Soziologin Flicker: "Soziale Medien als Alternative zu Zensur"
profil: Verglichen mit den 1970er und 1980er Jahren, sterben heute viel weniger Menschen bei Anschlägen. Dennoch ist das allgemeine Sicherheitsgefühl geringer. Inwiefern sind die sozialen Medien daran schuld? Eva Flicker: Ich würde nicht sagen, dass die sozialen Medien daran „schuld“ sind. Das muss man differenzierter betrachten. Durch Facebook, Twitter und Co. Sind mehr Stimmen sichtbar geworden, auch die von Privatpersonen. Das vermittelt leicht den Eindruck, dass das allgemeine Sicherheitsgefühl geringer ist, als es in der Realität der Fall ist. Die vermeintliche Nähe zu Anschlägen wird durch Tweets, oder Facebook-Postings von Privatpersonen, schneller erzeugt. Viele Menschen inszenieren sich dadurch selbst.
profil: Welche Rolle spielen die Medien dabei? Flicker: Die Medien spielen eine zentrale Rolle wenn es um Attentate geht. Sie kommunizieren die allgemeine Unsicherheit. Weil negative Nachrichten rascher Aufmerksamkeit erregen, als positive, kommt es oft zu reißerischen Aufmachern.
Der Islamische Staat arbeitet mit digitaler Propaganda, die wesentlich wirksamer ist als geschriebene Texte.
profil: Auf Facebook gibt es gegebenenfalls die Funktion sich als „sicher“ zu markieren. Auf Twitter wurden für Paris und München eigene Hashtags initiiert, um schutzsuchenden Menschen auf der Straße zu helfen. Wie sind solche Aktionen zu bewerten? Flicker: Soziale Medien können durch solche Aktionen auch ihre Brauchbarkeit unter Beweis stellen. Sie sorgen für Beruhigung und beruhen auf Vertrauen und Engagement. Es gibt aber auch Schattenseiten. Bei solchen Aktionen kann es leider auch zu Missbrauch und Täuschung kommen. Daher braucht es einen kritischen und reflexiven Umgang mit solchen Phänomenen, wie mit allen Medien. Medienkompetenz sollte Social Media umfassen schon in der Schule vermittelt werden.
profil: In den sozialen Medien verbreiten sich aktuelle Nachrichten in Echtzeit. Das schafft Raum für Falschmeldungen und lässt niemanden mehr zur Ruhe kommen. Wie entgeht man diesem Phänomen? Flicker: Die Produktion von Nachrichten wurde durch die sozialen Medien teilweise an Privatpersonen, politische Bewegungen und AktivistInnen übergeben. Heutzutage muss man sich sehr bewusst dafür entscheiden sich auszuklinken.
profil: Inwiefern hat sich die digitale Kommunikation verändert? Flicker: Journalismus und Politik arbeiten verstärkt mit Bildern. Diese Visualisierung wirkt sich auch auf die Berichterstattung aus. Sie ist wesentlich bildhafter geworden. Auch der Islamische Staat arbeitet hauptsächlich mit Bildern. Das ist digitale Propaganda, die wesentlich wirksamer ist, als geschriebene Texte. Und sie scheint Männer in bestimmten sozialen Lagen ganz besonders zu beeinflussen.
Die Zivilgesellschaft organisiert sich über soziale Medien neu und oft mit ideologischem Zweck.
profil: Welche Rolle spielt die online Vernetzung in Sachen politischer Aktivismus? Flicker: Es ist gut, dass diese Art von Vernetzung möglich ist. Die sozialen Medien bilden in vielen Teilen der Erde eine Parallelform zu den hoch zensurierten Medien vor Ort. Dadurch wird eine neue Öffentlichkeit geschaffen.
profil: Worin bestehen dabei die Gefahren? Flicker: Die Zivilgesellschaft organisiert sich über soziale Medien neu und oft mit ideologischem Zweck. Die sozialen Medien bilden die Schnittstelle von Öffentlichkeit und Privatleben. Das Risiko dabei ist die Verblendung, die Fehlinformation. Die politische Kommunikation ist von einem Informationsaustausch zur Kommunikation von verschiedenen Überzeugungshaltungen geworden. Das zeigt sich auch am Präsidentschaftswahlkampf zwischen Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer.
Infobox
Eva Flicker ist Professorin am Institut für Soziologie der Universität Wien. Ihre Schwerpunkte sind Visuelle Soziologie, visuelle Kommunikation, Gender in Medien und Organisationen. Ausserdem ist sie Trainerin für Gruppendynamik und derzeit als neues Mitglied des wissenschaftlichen Kuratoriums beim Europäischen Forum Alpbach.