Autorin Teresa Roscher: "Der Tod ist mir ein Vertrauter“

Teresa Roscher: "Der Tod ist mir ein Vertrauter“

Die Wiener Krankenpflegerin Teresa Roscher, 27, hat ein beachtenswertes literarisches Debüt vorgelegt. Und hätte selbst das Zeug zur Romanfigur.

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Es ist noch gar nicht so lange her, da wollte Teresa Roscher nicht älter als 45 werden. Unter gar keinen Umständen. Alter, das war für sie gleichbedeutend mit Krankheit und Anstrengung. Nichts, womit sie sich auseinandersetzen wollte. Auch über die Methode des Abgangs war sie sich im Klaren: die Waffe. Das schien ihr am einfachsten. Inzwischen hat sie sich auf 65 hinaufverhandelt. Über solche Dinge spricht die 27-jährige Krankenpflegerin in Ausbildung so, als ob sie vom Wetter spricht oder von ihrer Lieblingsband. Pathosfrei, klar, ganz direkt. Selbstbestimmt. Manchmal sogar mit einem kleinen ironischen Lächeln. So, als ob sie sich über sich selbst doch auch manchmal ein bisschen wundern würde. Sie trägt einen dunkelblauen Mantel und einen dunkelblauen Pullover, das sieht ein bisschen nach britischer Schuluniform aus, um ihren Hals baumelt eine buddhistische Kette ("Ich glaube auch daran, dass wir hier irgendwie nur auf Durchgangsstation sind“) und eine silberne mit Glasanhänger, in dem Island zu sehen ist. Ihr Lieblingsland. Vielleicht mit ihrer Affinität zu Feen und Elfen zu erklären.

Ich dachte mir oft: Ich halte die Welt nicht mehr aus, weil mich einfach niemand versteht.

Ja, sicher ist sie merkwürdig, schräg. Das war schon immer so. Schon als Kind hat sie sich manchmal mitten im Zimmer auf den Boden gekniet, dabei immer wieder nach vorne gebeugt, wie in einer Art Gebet-Trance, und das Wort "Mama“ wie ein Mantra vor sich hin gemurmelt. Nicht weil sie zu ihrer Mutter wollte, die während unseres Gesprächs im Barbereich des Café Engländer in der Wiener City auf sie wartet, sondern weil sie in ihrer eigenen Welt sein wollte - in einer geschützten Welt, in der keiner Zugriff auf sie hat. Ihren Barbie-Puppen hat sie die Haare abgeschnitten und sie in den Krieg mit den Dinos geschickt. Zeit für Sex mit dem Barbie-Prinzen musste dennoch zwischendurch sein. In der Volksschule hat sie darauf bestanden, alleine zu sitzen. Freunde hatte sie nie. Sie wollte auch keine. Später hat man sie deswegen gerne zu den Problemkindern gesetzt. Furchtbar, die waren immer so laut. Für die Außenwelt lief sie auch immer unter Problemkind, aber sie war eben eines, das die Ruhe, die Stille brauchte. Das hat niemand verstanden, auch die Lehrer nicht, die manchmal mitmobbten, wenn sie die Mitschüler wegen ihres leichten Stotterns, ihres selbst gewählten Außenseitertums, ihrer Intelligenz verspotteten: "Ich dachte mir oft: Ich halte die Welt nicht mehr aus, weil mich einfach niemand versteht.“

Mit dem Schreiben baut sie sich ihre eigene Welt. Keiner hat dann auf sie eine Zugriffskarte. Ihr erster Roman, der kürzlich bei einem kleinen Verlag erschienen ist, schrieb sich fast von selbst.

Er hatte auch die Nebenfunktion eines Ablenkmanövers: Anfang 2015 war Teresa Roscher, Tochter eines ehemaligen Polizisten und einer "Berufszigeunerin“, wie sie ihre Mutter nennt, aus Wien-Simmering mit einer medizinischen Ungewissheit konfrontiert, die etwas sehr Bedrohliches hatte. Mit kontinuierlichen Schmerzen und ständigen Kontrollen hatte sie sich seit ihren Teenagertagen quälen müssen, doch diesmal hätte es auch vernichtend ausgehen können: "Ich stellte mir einfach die Frage: Was ist, wenn ich einmal einfach nicht mehr bin?“ Der Tod ist für sie kein Fremder; mit ihm hat sie erstmals Bekanntschaft im Alter von viereinhalb Jahren geschlossen: "Meine jüngere Schwester ist mit drei aufgrund eines Gendefekts gestorben. Dann waren wir nur noch drei Schwestern. Meine Eltern erklärten uns, dass sie jetzt einfach nicht mehr da sein wird. Ich erinnere mich, dass wir damals gelacht haben, weil wir uns das nicht vorstellen konnten. Später war ich froh, dass sie ihre Schmerzen nicht mehr ertragen musste. Der Tod war immer in meinem Leben, er ist ein Vertrauter.“

Der Titel ist wie der Rest des Buches - klar, eindringlich und ohne Pathos: "Wenn ich morgen sterbe, lebe ich eben heute.“ Der Sound ihrer Sprache liegt irgendwo zwischen Sarah Kuttner und Amélie Nothomb, die Heldin des Buches bekämpft ihr permanentes Entfremdungsgefühl mit der leicht arroganten Schnoddrigkeit eines Holden Caulfield, dem Weltschmerz-Idol aus "Fänger im Roggen.“ Harry Potter und "die fetten Russen“, das waren ihre literarischen Erweckungserlebnisse. Ihr Faible für die Zauberwelt von Hogwarts erklärt auch das Schuluniform-Styling. Teresa war noch nie in ihrem Leben betrunken, noch nie auf einem Rockkonzert, im letzten Jahr ist sie erstmals mit einer Freundestruppe zum Campen auf das Nova Rock gefahren, aber ohne sich in die Menschenmassen zu mengen. Ja, aus einem seltsamen Grund hat sie, die bislang in freiwilliger Isolation gelebt hat, seit ihrem 26. Lebensjahr eine Clique gefunden, die inzwischen zu einer Art Wahlfamilie wurde.

