KATJA KULLMANN. Die deutsche Autorin ist seit 17 Jahren als Single glücklich.
Gesellschaft

Single-Shaming: Zu zickig, zu wählerisch, zu …, zu …?

Die Zahl der Frauen, die solo und selbstbestimmt durchs Leben gehen, wächst rasant. Manche suchen zwar weiter fieberhaft nach dem Richtigen, aber immer mehr wehren sich radikal gegen das „Single-Shaming“.

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Die Frau, die Sie unten allein auf einem Doppelbett in einem Hotelzimmer liegen sehen, nennt sich Nancy. Sie ist Anfang 60, Religionslehrerin, seit zwei Jahren verwitwet und wartet auf ihren ersten Sexarbeiter. Sie hat während ihrer Ehe nie einen Orgasmus erlebt und möchte das schleunigst ändern. Die Männer, die ihr seit dem Tod ihres Gatten Avancen machen, sind alle um die 70 und für ihren Geschmack eindeutig zu alt. Nach mehreren Sessions mit ihrem Leasing-Lover Leo (auch er trägt einen falschen Namen) steht Nancy nackt vor dem Spiegel und betrachtet ihren Körper, der für uns Zuschauer:innen wohltuend realistisch die Spuren ihres Lebens zeigt. Dann lächelt sie ihrem Spiegelbild zu.

Emma Thompson, 63, spielt diese Nancy in der kitschfreien Komödie „Meine Stunden mit Leo“ und leistet damit einen unbezahlbaren Beitrag für feministisches „Empowerment“ (das Wort Selbstermächtigung klingt ja tatsächlich sehr sperrig). Denn Nancy tritt ihre neue Reise mit dem Entschluss an, sich als „singuläre Frau“ komplett zu fühlen und „ihr Leben ohne ein zwingendes Gegenüber zu mögen“, wie Thompson in Interviews erklärt.

Thompsons Figur Nancy ist, rein statistisch betrachtet, eine sich häufende Allerweltserscheinung, abgesehen natürlich von dem Courage-Akt, sich auf ein bezahltes Sexdate einzulassen. Die Statistik (siehe Kasten) schlägt immer deutlicher in Richtung Vereinzelung aus: Von den rund 1,5 Millionen Ein-Personen-Haushalten in Österreich (Stand 2021) sind 54,7 Prozent von Frauen bewohnt, Alleinerzieherinnen nicht inkludiert.

Rein logistisch ist der Geschlechterunterschied damit zu erklären, dass Töchter früher als Söhne das Hotel Mama (& Papa) verlassen,  Frauen einen höheren Anteil an der Gesamtbevölkerung stellen und eine höhere Lebenserwartung haben, also auch häufiger verwitwet sind.  Sie reichen aber auch viel häufiger  Scheidungen ein oder trennen sich und sind nach einem Beziehungsbruch weitaus zögerlicher bereit, sich auf eine neue Partnerschaft einlassen. Zusätzlich zeigte sich in den letzten Jahren ein starker Trend in Richtung „Silver Divorces“, Scheidungen im Pensionsalter, nach durchschnittlich 25 Jahren Ehe. Auch  in dieser Alterskategorie  wollen weit mehr Frauen als Männer den Schlussstrich ziehen.

Ich ertappte mich bei dem Gedanken: Vielleicht warst du doch zu selbstbewusst …“

Katja Kullmann, Autorin

Die deutsche Journalistin und Autorin Katja Kullmann, die mit ihrer aufsehenerregenden Studie „Generation Ally“ (nach der neurotischen TV-Anwältin Ally McBeal) vor 20 Jahren das Identitätschaos der zwischen Karriere, Kinderwunsch und romantischen Sehnsüchten aufgeriebenen Generation der weiblichen „Thirtysomethings“ analysierte,  hat jetzt  aus dem Blickwinkel einer 52-jährigen Solistin das so beruhigende wie kluge Buch „Die singuläre Frau“ geschrieben. Sie tritt damit auch  gegen ein Phänomen an, das in der englischsprachigen Populärpsychologie unter dem Begriff „Single-Shaming“ bekannt wurde.  Tatsächlich hat die alleinstehende Frau, vor allem ab 40, noch immer mit gesellschaftlichem Mitleid und Argwohn  zu kämpfen, so Kullmann im Interview mit profil: „Der singuläre Mann kann  auf Hartz IV sein und im Unterhemd vor seinem Fernseher vegetieren, dennoch ist er tragischerweise noch immer der einsame  Cowboy, der einfach nicht zu fassen ist.“

