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Tarek Leitner: Ja, Autos sollen raus aus der Stadt

Die Sommer werden immer heißer, in Großstädten sind Maßnahmen notwendig. ORF-Journalist und Buchautor Tarek Leitner plädiert für eine autofreie Stadt.

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Mein Wohnbezirk, gilt als Versuchsstation. Nicht des Weltunterganges, wenn es manchen auch so scheint. Hier wurde um die „Mutter aller Begegnungszonen“ gekämpft, hier gibt es kühlenden Sprühnebel, hier gibt es Pop-up-Schanigärten – ausgerechnet auf den vielbegehrten Parkplätzen. Die Versuchsstation heißt Wien-Neubau, und ich versuche hier oft, mein Auto vor dem Haus zu parken. Das gelingt so gut wie nie. Das Leben wäre angenehmer, wenn ich es gar nicht zu versuchen bräuchte.

Recherchen zu meinem neuen Buch über die Verwandlung urbanen Lebens in der Stadt führten mich in eine der ersten Garagen Wiens: die Apollo-Garage. Sie wurde nötig, weil man den Privat-Pkw vor 100 Jahren nicht einfach tagelang im öffentlichen Raum abstellen durfte. Damals konnte sich niemand vorstellen, dass einmal fast jeder Haushalt durchschnittlich 23 Stunden am Tag acht Quadratmeter öffentlichen Raum für fünf leere Sitze verstellen wird. Ich finde diesen Mangel an Vorstellungsvermögen sympathisch – und plädiere: Autos sollen wieder raus aus der Stadt. Zufahrten für Anrainer und Lieferanten müssen natürlich möglich bleiben. Für alle anderen gehören andere Möglichkeiten her, in die Stadt zu gelangen.

Dass wir uns das kaum vorstellen können, hat vor allem zwei Gründe:

Die Argumente für die Verringerung des individuellen Pkw-Verkehrs sind unerträglich vernünftig. Ich vermeide es daher, an dieser Stelle über Klimaziele zu schreiben, über Feinstaubbelastung oder Fitness durchs Radfahren. Wir könnten es uns doch auch – ganz unvernünftig – einfach nur schöner machen.

Aber auch das ist schwer vorstellbar. Eine autofreie Stadt wird nicht schöner und lebenswerter, wenn sonst alles bleibt, wie es ist. Es wird wohl fürs Erste mühsamer werden, wenn nur noch Bewohner und Lieferanten zufahren dürfen. Es ist mühsam, sich mit zehn Stundenkilometern seinen Weg zwischen Kinderwagen und Spaziergängern zu bahnen.

In den wenigen Straßenzügen, wo uns das gelungen ist, sehen wir: Es findet rasch eine Anpassung an die neuen Gegebenheiten statt. Wo Autofahren verboten ist, zieht die Wirtschaft nach – und bald sind fast alle alltäglichen Notwendigkeiten zu Fuß in 15 Minuten erreichbar. Es wird anders aussehen als die Stadtrandgegenden im Stil von Los Angeles, die wir uns momentan in großer Fläche zumuten. Und zwar schöner.

Als Städte-Touristen wissen wir sehr genau, wo es schön ist. Wir trinken unseren Kaffee nicht am Parkplatz neben dem Kreisverkehr, sondern in pittoresken Fußgängerzonen. Warum sollten wir es nur im Urlaub schön haben?

Wer doch noch ein vernunftgetragenes Argument abseits dessen braucht, was unser Leben in der Stadt schöner macht: Autofreie Zonen erfuhren in so gut wie allen europäischen Städten eine ökonomische Aufwertung. Die Kaufmannschaft, die in den 1970er-Jahren symbolisch einen Sarg durch die Wiener Kärntner Straße trug, um auf deren Sterben hinzuweisen, hat sich geirrt. Nicht die verkehrsgünstige Lage an der städtischen Durchzugsstraße zieht Kauffreudige an. Sie zieht vor allem Menschen an, die billigen Wohnraum suchen. Warum muten wir ihnen auch noch den Verkehr zu?

Am Ende einer solchen Durchzugsstraße in meinem Bezirk entdeckte ich zuletzt eine bemerkenswerte Bodenmarkierung. Sie zeigt das Ende eines Fahrradstreifens an. Hier müssen sich die Radler wieder in die viel befahrene Straße einordnen. Oder besser: unterordnen. Warum endet hier ausgerechnet der Radstreifen – und nicht etwa die parallel verlaufende Pkw-Spur?

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Anders als Tarek Leitner sieht es Margarete Gumprecht, Handelsobfrau der Wirtschaftskammer Wien. Ihre Entgegnung finden Sie hier:

Gemeinsam mit Peter Coeln und Peter Weinhäupl veröffentlicht Tarek Leitner Ende August ein Buch über den 7. Wiener Gemeindebezirk. "Im Siebtem. Die Neuerfindung der Stadt in Wien-Neubau" erscheint im Brandstätter Verlag.

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