Trauen Sie Ihren Augen nicht! Wie uns Fake News manipulieren wollen
Von Iris Bonavida, Edith Meinhart und Robert Treichler
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Irgendwo ist dieses Bild fast jedem untergekommen: eine Hausmauer in Paris, auf der mit blauer Farbe ein oder mehrere Davidsterne gesprayt wurden. Fotos davon gingen seit Ende Oktober durch alle internationalen Medien, natürlich auch in Österreich. Sie riefen Erinnerungen an die Judenverfolgung hervor und schürten so Angst vor antisemitischen Angriffen. Die Pariser Staatsanwaltschaft begann eine Untersuchung, und die Bürgermeisterin des 14. Bezirks in Paris erinnerte an die Judensterne der Nazis, die „zur Vernichtung von Millionen Juden geführt haben“. Die Öffentlichkeit in Frankreich – aber nicht nur hier – war nachvollziehbarerweise alarmiert.
Davidsterne auf Pariser Mauern
Auch dahinter steckte eine Fake-News-Aktion, um Medien und die Öffentlichkeit in die Irre zu führen
Mittlerweile ist klar: Die Meldung ist ein besonders raffinierter Fall von Fake News. Zwar prangten die Davidsterne tatsächlich an Pariser Hausmauern, rund 250 davon, die Fotos davon brauchten somit nicht manipuliert zu werden. Doch die Aktion wurde mit dem Vorsatz geplant, Medien und in weiterer Folge die Öffentlichkeit in die Irre zu führen. Es ist ein prototypisches Beispiel für die Verbreitung einer Nachricht, die vorsätzlich konstruiert wurde – und damit alle Kriterien von Fake News erfüllt.
Wie funktionieren die Mechanismen hinter den Fake News tatsächlich? Wie erreichen die Täuschungen derart enormes Echo? Welchen Zweck verfolgen ihre Urheber? Und warum ist dieses Phänomen so gefährlich?
Im konkreten Fall der Davidsterne gelang es den Behörden, ein Paar aus Moldau auszuforschen, das beim Sprayen in Paris beobachtet worden war. Die beiden, 28 und 33 Jahre alt, gaben sich als Touristen aus und behaupteten – wenig glaubhaft –, von einem Unbekannten gebeten worden zu sein, gegen eine geringe Summe die Davidstern-Graffiti zu machen und ihm Fotos davon zu senden. Ein weiteres Paar, das im Verdacht steht, dasselbe getan zu haben, konnte entwischen.
Eine Analyse der Tageszeitung „Le Monde“ ergab, dass die Fotos von den Davidsternen zunächst ausschließlich von Accounts auf den Plattformen Facebook und X, vormals Twitter, verbreitet wurden, die dem sogenannten Doppelgänger-Netzwerk zuzuordnen sind, das sich (ironischerweise) „Reliable Recent News“ (verlässliche jüngste Nachrichten) nennt. Dabei handelt es sich um ein klandestines Unternehmen, das bereits in der Vergangenheit mit gefakten Beiträgen aufgefallen ist und dabei existierende, seriöse Medien täuschend echt imitiert. Laut dem französischen Außenministerium steht „Reliable Recent News“ mit dem russischen Staat in Verbindung. Im konkreten Fall der Davidstern-Graffitis ist wegen des Mittelsmanns die Spur zu den Auftraggebern nicht so einfach beweisbar.
Bilder mit der Absicht, Unruhe zu stiften
Dank der Ermittlungen der Behörden und der Nachforschungen von Investigativmedien ist der Fall weitgehend gelöst, die Davidsterne sind als Fake entlarvt. Ist damit die Sache aus der Welt geschafft?
Eben nicht. Die Absicht hinter diesen Fake News ist, in der Bevölkerung Unruhe zu stiften, die Stimmung aufzuheizen und das Vertrauen in die Institutionen zu schwächen. Die Fotos von den Davidstern-Graffitis zirkulieren lange Zeit, und zwar auf Kanälen, wo Faktenchecks niemals auftauchen. Sie verstärken die Angst, der Antisemitismus greife um sich und der Staat sei untätig. Sie wecken die Vermutung, rechtsextreme Gruppen seien aktiv, oder sie lenken den Verdacht auf israelfeindliche Einwanderer.
Und selbst wenn die Fotos als falsch identifiziert werden, haben sie noch das Potenzial, destruktiv zu wirken: Politiker und Medien, die den Fotos ursprünglich Bedeutung beigemessen haben, werden als unglaubwürdig attackiert, das Phänomen des Antisemitismus als Schimäre dargestellt.
All das läuft auf eine für Fake News typische Absicht hinaus: die Destabilisierung der Gesellschaft. In anderen Fällen dienen Fake News konkreten politischen Zielen, und manchmal auch ganz einfach dazu, mittels Clickbaiting oder mit betrügerischen Hintergedanken Geld zu verdienen.
Mittlerweile weiß man aus bitterer Erfahrung, dass von manipulativen Falschnachrichten reale Gefahren ausgehen. Nicht ganz zufällig trat der Begriff während der Amtszeit von US-Präsident Donald Trump (2017–2021) seinen Siegeszug an. Am 9. August 2017, keine acht Monate nach Trumps Angelobung, nahm der Duden, das Standardwerk der deutschen Sprache, „Fake News“ in den offiziellen Sprachgebrauch auf.
Und spätestens mit Trumps Wahlniederlage im November 2020 zeigte sich auf dramatische Weise, wie relevant Fake News sein können. Trumps falsche Behauptung, die Wahl sei ihm „gestohlen“ worden, verbreitete sich wie das sprichwörtliche Lauffeuer, und keine faktische Berichtigung durch Wahlbehörden, Medien oder Gerichte konnte die Wucht dieser Unwahrheit stoppen. Der Sturm auf das Kapitol am 6. Jänner 2021 war die beängstigend reale Konsequenz daraus.
Selten beziehen sich Fake News auf ein einzelnes Faktum. Auch bei Trumps vermeintlich gestohlener Wahl kursierte eine ganze Reihe von verschiedenen – allesamt falschen – Behauptungen, vom Betrug mittels Massen von gefälschten Briefwahlstimmen über manipulierte elektronische Wahlmaschinen bis zu verbrannten Stimmzetteln. Je größer die Zahl an Gerüchten, umso schwieriger ist es, Fake News zu entkräften.
Im Falle der Corona-Schutzimpfung machten Unmengen von angeblichen Fällen von Impfschäden in Telegram-Gruppen die Runde. Und die prorussischen Fake-News-Fabriken erfinden immer neue Vorwürfe gegen die angebliche Nazi-Regierung der Ukraine und deren vermeintlich drogenabhängigen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.
2024 wird ein Jahr großer Entscheidungen und deshalb auch Hochsaison für Fake News: EU-Wahlen im Juni, US-Präsidentschaftswahl im November, und auch in Österreich steht voraussichtlich im Herbst die Nationalratswahl an. Der Verfassungsschutz hat das Thema im Blick.
Die Europäische Union weiß, dass antidemokratische Kräfte an der Destabilisierung des politischen Systems in Europa arbeiten und dass Fake News dabei ihre gefährlichsten Waffen sind. Gelingt es etwa, den Verdacht zu verbreiten, die Wahlen liefen nicht korrekt ab, könnte dies auch hier zu Verwerfungen führen.
Manipuliertes Video
Das weiße Häufchen Kokain am Tisch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj wurde nachträglich hineinretuschiert.
Je schwächer die Medien, desto stärker Fake News
In Brüssel schrillten vor ungefähr zehn Jahren, spät aber doch, die Alarmglocken. Dutzende Spezialisten des Auswärtigen Dienstes nahmen sich des Themas an. Russland ist nicht der einzige staatliche Akteur, der den EU-Behörden Sorgen bereitet, aber aktuell der sichtbarste. Seit 2015 haben die Experten neben Russland auch China verstärkt am Radar. Beide Staaten setzen auf eigens von ihren Auslandsgeheimdiensten geschaffene Strukturen. Aber auch der westliche Balkan oder die arabisch-sprachige Welt rücken zunehmend auf die Agenda. Je schwächer die Medien in einem Land sind, desto leichteres Spiel haben Fake-News-Schleudern.
