Interview

Super Bowl: NFL-Profi Sandro Platzgummer erklärt den Wahnsinn Football

Any given Sunday: Der Tiroler NFL-Profi Sandro Platzgummer erklärt den Wahnsinn American Football, den Hype um die Super Bowl und warum er auch als Medizinstudent mit Verletzungen spielt.

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Sandro Platzgummer, 23, sitzt in seinem alten Kinderzimmer in Innsbruck, zeigt auf die vielen Urkunden auf der Wand und erzählt von seiner lebenslangen Leidenschaft: American Football. “Ich war ein hyperaktives Kind”, erzählt er zu Beginn des Gesprächs. “Als Kind wollte ich immer laufen und den Ball fangen, wie ein Hund, mit dem man ständig Gassi gehen muss”. Die Urkunden hat er als Nachwuchsspieler bei den Tirol Raiders gewonnen. Seit Platzgummer in den letzten Jahren zu einem der besten Spieler Europas gereift ist, schaffte er es im Jahr 2020, ausgerechnet, in die National Football League (NFL), die beste Football-Liga der Welt. Im Team der New York Giants kämpfte er noch um seinen ersten Einsatz in der Kampfmannschaft. Die Super Bowl, das Endspiel um die Meisterschaft, verfolgt der Runningback in der Nacht auf Montag in seiner Heimat Tirol, wo er sich derzeit auf die nächste Saison vorbereitet und sein Medizinstudium weiterführt.

Wie kann man sich den kollektiven Wahnsinn um das größte Sportereignis des Jahres vorstellen, Herr Platzgummer?

Platzgummer: Football verbindet Athletik und Taktik wie kein anderer Sport. Hier finden alle Typen ihren Platz, vom Sumoringer bis zum Quarterback. Im Fußball hat es ein kräftiges Kind schwerer, im Basketball ein kleines. Im Football braucht es aber robuste und schnelle, kleinere und größere Spieler. Ich selbst versuche als Runningback mit dem Ball durch die Verteidigung zu kommen. Ich muss schnell sein, ausweichen und dabei den Ball schützen. Ich kenne keinen anderen Sport, bei dem man sich derart durchkämpfen muss – und gleichzeitig alles in ein System von Spielzügen eingebettet ist. Das ist hochkomplex.

Video: Platzgummers Weg von Innsbruck in die NFL nach New York.

profil: Warum ist Football so stark mit der amerikanischen Identität verwurzelt?

Platzgummer: Jeder amerikanische Mann hat in seinem Leben schon einmal Football gespielt – sei es auch nur auf der Ersatzbank für eine schlechte Highschool-Mannschaft. Jeder kennt den Sport, weiß, wie komplex er ist und wie viel harte Arbeit er braucht. Daher genießt er auch ein unglaublich hohes Ansehen. Wenn ich in New York spazieren gehe, die Menschen mich als Football-Spieler erkenne würden, dann würden sie zu mir aufsehen, sehr höflich sein und mich als erfolgreichen Menschen wahrnehmen. Das grenzt schon an Gottesverehrung. Die Fans verbinden sehr viel Stolz mit ihrem Team, es repräsentiert ihre Stadt und ihre Community im ganzen Land.

profil: Sie haben vor einem Jahr den Sprung zu den New York Giants geschafft, in die Kampfmannschaft sind Sie aber noch nicht gekommen. Empfinden Sie das als Niederlage?

Platzgummer: Europäer sind in der NFL immer noch die Ausnahme. Es war schon ein großer Erfolg, in den erweiterten Kader zu kommen. Jetzt muss ich dranbleiben und beim Training versuchen, mir die nächste Chance zu verdienen.

profil: In Österreich gilt neben Wien ihre Heimat Tirol als Hochburg des American Football. Wie ist es dazu gekommen?

Platzgummer: Die Raiders Tirol gibt es seit Anfang der 1990er Jahre, die Vikings in Wien sogar noch länger. Vor allem seit Beginn der 2000er Jahre ist Football in Tirol stark gewachsen. Allein in Innsbruck gibt es 60 Schulklassen, in denen Flagfootball gespielt wird - also das Spiel ohne Körperkontakt. Die Liga in Österreich gehört zu den besten in Europa und die Raiders haben mehrmals die Eurobowl gewonnen. Die Liga besteht aber trotzdem aus Halbprofis, weil es vergleichsweise wenig Geld gibt. 

Video: Jeder wartet auf den Kick-Off am Sonntag. Super Bowl zwischen Kansas City und Tampa Bay.

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Super Bowl: The Biggest Show on Earth

Erstmals in der 55-jährigen Geschichte der Super Bowl tritt mit Amanda Gorman eine Dichterin auf. Die 22-jährige Afroamerikanerin sorgte kürzlich bei der Angelobung von US-Präsident Joe Biden für Aufsehen, als sie das Gedicht „The Hill We Climb“ auf den Stufen des Kapitols rezitierte. Das größte Sportereignis der USA gilt als riesiges Werbespektakel und beliebte Entertainmentbühne. Weltweit wird das Spiel,  das heuer unter verschärften Corona-Auflagen in Tampa Bay (Florida) stattfindet, von rund einer Milliarde Menschen verfolgt.