Ihre Protagonistin Sophie ist in Teresas Alter, wie sie eingebettet in einer turbulenten wie anstrengenden Großfamilie. Gleich zu Beginn wird Sophie eine aussichtslose Krebsdiagnose gestellt: "In meinem Kopf krachen gerade Hunderte Züge aufeinander, und ich versuche mir einen nach dem anderen anzusehen. Den Schaden abzuschätzen und damit zu arbeiten. Ich sortiere die Menschen, denen ich sagen muss, was jetzt mit mir passiert, und gleichzeitig versuche ich mir eine Liste zu machen … keine dämliche Bucket-List. Ich will nicht ‚Krieg und Frieden‘ endlich gelesen haben oder aus einem Flugzeug springen ...“ Um den Schock zu verkraften, "fickt“ sie gleich einmal mit dem Onkologen: "In dem Moment, als er mich fest von hinten nahm und dabei die Tür zudrückte, kam ich so heftig, wie ich normalerweise nur mit einem Nackenmassagegerät aus dem Supermarkt für 15 Euro komme. Zum Abschied gibt er mir einen neuen Termin und ich ihm eine Ohrfeige ...“

Mir ist wichtig, dass Sophie nicht als Flitscherl verstanden wird. Sie nimmt sich einfach, was im Moment für sie passt, und hat keine Scheu.

"Mir ist wichtig, dass Sophie nicht als Flitscherl verstanden wird. Sie nimmt sich einfach, was im Moment für sie passt, und hat keine Scheu.“ Genauso wie Teresa auch: "Für mich ist Sexualität extrem wichtig. Ich hab viel Testosteron in mir und bin da vielleicht fast wie ein Mann.“ Auch eine offene Beziehung zu leben, wäre für sie durchaus vorstellbar: "Ich lese gerade wieder sehr viel Sartre und Simone de Beauvoir, die ja auch offen miteinander lebten. Zur Zeit habe ich einen Freund, mit dem ich erstmals auf intellektueller Augenhöhe bin. Er ist Berufssoldat. Seelisch kann ich immer nur auf einen Menschen fixiert sein, da bin ich treu, aber in ein paar Jahren kann es durchaus sein, dass ich einmal wieder einen anderen nackten Körper sehen und berühren will.“ Mit der romantischen Liebe hatte sie eigentlich mit 26 schon abgeschlossen: "Rosen, Schokolade und das ganze Zeug war immer nur für die anderen. Da habe ich mich Gott sei Dank jetzt getäuscht.“

Teresa Roscher: "Wenn ich morgen sterbe, lebe ich eben heute" united p.c., 115 Seiten 18,40 Euro

Dass jemand, der eine solche Angst vor dem Alter hat, dass er den frühzeitigen Tod als Fluchtweg in Erwägung zieht, eine Pflegeausbildung absolviert und in einem Pensionistenwohnheim in Wien-Meidling arbeitet, mag den "Mainstream-Menschen“ paradox erscheinen. Für Teresa Roscher hat das Logik: "Ich will mich immer über meine Grenzen hinwegsetzen, mich herausfordern. Wir können nur ins kalte Wasser springen, um unsere Angst zu verlieren.“

Der Job wurde inzwischen zu einer regelrechten Berufung: "Da bin ich angekommen. Ich bin voller Respekt für die alten Menschen und die Leben, die hinter ihnen stehen. Ekel kenne ich nicht. Selbst wenn ich einer Dame die Pull-Ons runterziehe - ich hasse das Wort Windelhose -, und sie uriniert mir auf die Hände, weil sie es einfach nicht mehr halten kann, empfinde ich keinen Ekel, sondern nur Empathie.“ In ihrem nächsten Buch will sich Roscher in die Welt einer demenzkranken Frau hineinfühlen: "Ich erlebe solche Menschen tagtäglich. Es ist furchtbar, wenn Teile von ihnen einfach wegbrechen. Eine Dame in unserem Heim behauptet täglich, dass sie erst den ersten Tag da ist und sich deswegen nicht auskennt. Sie wohnt seit drei Jahren bei uns. Selbst wenn sie mich von einem Tag auf den anderen nicht wiedererkennt, fühlt sie meine Zuwendung. Für jemanden, der an Demenz leidet, kann ein Streicheln seiner Wange oder eine Hand, die sich auf seine Schulter legt, die Welt bedeuten.“ Und wenn das Leben weiter so sprudelt wie jetzt, wäre Teresa durchaus verhandlungsbereit, was ihre aktuelle Schmerzgrenze von einer auf 65 Jahre beschränkte Lebenszeit betrifft. Nichts ist im Leben doch in Stein gemeißelt, oder?

Dieser Artikel stammt aus dem profil Nr. 17 vom 24.4.2017. Das aktuelle profil können Sie im Handel oder als E-Paper erwerben.

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort