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The Morning Show: „Gib mir endlich Respekt!“

Mit 52 brilliert Jennifer Aniston in „The Morning Show“, dem bislang besten Fiction-Beitrag zum #Metoo-Phänomen.

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Während in New York City gerade die zweite Staffel von „The Morning Show“ gedreht wird, diesmal mit hohem Pandemie-Bezug, fällt der frühere Vorzeige-Beau des Corona-Krisenmanagements, der New Yorker Gouverneur Andrew Cuomo, in Zeitlupe vom Sockel. Gleich drei Klägerinnen bezichtigen den Mann, der die #Metoo-Bewegung einst als wichtige gesellschaftspolitische Bewegung gepriesen hat, verbaler und physischer Übergriffe. Cuomo reagierte so wie viele Männer im Fadenkreuz der im Herbst 2017 initialisierten Bewegung: Er räumte ein, dass sein Verhalten „als unerwünschte Flirts fehlinterpretiert worden ist“, was ihm, natürlich, aufrichtig leidtue. Er wollte niemand verletzen.

Wie Cuomo ist auch Mitch Kessler, der fiktive  Antiheld der ersten Staffel der zehnteiligen Serie „The Morning Show“, das exakte Gegenteil von den alten, weißen Säcken vom Zuschnitt eines Harvey Weinstein oder Donald Trump. Kessler (gespielt von Steve Carell) gibt den supercharmanten, stets gut gelaunten, von vielen Frauen angehimmelte Frühstücksfernsehen-Moderator, der mit seiner Kollegin Alex Levy das Format zur Werbeeinnahmen-Goldgrube des Senders stemmte. Und dabei seinen Status und seine Attraktivität als manipulative Verführungskraft mit siegessicherer Freude zum Einsatz bringt. Oft sind die Widerstände diverser Assistentinnen, Praktikantinnen oder Investigativ-Reporterinnen schnell gebrochen, wenn überhaupt vorhanden, und die Flirts durchaus einvernehmlich erwünscht.

„Ich kann mich nicht erinnern, dass ich eine Pistole an deine Schläfe gehalten habe und dich gezwungen habe, in mein Hotelzimmer zu kommen“, erklärt dieser Kessler, nachdem sein Leben aufgrund diverser Anschuldigungen in Trümmern liegt, einer früheren One-Night-Stand-Partnerin. „Und was zum Donner hast du geglaubt? Dass ich will, dass du mein bester Freund wirst?“ 

Womit wir auch bei einem philosophischen Grundproblem des Diskurses angelangt sind: Ist jede Form von Konsens durch ein berufliches Machtverhältnis obsolet? Und nimmt man Menschen, egal welchen Geschlechts, dadurch nicht auch das Recht auf Autonomie und Selbstbestimmung? In der Serie verhandeln die  Drehbuchautoren, angeführt von Showrunner Jay Carson („House of Cards“), aus verschiedenen Perspektiven all jene Aspekte der Übergriffs-Debatten, die nicht in klare Raster passen.

„The Morning Show“ mit dem Duo Jennifer Aniston und Reese Witherspoon nicht nur als Hauptdarstellerinnnen, sondern auch als ausführende Produzentinnen, ist eine der ersten Apple TV+-Produktionen und ein qualitativer Paukenschlag. Es ist der mit Abstand klügste fiktive Beitrag zum Phänomen #Metoo, da in den zehn Folgen in oftmals brillanten Dialogen auch sämtliche Grauzonen in Schuld- und Verantwortungsfragen ausgelotet werden, die Dehnbarkeit des Begriffs Einvernehmen analysiert wird und auch die Mitwisser der Kessler-Methode aus der Schonzone geführt werden. 

Bislang war vor allem das sexistische Terror-Regime des langjährigen Senderchefs von Fox News Roger Ailes sowohl in der Hollywood-Produktion „Bombshell“ als auch in der HBO-Serie „The Loudest Voice In The Room“ thematisiert worden. In Kitty Greens Independent-Film „The Assistent“ wurde aus der Perspektive einer jungen Sekretärin das Sittengemälde eines Harvey-Weinsteinesken Imperiums nachgezeichnet. Auch der „Morning Show“ liegt eine authentische Geschichte zugrunde: Matt Lauer, gefeiertes Gesicht der renommierten NBC-Show „Today“, wurde im Jahr 2017 von seinem Sender wegen sexueller Übergriffe gefeuert. Pikanterweise war Ronan Farrow, Woody Allens Sohn, zuvor bei NBC mehrfach daran gescheitert, seine jahrelangen Recherchen zu Weinsteins Missbrauchs-Methoden auf genau diesem Sender offenzulegen. Im Oktober 2017 ließ Farrow dann im Magazin „New Yorker“ (die Geschichte erschien parallel zu jener in der „New York Times“) die Bombe detonieren.

Aniston, die die ehrgeizige Moderatoren-„Bitch“ Alex gibt, der die Quoten altersbedingt davonschwimmen, während ihr strahlender Co vom Zahn der Zeit bis zu seinem #Metoo-Absturz verschont blieb, räumt gegen Staffelende  ein, dass sie jahrelang „eine Schweigekultur“ mitverantwortet habe: „Ich habe mich über die Frauen, die durch Mitchs Hände gingen, lustig gemacht, vor allem wenn sie traurig im Eck hingen, nachdem er sie verlassen hatte. Ich habe alles gewusst und damit auch mitgetragen.“ Einen Vorwurf, den sich die gesamte Hollywood-Branche auch im Fall von Harvey Weinstein machen konnte. Schon nach den ersten öffentlichen Anklagen der „silence breakers“, wie das Magazin „Time“ Weinsteins Opfer wie Ashley Judd und Rose McGowan später nannte, postete der Drehbuchautor Scott Rosenberg #everybodyfuckingknew und fügte hinzu: „Und wir alle haben die goldenen Eier dieser Gans gerne gegessen.“ 

Aniston personifiziert nach vielen Film-Belanglosigkeiten eindrucksvoll das Dilemma der ambitionierten Endvierzigerin, die für ihren Ehrgeiz im Privaten mit Verachtung bestraft wird. Am Höhepunkt der Turbulenzen ruft sie ihrem Boss zu, der vorgibt, sie „beschützen“ zu wollen: „Ich brauche deinen  Schutz nicht. Gib mir endlich Respekt.“

Möglicherweise kann diese Serie mehr in den Köpfen junger Frauen bewegen als jedes Genderseminar.

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort