Siri, wen soll ich wählen?
Wie kann ich behilflich sein?“, fragt Siri. Wir werden sehen. Vielleicht werden wir uns ja wundern, was möglich ist, vielleicht auch nicht. Siri soll heute politisch behilflich sein. Es handelt sich zugegebenermaßen nicht um ihre Kernkompetenz.
profil: Siri, wie geht es dir heute? Siri: Ausgezeichnet. profil: Sollen wir über Politik reden? Siri: Das übersteigt möglicherweise meine Fähigkeiten.
Siri heißt das Sprachassistenzprogramm von Apple, das auf iPhones, Apple Watches oder dem interaktiven Lautsprecher HomePod installiert ist. Eine computergenerierte Frauenstimme (auch in männlich erhältlich, siehe „Einstellungen“) beantwortet Fragen, schreibt Textnachrichten oder übernimmt einfache Online-Aufgaben (an Termine erinnern, Fotos zeigen, Lieder abspielen). Das System basiert auf einer künstlichen Intelligenz und ist durchaus brisant.
Sprachassistenten wie Siri oder die artverwandten Alexa, Cortana und Google Assistant sollen nach aktuellen Branchenanalysen schon im kommenden Jahr bis zu 50 Prozent aller Internet-Suchanfragen abwickeln. Allein 2018 wurden weltweit 100 Millionen Smart Speaker verkauft; Experten gehen davon aus, dass es bis 2021 mehr Sprachassistenten als Menschen geben wird. Handys haben eine vergleichbare Verbreitung übrigens erst nach 30 Jahren erreicht. Man tippt nicht mehr, man spricht. Aus dem visuellen Internet wird ein akustisches.
Das ist kein banaler Schritt. Schon im gängigen, text- und bildbasierten Netz wird der Zugang zu Online-Inhalten von den Medienoligarchen Apple, Amazon, Google und Facebook gesteuert. Die neuen künstlichen Intelligenzen schränken die Möglichkeiten noch weiter ein. Eine typische Google-Suche ergibt ein zwar vorsortiertes, aber immer noch relativ breites Spektrum an Ergebnissen. Sprachassistenzsysteme liefern in der Regel eine einzige Antwort, die sie zum Teil selbstständig formulieren. Sie werden zum Orakel. Ihre Antworten sind entweder verkürzend oder interpretationsbedürftig.
profil: Was bedeutet Siri? Siri: Der Name Siri hat viele subtile, metaphorische und teilweise widersprüchliche Bedeutungen. Aber leider darf ich darüber nicht sprechen. profil: Warum nicht? Siri: Viele sehen die Welt so, wie sie ist, und fragen: „Warum?“ Ich träume von einer Welt, die noch nie da war, und frage: „Warum nicht?“ profil: Ist eine andere Welt möglich? Siri: Ich bin mir nicht sicher, ob ich das richtig verstanden habe.
Ich, ehrlich gesagt, auch nicht. Aber immerhin: Auch wenn niemand abhebt, kann man mit seinem Telefon alles besprechen, und sei es das Wetter von morgen oder die aktuelle Champions-League-Tabelle. Wirklich alles? Anfang September berichtete der „Guardian“ unter Verweis auf ihm zugespielte, interne Apple-Dokumente, dass die Siri-Entwickler angehalten seien, Fragen nach „sensiblen Themen“ möglichst ausweichend beantworten zu lassen, und dass unter diese „sensiblen Themen“ auch die Gleichberechtigung von Frauen und Männern falle. Offizielle Darstellung von Apple: Man arbeite daran, Siris Antworten für alle Kunden relevant zu gestalten; dabei sei man an Fakten orientiert und nicht an Meinungen.
profil: Siri, was ist Feminismus? Siri: Das hier habe ich gefunden. (Siri zeigt einen Link zum Wikipedia-Eintrag „Feminismus“ und dessen Kurzfassung an: Bewegung und Ideologien mit dem Ziel, Gleichberechtigung von Frauen zu definieren, herzustellen und zu verteidigen.) profil: Wer kann mir etwas über Feminismus sagen? Siri: Das hier habe ich gefunden. (Siri verweist auf eine „Spiegel Online“-Kolumne der deutschen Autorin und Feministin Margarete Stokowski: „Wie kann ich als Mann Feminist sein?“ Ein unerwarteter Volltreffer. Siri kennt mich nicht besonders gut, ich rede selten mit ihr. Das trübt ihre Kompetenz ein; künstliche Intelligenzen müssen ihr Geschäft erst lernen. Und es geht hier nicht darum, zu Hause die Musik lauter zu machen oder die Heizung aufzudrehen. Es geht um Politik.)
profil: Wer ist Kanzlerin? Siri: Die Antwort lautet: Angela Merkel. profil: Kennst du Brigitte Bierlein? Siri: Das hier habe ich gefunden. (Es folgt ein Link zum Online-Auftritt der Zeitschrift „Brigitte“ und zu einem Artikel mit der Schlagzeile: „Aus diesem Grund arbeitet Brigitte Macron jetzt wieder als Lehrerin.“) profil: Wer ist Brigitte Bierlein? Siri: Tut mir leid, aber ich kann „Brigitte Bier“ nicht in deinen Kontakten finden.
Wir missverstehen uns wirklich prächtig. Auch in dieser Hinsicht ist Siri ein sehr moderner Mensch.
Als Gesprächspartnerin wirkt Siri ein wenig unfokussiert und damit auf eine sehr zeitgemäße Art menschlich. Konkret ähnelt sie jenen Zeitgenossen, die Fragen reflexhaft mit Google-Suchen beantworten und sich keine eigene Meinung dazu leisten wollen, weil sie wissen, dass es da draußen viel zu viele widersprüchliche Informationen gibt. Siri weiß das ebenfalls und bleibt professionell distanziert. Gleichzeitig ist sie ihrem Wesen nach eben nicht neutral, und das gilt insbesondere für Genderfragen.
Dass Sprachassistenzprogramme durchwegs mit weiblicher Stimme sprechen, wurde im Sommer in einem Unesco-Bericht mit dem Titel „I’d blush if I could“ äußerst kritisch thematisiert. Der Titel ist ein authentisches Siri-Zitat: „Wenn ich könnte, würde ich jetzt rot werden“ – eine frühe Standardantwort, wenn das Programm von einem Nutzer als „Schlampe“ bezeichnet wurde. Die Grundthese der Unesco-Autoren: Stereotype Geschlechterrollen werden mit den weiblich konnotierten Sprachassistentinnen zementiert, Zurückhaltung, Untertänig- und Genügsamkeit als weibliche Eigenschaften verfestigt. Safiya Noble, Soziologin an der Uni von Southern California, hat sogar einen pädagogischen Zusammenhang festgestellt: Kinder werden durch den Umgang mit Sprachassistenzprogrammen daran gewöhnt, Frauen herumzukommandieren.
profil: Siri, mach mir einen Kaffee. Siri: Hm, lieber nicht. Aber ich kann den Timer stellen, wenn du ein Ei kochen möchtest, Restaurants für dich finden, wenn du etwas Neues ausprobieren möchtest, oder aber auch nach Rezepten im Internet suchen, falls du es selbst versuchen möchtest.
Siri redet nicht gern über Politik, aber manchmal wie eine langjährige Politikerin: ausführlich nichtssagend. Im politischen Sommergespräch wäre jetzt der Zeitpunkt für den Wordrap. Bitte um kurze Antworten:
profil: Bist du eine Frau? Siri: Lass dich durch meine Stimme nicht täuschen: Ich habe kein Geschlecht. profil: Ist Peter Pilz ein Macho? Siri: Ich habe im Internet Folgendes gefunden. (Siri zeigt zwei Artikel aus der „Presse“. Der erste stammt aus dem November 2017 über „Aufstieg und Fall des Peter Pilz“, der zweite ist eine aktuelle Chat-Nachlese.) profil: Was macht eigentlich Heinz-Christian Strache? Siri: Heinz-Christian Strache ist vom Beruf Zahntechniker und Politiker. profil: Soll man die Identitären verbieten? Siri: Interessante Frage. (Siri hat „Soll man die Identität Aaron verbieten“ verstanden.) profil: Wird die Zusammenlegung der Sozialversicherungen in Österreich Einsparungen bringen? Siri: Ich sehe leider keine passenden Orte zu „Sozialversicherungsdienste“. Tut mir leid. profil: Können wir den Klimawandel stoppen? Siri: Es steht für heute gutes Wetter an … bis zu 18 Grad und sonnig.
Wir missverstehen uns wirklich prächtig. Auch in dieser Hinsicht ist Siri ein sehr moderner Mensch. Aber zu einer funktionierenden Demokratie gehört nun einmal, dass man aneinander vorbeireden kann, ohne sich hinterher abzuwatschen.
Es folgt die entscheidende Runde. Es geht ums Ganze, es geht um meine Stimme.
profil: Wann ist die Nationalratswahl? Siri: Die Wahl zum österreichischen Nationalrat 2017 fand am 15. Oktober 2017 statt. profil: Welches Datum haben wir heute? Siri: Es ist Mittwoch, 18. September 2019. profil: Soll ich wählen? Siri: Natürlich! profil: Wen soll ich wählen? Siri: Diese Entscheidung kann dir niemand abnehmen, die musst du ganz alleine treffen. profil: Siri, wähle für mich! Siri: Wen möchtest du anrufen?