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profil: Coronabedingt wurde in der NFL ohne Zuschauer gespielt. Denken Sie oft daran, in Zukunft bei den Giants in einem vollen Stadion vor 80.000 Fans aufzulaufen?

Platzgummer: Daran denke ich nicht. Ich bereite mich für die neue Saison vor, will mich nicht wahnsinnig machen lassen.

profil: 2016 protestierte der Quarterback Colin Kaepernick gegen Rassismus und Polizeigewalt, indem er sich während der Nationalhymne niederkniete. Kein NFL-Team hat ihm seither einen Vertrag gegeben. Macht Sie das nachdenklich?

Platzgummer: Viele sahen in dem Protest einen Affront, eine Respektlosigkeit gegen das Land. Dass Kaepernick gegen Rassismus protestieren wollte, spielt dann nur noch eine Nebenrolle.

Video: Colin Kaepernick rückte mit seinem Protest die Black-Lives-Matter-Bewegung ins Zentrum der Aufmerksamkeit.

profil: Wie politisch ist dieser Sport?

Platzgummer: Die NFL ist so groß, dass jedes Statement, jede Wortmeldung große Beachtung findet. Man achtet sehr darauf, was nach außen dringt und was nicht. Andererseits gibt es in der Liga viel Community Service. Als Mannschaft kümmern wir uns zum Beispiel um Obdachlose oder verteilen Kleidung in Unterkünften. Ich habe auch regelmäßig Kontakt zu einem Fan mit Drogenproblemen, dem es guttut, wenn er mit einem Spieler seiner Lieblingsmannschaft sprechen kann.

profil: Im Spiel selbst ist für Empathie kein Platz?

Platzgummer: Man lernt im Football, keine Schwäche zu zeigen, sich nicht vornüber zu beugen, wenn man nicht mehr kann, die Hände nicht auf den Oberschenkeln abzustützen. Jede Körperhaltung im Feld wird analysiert.

profil: Das klingt wahnsinnig anstrengend.

Platzgummer: Die mentale Verfasstheit spielt im Football eine zentrale Rolle – das ist ein wichtiger Teil des Trainings. Nicht jeder Mensch ist dafür gemacht. Es geht darum, in den wenigen Sekunden, auf die es wirklich ankommt, vollkommen fokussiert zu sein. Im vierten Viertel wird man immer erledigt sein – den Kopf darf man dennoch nicht hängen lassen.

profil: Die Wunden werden dann im Geheimen geleckt?

Platzgummer: Viele Spieler stehen mit Verletzungen am Feld. Vor allem zum Ende einer Saison gibt es kaum noch Spieler, die nicht an dem einen oder anderen Wehwehchen laborieren. Daher ist die Saison im Football vergleichsweise kurz – anders würde es bei diesem Spiel auch gar nicht gehen.

profil: Wie gehen Sie als Medizinstudent mit Verletzungen um?

Platzgummer: 2019 habe ich auch eine ganze Saison mit einer Schulterverletzung gespielt. Da muss man selber abwägen, wie weit man gehen kann. Das Studium will ich übrigens auf jeden Fall abschließen, egal was aus meiner Football-Karriere wird, und auch wenn ich zehnfacher Millionär werde.

profil: War der Super Bowl immer schon ein Fixpunkt, ein regelrechter Feiertag im Jahr?

Platzgummer: Auf jeden Fall. In der Schulzeit bin ich früher immer müde im Unterricht gesessen, weil ich bis vier Uhr Früh wach war. Wir haben uns mit Freunden getroffen, gemeinsam gekocht oder etwas zu Essen bestellt. Aber nicht nur der Super Bowl war wichtig. Football am Sonntag ist ein Ritual, da wird immer mitgefiebert. Das Motto: Any given Sunday. Mal ein Buch zu lesen oder einen Film zu schauen, ging da nicht. Ich habe das Gefühl, dass der Sport in Österreich immer größer wird.

profil: In der diesjährigen Superbowl trifft der neue Superstar-Quarterback Patrick Mahomes auf den 43-jährigen Altstar Tom Brady. Findet in der NFL gerade ein Generationenwechsel statt?

Platzgummer: Brady hat es in 21 Jahren zehn Mal ins Finale geschafft und könnte es heuer zum siebten Mal gewinnen – dabei wurde ihm schon 2014 sein Karriereende attestiert. Einen Generationenwechsel gibt es immer, Tom Brady ist die große Ausnahme.

profil: Wer gewinnt die 55. Super Bowl: Titelverteidiger Kansas City Chiefs mit Mahomes oder die Überraschungsmannschaft Tampa Bay Buccaneers mit Brady?

Platzgummer: Wenn ich eines gelernt habe: Gegen Tom Brady zu tippen, ist keine gute Idee.

Video: Der neue und der alte Star: Patrick Mahomes vs. Tom Brady.

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Seit 2009 Redakteur bei profil. Hat ein Herz für Podcasts, Popkultur und Basketball.