Rapid-Spiel: Pfleger ermöglichen Krebspatienten größten Wunsch

Pfleger ermöglichen Krebspatienten größten Wunsch

Ärzte und Pfleger des Wiener AKH erfüllten einem Krebspatienten den sehnlichsten Wunsch: Er durfte das neue Rapid-Stadion beim Match gegen AS Monaco erleben - und fühlte sich wie neugeboren.

Drucken

Schriftgröße

Frank Grojer kann wieder lachen. Er fühlt sich befreit und unbeschwert. Wie früher, als er noch gesund war. Der 35-jährige Bewohner einer betreuten Sozialwerkstätte in Langenzersdorf leidet seit Monaten an einem Ewing-Sarkom, einem aggressiven, bereits in die Lunge metastasierten Knochenkrebs. Anfang Mai wurde er auf die Palliativstation des Wiener AKH überstellt - in der irrigen Annahme, er sei bereits austherapiert. Dann stellte sich heraus, dass er noch nie eine Chemotherapie erhalten hatte, daher wurde er auf die onkologische Station 18H verlegt.

Derzeit ist sein Zustand stabil. Kein Arzt wagt eine Prognose. Die Chemotherapie hat deutliche Spuren hinterlassen: Grojers Gesicht ist blass und schmal, Arme und Beine sind abgemagert. Trotzdem braucht er jetzt einen breiteren Rollstuhl, weil der Tumor aus seiner linken Hüfte wuchert, die Haut durchbrochen hat und ständig nässt. "Wie das ausschaut, möchten Sie gar nicht wissen“, sagt die Krankenschwester Ulrike Schulz, die bei Grojer den Verband wechselt.

Der Patient ist trotzdem guter Dinge. Er hat keine Schmerzen, wie er sagt. Er hat auch keine Zeit, sich mit seiner Krankheit zu beschäftigen, weil es für ihn Wichtigeres gibt. Seit einem Sonntag Anfang Juli erzählt er jedem von seiner Fahrt ins Paradies. Von seinem Platz auf der VIP-Tribüne des Allianz Stadions von Hütteldorf. Von der Stimmung beim Fußball-Freundschaftsspiel seiner Rapid gegen den AS Monaco. Gerne erzählt er auch, wie dieses Märchen für ihn wahr wurde.

Rosi Schreiber, Pflegeleiterin und Seele der Onkologie-Station 18H, hatte irgendwann an Grojers Handgelenk ein grün-weißes Rapid-Armband bemerkt - ein unscheinbares Utensil, an dem Rapid-Fans einander auch dann erkennen, wenn sie ohne ihre Leiberln, Mützen und Schals auftreten. Außerdem hat Grojer auf seinem Nachtkastl ein Rapid-Fanhäferl stehen. Schwester Rosi gab sich als ebenso glühende Rapid-Anhängerin zu erkennen: "Meine Männer (Vater und zwei Söhne, Anm.) und ich lassen kein Rapid-Match aus“, erzählt sie. "Und jedes Mal, wenn wir uns im Auto dem Verteilerkreis Favoriten nähern, schreien wir: ‚Uähhh!!!‘“ (Um ihre tiefe Abneigung gegenüber dem Standort der Generali-Arena, dem Stadion des Erzrivalen Austria Wien, zu bekunden.)

Die Rivalität der beiden Wiener Fußball-Platzhirschen besteht seit gefühlten Jahrhunderten. Die Treue zum jeweiligen Verein wird oft schon mit der Muttermilch aufgesogen und von Generation zu Generation weitervererbt. Es soll in Wien "violette“ und "grün-weiße“ Firmenchefs geben, die prinzipiell nur auf Bürostühlen in den Farben ihrer Clubs sitzen. Manche strenggläubige Fanatiker stecken ihre Kinder von klein auf in die entsprechenden Trikots. Oft ist selbst noch die Klobrille Ausdruck der jeweiligen Passion.

Wir müssen ihm einen Besuch im Stadion ermöglichen, wenn nötig, sammeln wir dafür.

Auch wenn sie einander zum ersten Mal begegnen, fühlen sich Fans einer Mannschaft in der Sekunde wie alte Freunde. "Warst du schon im neuen Rapid-Stadion?“, wollte Schwester Rosi von ihrem Patienten wissen. Grojer schüttelte den Kopf. Im alten Stadion ja, aber nicht im neuen, das er so gerne sehen möchte. Die Rosi zeigte ihm ein Handyvideo, das sie im Allianz Stadion aufgenommen hatte. Weil ihr das Thema keine Ruhe ließ, brachte sie es bei der Teamsitzung zur Sprache. Daniel Dalos, 29-jähriger Mediziner in Ausbildung zum Facharzt, war sofort Feuer und Flamme. Auch er ist seit Kindheitstagen Rapid-Fan. Auch er hatte bei der Visite Grojers Armband bemerkt. "Wir müssen ihm einen Besuch im Stadion ermöglichen“, waren sich alle am Tisch einig. "Wenn nötig, sammeln wir dafür.“

Es handelte sich nicht nur um angewandten Fußball-Fanatismus. Die Station 18H unterscheidet sich von anderen Spitalsabteilungen. Schwester Rosi zum Beispiel kam vor 20 Jahren an die Onkologie und kehrte nach einem siebenjährigen Gastspiel an der Infektiologie wieder gerne an die Krebsstation zurück. Hier fühlt sie sich heimisch, "weil es menschlicher zugeht als anderswo“. Jungmediziner Dalos ist zwar erst seit Anfang April an der Onkologie tätig, hat für das dort herrschende Klima aber eine plausible Erklärung. Dalos kommt von der Kardiologie, einem Fach, in dem er sich habilitieren möchte und wo er sich vorwiegend mit Fragen der Herzinsuffizienz befasst. Weil er als Erstautor eine Arbeit im "Journal of the American College of Cardiology (JACC)“, einer Top-Publikation des Faches, publizierte, wurde er kürzlich zum "Forscher des Monats“ gekürt.

Den Hauptunterschied zwischen der Kardiologie- und der Onkologie-Station macht Dalos im Alter der Patienten und in der unterschiedlichen Dramatik aus. Das Durchschnittsalter ist auf der Herzstation wesentlich höher als auf der Onkologie. "Und wenn es auf der Kardiologie einen Herzstillstand gibt, dann werden auch sehr alte Patienten reanimiert“, erklärt Dalos. "Aber hier auf der Onkologie gibt es viele junge Patienten, so um die 20, 25 Jahre alt. Etliche davon haben Knochenkrebs. Das sind Schicksale, die einem nahegehen. Das ist sehr belastend.“ Erst recht dann, wenn die therapeutischen Möglichkeiten begrenzt sind. Da ist jeder Lichtblick willkommen, der das Los eines Patienten erleichtern kann.

Er freute sich wie ein Kind. Er hat einen richtigen Motivationsschub durchgemacht, zeigt wieder Lebensfreude.

Frank Grojer hatte sich in seinen ersten Wochen auf der Station 18H zeitweilig deutlich in sich zurückgezogen. Er wirkte unzufrieden, unglücklich, verließ kaum noch sein Zimmer. Aber ab dem Moment, als er von Ärzten und Schwestern erfuhr, dass es mit einem Stadionbesuch klappen könnte, war er wie ausgewechselt. "Er freute sich wie ein Kind“, erzählt Diplompfleger Harald Schatzer. "Er hat einen richtigen Motivationsschub durchgemacht, zeigt wieder Lebensfreude.“ Auf einmal schaffte er es wieder selbst, sich vom Bett in den Rollstuhl zu hieven. Dann kurvte er auf dem Gang herum, scherzte vor der Küche mit dem Servierpersonal.

Das Projekt Hütteldorf war freilich alles andere als Routine. Der Patient musste für den Transport vorbereitet werden. In Absprache mit dem Stationsoberarzt stoppte Jungmediziner Dalos die Chemotherapie. Außerdem erklärte er sich bereit, die Tickets für das Match zu organisieren. Schwester Rosi kümmerte sich um die nötigen Genehmigungen und um einen Krankentransport. Die Genehmigungen waren kein Problem: Ärztliche Direktion, Pflegedirektion und Christoph Zielinski, der Vorstand der Universitätsklinik für Innere Medizin I, Abteilung für Onkologie, gaben sofort ihr Okay. Schwieriger war die Suche nach einem Krankentransport, wie Schwester Rosi berichtet: "Fast alle Rettungsdienste lehnten den Transport mit Hinweis auf Einsparungen ab. Nur die Johanniter erklärten sich dazu bereit.“

Als Rapids Kommunikationschef Peter Klinglmüller von der geplanten Aktion erfuhr, ließ er die vom AKH-Arzt Dalos beantragten Ticket-Reservierungen stornieren und wies das Akkreditierungsbüro an, vier Tickets und einen Rollstuhlplatz auf der VIP-Tribüne des Allianz-Stadions zu reservieren (für Grojer, Dalos, den profil-Reporter und den profil-Fotografen). Als erfahrener Medienmann spürte er den emotionalen Gehalt der Aktion und deren Wert auch für Rapid. Er erkundigte sich nach Grojers Konfektionsgröße und wies den verletzten Rapid-Spieler Christopher Dibon an, dem Krebspatienten ein signiertes Rapid-Leiberl zu überreichen.

"Des is a wahnsinnig geiles Stadion! Endlich siech i de Burschen mal wieder live!

Matchtag. Schon Stunden vor der Abfahrt sitzt Grojer zitternd vor Aufregung in seinem Rollstuhl, dekoriert mit allen Fanartikeln, die er besitzt. Als er vor der Notaufnahme des AKH von zwei Johannitern in den Krankenwagen gehievt wird, fehlen ihm die Worte: Der Wagen ist innen mit Rapid-Leiberln und einem Schal dekoriert, der an das Rapid-Match gegen den FC Porto am 2.12.2010 im Ernst-Happel-Stadion erinnert.

Zu Grojers Begrüßung vor dem Allianz Stadion hat sich auch Schwester Rosis Familie eingefunden - in voller "Kampfadjustierung“. Rapid-Kommunikationschef Klinglmüller lässt es sich nicht nehmen, den Krebspatienten persönlich auf die VIP-Tribüne zu geleiten. Grojer ist überwältigt, als er im Rollstuhl auf die Tribüne hinausgerollt wird und fast mitten im Geschehen sitzt: "Des is a wahnsinnig geiles Stadion!“ Und als die Rapid-Mannschaft zum Aufwärmen auf das Spielfeld läuft, sagt er: "Endlich siech i de Burschen mal wieder live!“

Grojer ist jetzt in seinem Element. Schon in der dritten Spielminute fordert er mehr Tempo: "Gemma, gemma!“ Die Rapid-Elf beginnt vielversprechend, macht aber zunehmend Fehler und verliert oft den Ball. Als es in der 15. Minute erstmals im eigenen Tor kracht, ruft Grojer aus tiefster Seele: "Scheiße!“ In der 19. Spielminute verlangt er nach einem Gerangel im Rapid-Strafraum: "Elfer!“ Aber davon kann keine Rede sein. Eine gute Ballkombination seiner Mannschaft kommentiert er mit mehrmaligem "Ja, ja, ja - jaaah!“

Jetzt hat er Platz, warum schiaßt der ned, Oida. Des kapier i ned!

In der 31. Minute, als sich Rapid wieder dem Tor von AS Monaco nähert, reißt es ihn fast aus dem Rollstuhl: "Jetzt hat er Platz, warum schiaßt der ned, Oida. Des kapier i ned!“ Ein Foul an Rapid-Kapitän Stefan Schwab scheint er am eigenen Leib zu spüren - er krümmt sich.

Kurz nach Beginn der zweiten Spielhälfte steht es 0:2 für den AS Monaco. Grojer sieht alle Hoffnung schwinden, doch schon zwei Minuten später verkürzt Stefan Schwab auf 1:2. In der 57. Spielminute flankt der Rapid-Brasilianer Joelinton den Ball nach einem idealen Pass von Schwab eiskalt ins gegnerische Tor. Doch Grojers Freude - "Ja, ja, ja - Tooor!“ - hält keine Sekunde: Abseits! Kurz danach tauscht Rapid-Trainer Goran Djuricin die komplette Kampfmannschaft aus, ein Schachzug, der sich schon Minuten später bezahlt macht. Steffen Hofmann kommt aufs Feld, der vor dem Match zum Ehrenkapitän ernannt und von den Fans nochmals als ihr langjähriger "Fußballgott“ in den Himmel gehoben wurde.

Grojer hält seine VIP-Karte in beiden Händen, drückt nervös darauf herum. Er will sie mit nach Hause nehmen und sein Leben lang aufbewahren. In der 71. Minute reißt er die Arme in die Luft: Ausgleich zum 2:2. "Jaaaaa, super!“ Als dann die Rapid-Viertelstunde eingeklatscht wird, lässt er sich von der Stimmung endgültig mitreißen. Er hält einen Klubschal zwischen seinen dünnen Armen in die Höhe, wippt in seinem Rollstuhl und singt immer wieder "Rapid, Rapid, Rapid!“, als wäre es sein persönlicher Sieg.

Als Schwester Rosi am Montagmorgen auf die Station kommt, kurvt Frank Grojer schon vergnügt in seinem Rollstuhl herum. "Er hat mir von Weitem zugewinkt. Er ist so glücklich und so positiv.“ Sein ärztlicher Betreuer Daniel Dalos, der jetzt wieder mit der Chemo beginnt, berichtet: "Herr Grojer ist seit Sonntag ein anderer Mensch.“ Noch ganz in der Match-Euphorie hat Grojer sein Bett mit Rapid-Utensilien dekoriert. Sogar am Nachbarbett hängt ein Fan-Schal.

Schwester Rosi lächelt: "Ich glaub, er ist im siebenten Himmel.“