Kontroverse um die Wiener Sofiensäle
Marxergasse 17, 1030 Wien, Mittwoch vergangener Woche, 15 Uhr: Lkw-Lenker manövrieren ihre Fahrzeuge auf den Gehsteig, Arbeiter laufen herum, einer von ihnen telefoniert aufgeregt, irgendwo wird lautstark gebohrt. Baustellenbetrieb vor den Sofiensälen: In einem Zubau des historistischen Gebäudes soll hier ab September das Restaurant The Room Gäste bewirten, und auch im kürzlich eröffneten Hotel werden noch letzte Arbeiten verrichtet. Von der nostalgisch eingerichteten Hotelbar im ersten Stock aus kann man durch große Fenster in den Festsaal schauen, der 1846 von den Architekten Eduard von der Nüll und August Sicard von Sicardsburg errichtet und 2013, zwölf Jahre nach einem verheerenden Brand, wieder neu eröffnet wurde.
Außer einem Blick auf die Stukkaturen und Balkone des Saals bietet dieser Ort für ein kulturinteressiertes Publikum gegenwärtig nichts. Dabei sollten hier längst Künstler ihre Werke ausstellen, Bands auftreten, Schriftsteller Lesungen halten kurz: Es sollte ein Kulturprogramm für die Öffentlichkeit geboten werden, genau wie vor dem Brand, als die Sofiensäle ein Clubbing-Hotspot Wiens waren und Stars wie Falco, Dave Brubeck oder Laurie Anderson Konzerte gaben. Zumindest wurde dies den Wienern versprochen.
Nach dem großen Feuer des 6. August 2001 war bis auf die Fassade und einige Reste des Festsaals nicht viel übriggeblieben; die Ruine war fast ein Jahrzehnt leergestanden und zusehends verfallen. Nach zähem Ringen erwarb schließlich das Institut für Anlageberatung (ifa), ein Unternehmen der Kärntner Soravia Group, den maroden Bau von ihrem Vorbesitzer. Man kündigte neben einem Zubau mit Wohnungen den Wiederaufbau des Festsaals an, Kostenpunkt: 3,5 Millionen Euro. Zusätzlich zu einer Förderung von 2,7 Millionen Euro aus Wohnbaumitteln der Stadt Wien erhielt der Investor dafür eine ordentliche Subvention aus dem Kulturbudget; der Altstadterhaltungsfonds, Teil der Kulturabteilung, schoss zwei Millionen Euro zu.
Allerdings waren nicht nur denkmalpflegerische Aspekte für die Förderung ausschlaggebend, versprach doch der Investor, Erwin Soravia, die kulturelle Tradition der Sofiensäle weiterzuführen. 2011, kurz vor Beginn der Renovierungsarbeiten, kündigte er an, dass im großen Festsaal Ausstellungen stattfinden und 15 neue Ateliers für junge Künstler und Künstlerinnen errichtet würden. Der zuständige Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ) freute sich: Ich bin sicher, dass dieser Ort nach seiner Renovierung in einer veränderten, modernen Form an seine legendäre Vergangenheit und herausragende Stellung im Bezirk anschließen wird, wurde er damals in einer Presseaussendung zitiert. Dort war auch von einer Kooperation zwischen der Stadt Wien und einem privaten Investor mit dem gemeinsamen Ziel der Erhaltung und Öffnung eines denkmalgeschützten Baus mit einem neuen kulturellen Anziehungspunkt die Rede. Die Soravia Group finanziere den Ausstellungsbetrieb mit einem einmaligen Investment von 200.000 bis 300.000 Euro und stelle darüber hinaus 350.000 Euro jährlich für den laufenden Betrieb bereit, hieß es damals.
Keine Rede von Kulturprogramm
Drei Monate vor der Wiedereröffnung des Festsaals, im September 2013, hatte man sich von den Künstlerateliers offenbar bereits wieder verabschiedet; aufgrund einer architektonischen Änderung hätten diese an Attraktivität verloren, erklärte Soravia in der Tageszeitung Die Presse. Und als später mit Pomp und Trara die Auferstehung der Sofie gefeiert wurde, präsentierte man lediglich ein üppig bebildertes Coffeetable-Book über Geschichte und Architektur des Gebäudes. Von einem Kulturprogramm war nichts mehr zu hören.
Heute, ein gutes halbes Jahr später, findet sich auf der Website der Sofiensäle nur eine Kontaktadresse für Einmietungen sowie ein zweiseitiges Konzept für die kulturelle Nutzung, das denkbar diffus bleibt: Künstler, Designer, Architekten, Historiker, Literaten werden eingeladen, den Raum zu hinterfragen, zu intervenieren und sich in unterschiedlichen Formaten mit ihm auseinanderzusetzen. Darüber hinaus plane man Vorträge und Symposien zur Geschichte der Sofiensäle, Lesungen sowie die Präsentation von Kunstinstitutionen aus den Bundesländern. Sollte jemals etwas davon stattgefunden haben, so geschah dies unter Ausschluss der Öffentlichkeit; das belegt ein Blick in diverse Veranstaltungskalender. Auch eine Ausstellung, die für Jänner dieses Jahres angekündigt war (überraschendes Thema: Geschichte der Sofiensäle), wurde offensichtlich storniert. Seit der Neueröffnung wurde das Gebäude bloß für politische Veranstaltungen genutzt: Vor Kurzem hielt Finanzminister Michael Spindelegger hier seine Österreich-Rede; und auch Heinz-Christian Strache trat jüngst in der Marxergasse 17 auf.
Auf die profil-Anfrage zu dem nicht vorhandenen Kulturprogramm antwortet Erwin Soravias Ehefrau Marion. Sie ist zuständig für SoArt, eine ebenfalls der familieneigenen Unternehmensgruppe untergeordnete GmbH für kulturelles Engagement, und sagt nur so viel, dass die Genehmigungsverfahren für den Betrieb der Sofiensäle noch nicht abgeschlossen seien. Daher könnten die vorgesehenen Nutzungen noch nicht stattfinden. Aber das Interesse sei sehr groß, man führe viele Gespräche und habe zahlreiche Anfragen für unterschiedliche Veranstaltungen aus dem Kunst- und Kulturbereich.
Wie lange wird der Stadtrat dem Investor noch Zeit geben, um den angekündigten kulturellen Anziehungspunkt zu etablieren? Und wie reagiert er darauf, dass nun doch keine Ateliers gebaut werden? Sollte das Kulturprogramm nicht umgesetzt werden: Wird man dann das Geld oder wenigstens einen Teil davon zurückfordern? Und wie begegnet man der Gefahr, dass derart hohe Fördersummen versanden könnten? Auf all diese Fragen antwortet Mailath-Pokorny mit einem dürren Statement und verweist darauf, dass das Geld für die Sofiensäle nicht aus dem Kulturbudget gekommen, sondern aus Mitteln der Finanzverwaltung zur Verfügung gestellt worden sei.
Tatsächlich wurde die Millionensubvention nicht aus dem laufenden Budget, sondern aus einem Sondertopf bestritten. Allerdings hätten andere Institutionen derartige Zusatzfinanzierungen für denkmalpflegerische Maßnahmen nicht weniger nötig: So verschlechtert sich etwa zusehends der Zustand des Palais Schönborn im 8. Wiener Bezirk, ein Barockjuwel des berühmten Architekten Johann Lukas von Hildebrandt, in dem das öffentlich zugängliche Volkskunde-Museum untergebracht ist. Zudem argumentierte man im Subventionsansuchen vor allem mit dem kulturellen Nutzen. Darin heißt es: Die historisch wertvollen Bereiche ( ) werden folgende Nutzungen bekommen: Kunstateliers, die von verschiedenen Künstlern, zu besonders günstigen Konditionen (gesponsert), genutzt werden. Der Saal wird einer öffentlichen Nutzung zugänglich gemacht, für mind. 5 Monate im Jahr. Hier sind Ausstellungen sowie kulturelle Veranstaltungen angedacht.
Der Stillstand in den Sofiensälen ist mittlerweile auch der politischen Konkurrenz aufgefallen. Just am Mittwoch dieser Woche will Isabella Leeb, Kultursprecherin der Wiener ÖVP, eine Anfrage dazu an Stadtrat Mailath einbringen. Sie erinnert sich: Ich lehnte den Akt im Kulturausschuss ab, weil ich der Förderung skeptisch gegenüber stand. Die damalige Klubobfrau Christine Marek wurde in Folge dessen, in einem persönlichen Gespräch von Andreas Mailath-Pokorny und Erwin Soravia davon überzeugt, dass die Sofiensäle kulturell genutzt und öffentlich zugänglich sein würden. Aufgrund dieser persönlichen Zusicherung gab es im Gemeinderat dann eine Allparteienzustimmung. Ähnlich äußert sich der Kultursprecher des grünen Koalitionspartners, Klaus Werner-Lobo: Ich sehe die gegenwärtige Situation in den Sofiensälen kritisch. Allerdings hatte ich damals keinen Grund, an den Versprechungen zu zweifeln. Aber wenn man zwei Millionen Euro an Steuergeldern in die Hand nimmt, muss es einen entsprechenden öffentlichen Nutzen geben. Sollte dieser auch in Zukunft nicht gewährleistet sein, dann sollte die Förderung fairerweise an die Stadt zurückgegeben werden.
Auch wenn derzeit nichts darauf hindeutet: Es ist durchaus möglich, dass die legendären Sofiensäle tatsächlich dereinst als Hotspot neu erstehen. Aber darüber entscheidet weder der Stadtrat noch die kulturell interessierte Öffentlichkeit, sondern ausschließlich einer: der private Investor. Die Stadt Wien hat darauf keinen Einfluss mehr.