Streit im ÖFB: Einblick in einen Intrigantenstadl
Es könnten rosige Zeiten sein für den ÖFB und seinen Präsidenten Gerhard Milletich. Der Fußballbund hat einen Fachmann auf der Bank (Ralf Rangnick), Stars auf dem Feld (David Alaba von Real Madrid, Marcel Sabitzer vom FC Bayern) – und besiegt neuerdings sogar Fußball-Weltmächte wie Italien und Kroatien.
Milletich, der Rangnicks Bestellung forciert hat, könnte entspannt im Schreibtischsessel lehnen und Glückwunschtelefonate entgegennehmen. Stattdessen hebt er seit Monaten nicht mehr ab – zumindest wenn Journalisten anrufen. Der 67-jährige hauptberufliche Verlagschef irrlichtert gerade durch eine Inseratenaffäre, die er selbst verursacht hat. Der Vorwurf: Milletich soll sein Ehrenamt ausgenützt haben, um bei ÖFB-Sponsoren Inserate für den eigenen Verlag zu keilen. Seitdem versinkt der Fußballbund im Chaos.
Milletich hat zahlreiche Gegner im eigenen Verband. Auch abseits der Inseratenaffäre sei dieser „für das Amt nicht geeignet“, ließ ÖFB-Vizepräsident Josef Geisler ausrichten. Und sein zweiter Vize Gerhard Götschhofer betont: „Das Präsidium ist gespalten wie nie.“ Die Probleme im ÖFB greifen tief: Entscheidungsträger streiten auf offener Bühne, treffen im Gerichtssaal aufeinander – selbst die beiden Geschäftsführer sprechen laut profil-Informationen kaum miteinander. Was ist da los im größten Sportverband des Landes?
Montag, 16. Jänner, Straflandesgericht Wien. ÖFB-Präsident Milletich hat die Tageszeitung „Kurier“ geklagt, die über seine Geschäftspraktiken berichtet hatte. Als Zeuge belastet ihn ausgerechnet ein Kollege: ÖFB-Vizepräsident Götschhofer. Die beiden Funktionäre würdigen sich keines Blickes. Im Gerichtssaal wird an diesem trüben Montag nicht bloß ein Fall verhandelt, sondern ein Sittenbild gezeichnet – das eines tief zerstrittenen Verbandes.
Der Kern aller Streitereien ist das Entscheidungsgremium des ÖFB – das Präsidium. Dieses ist föderalistisch mit honorigen Herren besetzt: pensionierten Richtern, Rechtsanwälten, Ex-Bürgermeistern und Managern. Von den ehrenamtlichen Funktionären werden Teamchefs, Sportdirektoren und Präsidenten gewählt. Oft ging es dabei weniger um die Entwicklung des Verbandes, sondern darum, „alte Rechnungen zu begleichen“, wie selbst Präsidiumsmitglieder gegenüber profil einräumen.
Die Hauptdarsteller der regelmäßigen Provinzpossen: Herbert Hübel, 65, Salzburger Rechtsanwalt, der als gefürchteter Pedant gilt, keinen Konflikt scheut – und über Ex-Präsident Leo Windtner sagte: „Wenn ich ihn nur anseh, wird er blass.“ Josef Geisler, 67, pensionierter Richter aus Tirol, der Milletich als Präsidenten verhindern wollte – und nun laufend bekrittelt, dass dieser kein Englisch spreche und generell „kein geeigneter Repräsentant“ sei. Johann Gartner, 70, Ex-Bürgermeister aus Niederösterreich, der den devoten Sportdirektor Peter Schöttel deshalb schätzt, weil er sich „auch etwas einreden lässt“. Und dann wäre da noch Götschhofer, 64, pensionierter Rechtsanwalt aus Oberösterreich, der in der Inseraten-Causa auf eigene Faust Beweismaterial gegen Milletich recherchierte.
Wer diese Geschichte verstehen möchte, muss wissen: Milletich war kein Wunschkandidat. Einige hätten lieber den 20 Jahre jüngeren Selfmade-Millionär Roland Schmid als neuen Präsidenten gesehen. Dieser pflege jedoch Geschäftsbeziehungen zu ÖFB-Landesverbänden, wurde moniert – für einen ÖFB-Boss eine klare Unvereinbarkeit. Der Burgenländer Milletich, der aus dem Kreis der Landespräsidenten stammt, ist geschäftsführender Miteigentürmer des Bohmann Verlages – das schien unverdächtig. Der erste Wahldurchgang im Herbst des Jahres 2021 brachte eine Pattstellung, im zweiten setzte sich Milletich mit 7:3 durch. Drei Gegner blieben: die Landespräsidenten aus Oberösterreich, Salzburg und Tirol. Der Salzburger Hübel betont gegenüber profil, „aus gutem Grund gegen ihn gestimmt“ zu haben: Milletich sei „nicht der Richtige“.
Er wisse als langjähriger Obmann des SC/ESV Parndorf sehr wohl „wie der Hase läuft“, betonte Milletich bei seinen ersten Auftritten, für die er in der Branche verlacht wurde. Der Burgenlandkroate wirkt wie die Karikatur eines Fußballfunktionärs. Volkstümlich, gemütlich, kein guter Rhetoriker, aber rede-freudig. Milletich wurde auf burgenländischen Dorfplätzen sozialisiert. Er selbst meint, es sei für ihn einfacher, „mit dem Obmann von Pinkafeld zu kommunizieren“, als bei gehobenen Banketten im Ausland zu parlieren. Nicht von seiner Seite weicht deshalb ÖFB-Geschäftsführer Thomas Hollerer, ein promovierter Jurist, der in Uefa- und Fifa-Kreisen bestens vernetzt ist. Milletich spricht kaum Englisch, die Kommunikation auf internationalem Parkett übernimmt oft Hollerer, der fünf Sprachen beherrscht.
Seine Kritiker stören sich auch an Milletichs Habitus, der im neuen Amt tapsig wirkt. Andernorts gilt er als gefinkelter Unternehmer. Sein Verlagsimperium verwandelte er in eine Cashcow, macht Geschäfte mit der Stadt Wien und dem Land Burgenland. Dabei scheffelt der SPÖ-nahe Mann Millionen mit Inseraten und bunten Blättern. Auch als ÖFB-Präsident versucht er sich als Macher. Bei der Teamchef-Suche verließ er sich nicht auf den in der Kritik stehenden Sportdirektor Peter Schöttel, der am liebsten seinen Kumpan Peter Stöger nominiert hätte. Hollerer und Milletich fuhren stattdessen – auch auf öffentlichen Druck hin – zum erfolgreichsten Fußballmanager des Landes: RB Salzburg-Sportchef Christoph Freund. Die beiden ließen sich beraten, der Rangnick-Deal wurde angebahnt.
Das Präsidium ist gespalten wie nie.
Seine Präsidiumskollegen informiert Milletich nur spärlich, abseits von Sitzungen pflegt er wenig Kontakt. Der Oberösterreicher Götschhofer wandte sich im März 2022 in einem Brief an Milletich. Er solle das Präsidium nicht spalten, sondern einen. In einem Telefonat blieb Milletich, der eine Mehrheit hinter sich wähnte, stur: Er sei kein Brückenbauer, der Unbekehrbare zur Läuterung führen wolle.
Im April forderten seine Kontrahenten eine Sitzung, um über den Zwischenstand der Teamchef-Suche informiert zu werden. Doch Sportdirektor Schöttel erkrankte, Milletich sagte kurzfristig alles ab. In zwei E-Mails drängten die drei Landeskaiser auf Milletichs Erscheinen – doch dieser versetzte die wartenden Männer. „Ich möchte nicht, dass hier die Landespräsidenten sagen: Ich hätte gerne diesen oder jenen“, betonte er danach gegenüber profil.
Es gilt als Todsünde im ÖFB-Präsidium, die Landeskaiser von der Teamchef-Suche auszuschließen. Einst war diese ein großes Fest, jeder Landeschef versuchte seinen Kandidaten durchzubringen. Vor einem Jahrzehnt fühlte sich die Herrenrunde erstmals übergangen. Der damalige Präsident Leo Windtner suchte mit Sportdirektor Willi Ruttensteiner im Alleingang den Teamchef aus. Die honorigen Herren durften die Entscheidung bloß abnicken. Jahre später folgte die Abrechnung. Erst wurde Ruttensteiner aus dem Amt gewählt. Dann folgte Windtner – dem wenig liebevoll mitgeteilt wurde, für eine weitere Amtszeit zu alt und zu schwerhörig zu sein.
Nun erlebte die Männerrunde ein Déjà-vu. Milletich stellte sie vor vollendete Tatsachen, präsentierte am Tag der Teamchef-Wahl den Namen Rangnick. Viele hätten „das nicht gewusst und haben damit nicht gerechnet“, betonte er stolz. Der Salzburger Hübel verließ vor der Abstimmung demonstrativ den Raum.
Milletich sah sich als Alleinherrscher bestätigt. Doch die Freude währte nicht lang. Im Oktober erhob das Magazin „News“ schwere Vorwürfe: Der Präsident keile bei ÖFB-Sponsoren Inserate. Ex-Rechnungshofpräsident Franz Fiedler sprach in einem Ö1-Interview von „Korruption“. Milletich verteidigte sich, es handle sich um „langjährige Geschäftspartner“ – und vermutete ein Anschwärzen aus den eigenen Reihen. ÖFB-Geschäftsführer Hollerer, der zum obersten Milletich-Vertrauten avancierte, forderte von den Präsidiumsmitgliedern intern eine eidesstattliche Erklärung. Die Männer sollten bestätigen, dass keiner den Präsidenten hintergangen habe. Er hätte damit kein Problem gehabt, betont der Salzburger Hübel gegenüber profil, „aber dann hätte ich auch gerne eine eidesstattliche Erklärung des Präsidenten, dass er keine Inserate von ÖFB-Sponsoren keilt“.
Ins Rollen gebracht hatte die Inseraten-Causa der Podcast „Zweierkette“, der von den beiden Burgenländern Thomas Trukesitz und Elisabeth Gamauf betrieben wird. Milletich, der die beiden seit Jahrzehnten kennt, plauderte im vertraut-pannonischen Ambiente seines Parndorfer Verlagsgebäudes drauflos. Er habe „sicher mehr Zugänge durch die ÖFB-Präsidentschaft“, betonte er. Und: „Wenn du als ÖFB-Präsident wo anrufst, ist das etwas anderes, als wenn man als Key-Accounter des Verlages auftritt.“
Milletich, der sich angeschwärzt fühlte, hatte sich in Wahrheit selbst eingetunkt.
Wie du sicher weißt, bin ich in meinem Brotberuf Verleger.
Im ÖFB-Präsidium versuchte er zu retten, was zu retten war. Er legte einen Mailverkehr mit ÖFB-Sponsor Uniqa auf den Tisch, der ihn entlasten sollte. Das Gegenteil war der Fall: Das Schriftstück belastete ihn. „Wie du sicher weißt, bin ich in meinem Brotberuf Verleger und gebe diverse Magazine heraus“, schrieb er dort. „Einige Titel sind sicher auch für euer Haus interessant.“ Die klare Antwort an Milletich: Aufgrund von Compliance-Regeln wolle man besser „nicht in Geschäfte kommen“. Der Mailverkehr habe „die Vorwürfe nicht widerlegt, sondern bestätigt“, zürnte Götschhofer wenig später im profil-Gespräch.
Der ÖFB, der keine Compliance-Regeln festgeschrieben hat, fühlte sich mit der Causa überfordert. Der Salzburger Hübel polterte: „Nur weil der ÖFB nicht ausdrücklich geregelt hat, dass man nicht stehlen darf, ist es deshalb noch lange nicht erlaubt.“ Trotz der Vorwürfe versammelte sich eine Mehrheit hinter Milletich. Er gehe davon aus, dass dieser „nicht zweimal so blöd“ sein werde und „das nicht noch einmal macht“, betonte der Niederösterreicher Gartner gegenüber profil. Die Bundesliga betraute ihre Ethik-Kommission mit dem Fall.
Der Oberösterreicher Götschhofer begann derweil in Eigenregie Beweise gegen Milletich zu recherchieren. Er sprach mit mehreren ÖFB-Sponsoren und stieß auf eine heiße Spur. Ein Treffen mit dem ÖFB-Sponsor Geomix, „wo unbestritten um Inserate geworben wurde“, will Milletich ausschließlich als Verlagschef wahrgenommen haben. Götschhofer erhielt Einsicht in die Spesenabrechnung Milletichs. Und siehe da: Die Fahrt zu besagtem Treffen war dem ÖFB verrechnet worden.
Milletich bot laut profil-Informationen an, die Spesen zurückzuzahlen – doch der Präsident ist angezählt: Seine Klage gegen den „Kurier“ wurde abgewiesen. In wenigen Tagen folgt die Empfehlung der Ethik-Kommission, ehe das ÖFB-Präsidium Anfang Februar tagt. Vorsorglich betont der Salzburger Hübel im profil-Gespräch: „Hände falten, Goschen halten ist nicht das meine. Ich bin alt genug, um das Maul aufzumachen.“
Doch die Gräben im ÖFB reichen tiefer als in Milletichs Inseratenkeller. Die beiden Geschäftsführer Thomas Hollerer und Bernhard Neuhold „reden gar nicht oder nur wenig miteinander“, betont ein Präsidiumsmitglied gegenüber profil. Sie sollen vor allem gegeneinander arbeiten, erzählt man im ÖFB. Der niederösterreichische Landespräsident Gartner hat ein monatliches Jour fixe vorgeschlagen: „Sie müssen ja nicht miteinander auf Urlaub fahren, aber zusammenarbeiten sollten sie im Sinne des ÖFB schon können.“
Der größte Sportverband des Landes befindet sich in einem Dilemma: Streithähne beraten nun Streithähne.