Wogegen allein lebende Frauen den Ruf „solitärer Egozentrikerinnen oder eben den eiskalter Karrieristinnen in Hosenanzügen und mit heruntergezogenen Mundwinkeln“ haben: „Die  so einsame wie degenerierte Akademikerin, die vor ihrer Bücherwand sitzt und der deswegen kein Mutterglück beschert ist, war ja schon bei den Nazis ein beliebtes Zerrbild, das in den Nuller-Jahren mit Macht zurückkehrte.“ Tatsächlich sei es „ein schwieriger Schritt“ gewesen, die eigene Liebesbiografie zu exponieren, die bei Kullmann vor 17 Jahren abriss, und  den Satz „Jetzt ist es raus! Ich bin raus“ in die Tasten zu klopfen: „Es war ein kleines  Coming-out. Meine letzte lange, nahezu eheähnliche Beziehung endete, als ich Mitte 30 war, und irgendwann realisierte ich, dass es kein Zufall mehr ist, dass ich am Spielrand sitze – es gefiel mir dort einfach besser. Ich ertappte mich auch  bei dem Gedanken: Na, vielleicht warst du doch zu selbstbewusst. Ich bin also die geworden, über die ich früher immer geschrieben habe: eine Frau ohne Begleitung. Die übrigens in uns allen wohnt: Irgendwann war jede zwischen Beziehungen, geschieden oder wird verwitwet sein.

Aber im Gegensatz zu Ally McBeal, Carrie Bradshaw  oder Bridget Jones, den prägenden Single-Frauenfiguren der 1990er-Jahre  mit ihrer ätzenden  Warum-ruft-er-mich-nicht-an-Problematik, hadere ich nicht.  Mir ist dieses  Leben einfach passiert. Das ist kein politisches Programm, das mit Fanfaren daherkommt, sondern eine Variante von Lebensstil. Neben der wirtschaftlichen und sozialen Autonomie lebe ich in einer emotionalen Autonomie. Was übrigens nicht  bedeutet, dass ich Männer hasse und kein heterosexuelles Begehren mehr verspüre. Sollte ich mich doch noch einmal verlieben: schön. Aber ich  brauche  das nicht, ich komme auch  so klar.  Das ist ja  eigentlich ein Zugang, den sonst eher Männer für sich beanspruchen.“

Den Wunsch nach emotionaler Autonomie, ohne dabei als verbiestert oder zickig stigmatisiert zu werden,  verspüren nicht nur Frauen, die bereits jede Menge Leben in Form von wechselnden Affären, Langzeit-Beziehungen oder auch Familie hinter sich gebracht haben. Er wird auch in der Generation Z spürbar. Die Schauspielerin Emma Watson, 32, bezeichnete sich bei übergriffigen Fragen von Journalisten als „selbstverpartnert“ und sorgte mit dieser verbalen Erfindung im Netz für Furore: „Wenn du mit 30 kein Haus, keinen Ehemann und kein Baby hast, musst du dir noch immer viel zu viele Fragen gefallen lassen.“

Selbstverpartnert

Laurie Penny zeigt neues, radikales Selbstbewusstsein. 

Für die 35-jährige Britin Laurie Penny, die als die zornigste Feministin ihrer Generation gilt, ist der Begriff „biologische Uhr“ im profil-Interview sowieso ein rotes Tuch: „Jungen Frauen überhaupt die Frage nach ihrer Gebärlust zu stellen, ist eine sexistische Denke.“ Die Kernfamilie bezeichnet Penny als „eine völlig lächerliche Idee und komplette Lüge“. Klassische Beziehungen sind für Penny, die in einer offenen Partnerschaft lebt,  keine Option: „Viel zu viele Menschen bleiben viel zu lange in unglücklichen Beziehungen – aus purer Angst vor dem Alleinsein. Sexualität und Intimität können durchaus unterschiedlich sein.“

Historisch betrachtet ist das Konzept des Alleinlebens noch sehr jung. In den vergangenen 2000 Jahren verbrachte der Mensch vom ersten Schrei bis zum letzten Seufzer sein Leben vorrangig in eherner Gemeinschaft. Noch die Heile-Welt-Anschauung der 1950er-Jahre verfestigte den Status der Familie als allein selig machendes Lebenskonzept.  Nur vereinzelt wurden Filmstars wie Greta Garbo und Marlene Dietrich  als über biedere Beziehungskisten erhabene Femmes fatales inszeniert, die sich ihre Männer nach Belieben krallten, um sie bei Überdruss sofort wieder zu entsorgen. In den 1990er-Jahren tummelten sich in Filmen und TV-Serien vorrangig Carries, Allys und Bridgets, die von einem Katastrophendate in das nächste purzelten. Allein die Illusion, doch noch irgendwann „Mister Right“ an Land zu ziehen, hielt sie auf dem Spielfeld.

Marlene Dietrich

Lebte in ihren Filmen als Femme fatale und einsame Lichtgestalt.

Inzwischen macht die wachsende weibliche Autonomie dem Patriarchat einen Strich durch die Rechnung. Junge Frauen koppeln sich weit schneller ab, wenn der Partner auf der inneren Checkliste sein Punktesoll nicht erfüllt. Ist es noch immer so, Katja Kullmann, dass die oftmals zitierte klischeebeladene Angst des Mannes vor starken Frauen das Gelingen von Zweisamkeit so schwierig macht? „Es ist natürlich ein schrecklicher Befund, aber ein Rest dieser Angst ist noch vorhanden, wobei man da sicherlich  zwischen den Generationen  unterscheiden muss. Es ist auch die große Enttäuschung in meiner Liebesbiografie: Wir, die wir nach 1968 aufgewachsen sind, dachten, dass auch die Jungs unsere Kumpels und modern und aufgeklärt sind. Das war ein Fehler, auf den ich auch erst im Rückblick gekommen bin. Natürlich werden autonome Frauen anfangs als attraktiv gelesen. Aber kommt es zu dem, was ich den Pärchenknast nenne, löst die Autonomie der Frau schnell so etwas wie eine abstrakte Eifersucht aus, gekoppelt mit Zank, Streit, Psychospielchen. Und das volle Heterodrama, wie wir es aus allen Frauenzeitschriften kennen, geht los.“ 

Viel zu viele Menschen bleiben viel zu lange in unglücklichen Beziehungen – aus Angst vor dem Alleinsein.

Laurie Penny, Feministin

Und wie werden die Generationen nach uns lieben und zusammen leben? „In Zukunft wird sich das Zusammenleben neu organisieren. Nicht dass ich das Mittelalter hochhalten möchte, aber Menschen lebten die längste Zeit in viel größeren, offeneren Verbünden – nicht abgeschlossen hinter den Vorhängen der bürgerlichen Kleinfamilie.   Vielleicht wird es ja auch neue Formen von WGs geben und man organisiert sich zunehmend  außerhalb des Pärchenknasts. Und wahrscheinlich  wird das heterosexuelle Zusammensein abseits all dieser traditionellen Abhängigkeiten viel unbeschwerter werden.“ Der Satz, den die singuläre Frau Kullmann übrigens von ihrem verpartnerten Umfeld am häufigsten zu hören bekam, war die Feststellung: „Wahrscheinlich bist du einfach zu wählerisch.“ Und ihre Antwort lautete immer: „Yes, I am!“ 

Katja Kullmann: Die singuläre Frau.
Hanser Berlin. 336 S., EUR 24,90

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort