Essbarer Glitzer und gratis Burger
Die hässlichen Armbänder tauscht man nicht, sondern hängt sie an einen Baum in der Corneliusgasse. Na gut, nicht ausschließlich. Aber die besonders gelungenen „Friendship Bracelets“ möchten die meisten „Swifties“ doch lieber persönlich weiterschenken. Bei dem einen, wo der Faden schon etwas ausfranst und beim Knüpfen keine „E“-Buchstaben mehr übrig waren, tut man sich deutlich leichter. Einen freien Ast suchen, darüber werfen, fertig. Irgendwen wird es schon freuen.
Seit vergangenen Mittwoch öffentlich wurde, dass die drei Taylor Swift-Konzerte in Wien wegen Sicherheitsbedenken abgesagt werden müssen – profil berichtete über den vereitelten Terroranschlag und den Werdegang des Terror-Verdächtigen – haben die Fans der amerikanischen Musikerin einfach die Straßen zur „The Eras Tour“ gemacht. Besonders am Wiener Stephansplatz und in der Corneliusgasse im sechsten Bezirk (ein Song von Swift heißt „Cornelia Street“) ging es zur Sache. Pailletten, Cowboy-Stiefel, Rüschenkleider. Taylor Swifts Musik spielte aus mitgebrachten Bluetooth-Boxen, Anrainer:innen winkten aus Fenstern oder verteilten Wasser. Ein Pärchen aus Großbritannien, extra für die Tour angereist, tanzte zu „Love Story“, ihrem Hochzeitssong. Etwas weiter weg erklärt ein junger Mann in weißem Glitzer-Frack: „Jetzt hier zu sein, bedeutet der Fan-Community viel.“ Beim Song „The Smallest Man Who Ever Lived“ müssen alle mitmarschieren: „Were you sent by someone who wanted me dead? Did you sleep with a gun underneath our bed?“ („Wurdest du von jemandem geschickt, der mich tot sehen wollte? Hast du mit einer Pistole unter unserem Bett geschlafen?“) „Das passt richtig zur Situation gerade“, sagt eine junge Frau zu ihrer Freundin.
Irgendwie konnte sich niemand diesem neuen Kollektiv der „Swifties“ entziehen, kurzzeitig war ganz Wien ihre Bühne und jeder ein Teil der Show.
Damit lässt sich natürlich Geld verdienen. Ein Eissalon erfand kurzzeitig neue Sorten: „Cruel Sommer“ (Erdbeere-Himbeere), „Wildest Dreams“ (Kokos) und „Love Story“ (Granatapfel) – essbaren Glitzer inklusive. Mit Konzertkarten konnte man sich gratis Burger und Prosecco holen oder reduzierte Tickets für Wiens Schwimmbäder ergattern. Gratis Eintritt in Museen, gratis Snacks im Kino, gratis Swarovski-Kristalle. Um die „Swifties“ wurde sich am Wochenende regelrecht gerissen – sogar ein Würstelstand auf der Wiener Mariahilfer Straße schwenkte kurzzeitig zu Taylor Swifts „1989“-Album - zugegeben, eine etwas ungewohnte musikalische Untermalung zu brutzelnden Bratwürsten.
Die Politik ließ ebenfalls nicht lange auf sich warten. „Swiftie Nights Vienna“, eine lokale Wiener Fangruppe, wurde direkt zu Bundeskanzler Nehammer (ÖVP) geladen. Auf Social Media wird dieser Besuch gerade recht kritisch diskutiert. Für einige Fans verträgt sich die feministische Botschaft der US-Sängerin aus Prinzip nicht mit wertkonservativer Politik. Andreas Babler (SPÖ), Werner Kogler (Die Grünen) und Bundespräsident Alexander Van der Bellen teilten jeweils Freundschaftsarmbänder mit politischen Botschaften auf Instagram, Beate Meinl-Reisinger (Neos) meldete sich via Video bei den enttäuschten „Swifties“. Kollektiver Tenor: Man zeigt Mitgefühl. Das ist alles sehr traurig.
In den „Swifties“ sahen viele eine Option, endlich die eigene Empathiefähigkeit unter Beweis zu stellen. Ob Politik oder Wirtschaft, sie alle schielten auf die Zielgruppe dieser enttäuschten jungen Frauen – sei es als Kundinnen oder mögliche Wählerinnen. Warum nicht mit mit Swift Wahlkampf machen oder das Image etwas aufpolieren? Als unverdächtige, garantiert erfolgreiche PR-Strategie? Sich als Unternehmen oder Partei an ein solches Massenphänomen dranzuhängen, erscheint in puncto Öffentlichkeitsarbeit jedenfalls klug. Ein Großteil der „Swifties“ hat sich über den kollektiven Trost und die Goodies in Museen und Eissalons auch gefreut. Ob diese Mitgefühlsgesten Auswirkungen auf Wählerstimmen oder Konsumverhalten haben wird, darf aber bezweifelt werden.
Mit ihrem sturen Optimismus und einem Haufen Pailletten haben die „Swifties“ jedenfalls die Stadt vom Terror zurückerobert. Wie viel am Ende wirklich vom Glitzer kleben bleibt, wird sich zeigen.
Subjektiv hat sich innerhalb von einem Tag so gut wie das ganze Land zur Konzertabsage geäußert. Nur die Person, um die es eigentlich geht, schweigt bisweilen.
Am Donnerstag spielt Taylor Swift im Wembley-Stadion in London ihr nächstes Konzert. Ob sie bis dahin noch etwas zum geplanten Attentat in Wien sagen wird, ist fraglich.
Derweil muss das „Cruel Sommer“-Eis reichen.