Sterbehilfe: Leben und Lebenmüssen
„Gott“ beschäftigt sich, der Titel legt es schon nahe, mit letzten und allerletzten Dingen, verharrt dabei aber doch konsequent im Diesseits: Wie schon in seinem Stück „Terror“ gießt Ferdinand von Schirach eine komplexe moralphilosophische Debatte in ein intensives Kammerspiel. Es geht um Sterbehilfe, assistierten Suizid und deren mögliche juristische Legitimierung. In einer fiktiven Verhandlung vor einem deutschen Ethikrat werden die diversen Standpunkte von Kirche, Medizin, Verfassungsrecht und Philosophie dem Publikum gewissermaßen zur Beurteilung vorgelegt. Der ORF hatte die – ursprünglich schon für November geplante – Ausstrahlung nach dem Terroranschlag von Wien kurzfristig verschoben und holt sie nun, im Rahmen eines Themenabends am 4. März (ab 21.05 Uhr, ORF 2), nach. Lars Eidinger spielt in „Gott“ den Anwalt Biegler (eine Art Alter Ego des Autors), dessen Mandant Richard Gärtner (Matthias Habich) sein Recht auf ärztlich assistierten Suizid einfordert.
profil: „Gott“ behandelt ein hochkomplexes, durchaus umstrittenes Thema. Sie sind mit vorgefassten Ansichten dazu in den Dreh gegangen?
Eidinger: Tatsächlich bin ich weder mit klaren Ansichten hinein- noch hinausgegangen. Das Besondere an dem Film ist ja, dass er sich dem Thema in all seiner Komplexität widmet und nicht dazu verführt, einfache Antworten auf eine sehr schwierige Frage zu geben. Genau das geht uns insgesamt ein bisschen ab in den letzten Jahren. Man wird zu allem befragt und ist dazu aufgerufen, zu komplexen Themen knappste Statements abzugeben: Was denken Sie über #MeToo? Was halten Sie von Black Lives Matter? Die Antwort auf Ihre Frage ist ein Satz meiner Figur Biegler: Der Mensch ist ein ambivalentes Wesen.
profil: Sollte man öfter sagen: Ich weiß es nicht?
Eidinger: Es gibt ein Stück, das seit Jahrhunderten gespielt wird. Es nennt sich „Hamlet“. Darin steht die Frage im Mittelpunkt: Sein oder Nichtsein? Niemals würden Sie den Schauspieler am Ende fragen: Und, was denken Sie jetzt – Sein oder Nichtsein? Es gibt darauf keine Antwort. Die Antwort darauf bleibt die Frage: Sein oder Nichtsein. Der Rest ist Stille. Und damit bin ich wieder bei „Gott“. Was die Religion voraussetzt, ist, dass danach keine Stille herrscht. Als Atheist gehe ich davon aus, dass danach nichts ist.
profil: Auch die Figur des Biegler ist eine sehr ambivalente. Sie hat eine klare Haltung, aber ihr Verhalten schillert zwischen Aggression und schmeichelhafter Einfühlung.
Eidinger: Seine Stoßrichtung bleibt aber immer klar. Man kann ihn wohl als ein Alter Ego des Autors, Ferdinand von Schirach lesen. Sein zentrales Thema ist die Abrechnung mit der katholischen Kirche. Das steht im Zentrum dieser Figur.
profil: Wobei die katholische Kirche in „Gott“ eher schlecht aussteigt.
Eidinger: Aber sie hat in dem Film doch die Möglichkeit, sich zu äußern. Es wird auch der Kirche der Raum gelassen, sich zu behaupten. Ich glaube sehr wohl, dass jemand, der diesen Film sieht, an seinem Glauben festhalten kann. Die Religionsfreiheit bleibt eines der wichtigsten Güter unserer Gesellschaft, auch wenn ich selbst nicht an Gott glaube.
profil: In dem Film werden abstrakte Argumente von konkreten Figuren erläutert, die mehr oder weniger Charme entfalten. Man könnte das manipulativ finden.
Eidinger: Ich finde es wichtig, dass es so ist. Ich finde es auch absurd, dass man das kritisiert. Es ist ja selbstverständlich, dass ein Argument immer davon abhängt, wer es vorträgt, und dass das immer etwas Tendenziöses hat.
profil: Der Film taucht tiefer in die moralische Debatte ein, als wir es im Alltag üblicherweise tun. Fehlt es uns vielleicht an moralischer Bildung?
Eidinger: In Hamlet gibt es das Zitat: „For there’s nothing either good or bad, but thinking makes it so.“ – An sich ist nichts gut oder böse, das Denken macht es erst dazu. Ich tue mir manchmal schwer damit, wenn so getan wird, als gäbe es objektive moralische Kriterien. Moral ist von Menschen gemacht. Der Mensch ist ein ambivalentes Wesen. Darum gibt es auf moralische Fragen keine eindeutigen Antworten. Genau das ist aber auch der Charme des Lebens: Es entbehrt jeder Logik. Keiner von uns kann sagen, wo wir herkommen und wo wir hingehen, und trotzdem existieren wir und arrangieren uns mit unserer Existenz, ohne wahnsinnig zu werden – was ja eigentlich das Naheliegende wäre.