclub stechen und denen zeigen, was a guarter Bauchtanz ist. 20 Minuten halt ich nimma durch, aber zehne schon.“
Signora Fileccia springt auf und deutet mit einer lasziven Hüftbewegung an, wie sie ihre Show ungefähr anlegen wird: „Hoffentlich kriegen s’ dann kan Herzkasperl, meine Pensionisten.“