Wie kann sich Europa dagegen wehren? Mit den gleichen „Waffen“ zurückzuschlagen, verbietet sich, schließlich will die EU die Werte der Transparenz und der Informationsfreiheit verteidigen. Deshalb geht ein erheblicher Teil der Anstrengungen dafür auf, das Bewusstsein für die Gefahren von Fake News zu schärfen, unabhängige Medienstrukturen und Transparenzinitiativen zu stärken, Journalistinnen und Journalisten zu trainieren und die Bildungskompetenz auszubauen. Russische Desinformationskampagnen werden über die Website EUvsDisinfo.eu öffentlich gemacht.
Der Kampf gegen Fake News ist noch lange nicht gewonnen. Die Aggressivität in den sozialen Medien steigt. Ebenso die Verunsicherung darüber, wem man glauben kann, ob in Debatten ohnehin alle Seiten mit Lügen operieren und ob es eine Instanz gibt, die der Wahrheit verpflichtet ist. Eine Gesellschaft, die sich nicht mehr darauf einigen kann, auf welchem Weg sie entscheidet, was wahr ist und was nicht, verliert die Fähigkeit zum Konsens.
Fake News zu produzieren und zu verbreiten, ist technisch immer einfacher zu bewerkstelligen. Künstliche Intelligenz kann dank der Eingabe simpler Begriffe beliebige Fotos erstellen, die mit dem richtigen Know-how täuschend echt aussehen können. Zwar weiß das mittlerweile jeder, doch der Macht solcher Bilder tut das kaum einen Abbruch.
Das Bild eines Vaters etwa, der in Gaza vor der Ruine eines zerbombten Hauses vier Kinder trägt und ein fünftes an der Hand führt, ist künstlich erstellt. Wie man das in diesem Fall recht leicht erkennt, können Sie bei profil-Kolumnistin Ingrid Brodnig nachlesen. Auf der Foto-Plattform Instagram wird ein solches Foto mit einer Warnung versehen: „Laut unabhängigen Faktenprüfern“ könne es „irreführend“ sein.
Auch das Foto einer propalästinensischen Massendemonstration in Madrid kann dank einer Google-Bildsuche als falsch demaskiert werden. Tatsächlich zeigt es nämlich eine Demonstration für die Unabhängigkeit Kataloniens aus dem Jahr 2017. Aber erstens kursiert so etwas auch auf Accounts, deren Inhaber überhaupt kein Interesse an Aufklärung haben, und zweitens läuft die Produktion von Fake News deutlich schneller als der Faktencheck bemühter Medien.
Papst in Mode
Das Bild von Papst Franziskus im Balenciaga-Hipster-Outfit ging viral, es ist allerdings ein Fake.
Liran Antebi, Direktor der Abteilung für neue Technologien am Institut für Nationale Sicherheit in Tel Aviv, warnt gegenüber der israelischen Tageszeitung „Haaretz“, dass eine einzelne Person heute dank künstlicher Intelligenz so effizient Fake News erstellen und verbreiten könne „wofür früher ein Team in einer Troll-Farm notwendig gewesen ist“.
Oft reicht die Aufmerksamkeitsspanne nicht mehr aus, um abzuwarten, bis sich herausgestellt hat, welches Foto ein Fake war und welches nicht. Der Papst im Balenciaga-Hipster-Outfit? Klar, das war ein Fake. Aber das Foto von Donald Trump im New Yorker Gerichtssaal, auf dem er schlanker wirkt, die Nase schmal und die Haut geglättet? Tatsächlich erwies es sich als bearbeitet, aber weil es nicht besonders spektakulär war, rutschte es in der öffentlichen Wahrnehmung eher wenig bemerkt durch.
Nur auf verschwörerischen Websites und in Telegram-Gruppen gibt es seither ein Geraune, wonach der Ex-Präsident in Wahrheit bei Gericht von einem Double gespielt werde. An Fake News, die auf den ersten Blick wenig Schaden anrichten, wird man sich vielleicht gewöhnen müssen.
Trump vor Gericht
Donald Trumps Gesicht wurde bearbeitet und der Verdacht gestreut, ein Double würde ihn vor Gericht vertreten.
Einen schlimmeren Effekt haben Fake News in der Berichterstattung über den Nahost-Konflikt. Die Emotionen laufen heiß, falsche Informationen treffen auf willige Verstärker, und für jede noch so unsägliche Behauptung finden sich Claqueure. Die unstrittig absurdeste unter allen Fake News ist der Verschwörungsmythos, die Massaker der Hamas vom 7. Oktober seien von Israel inszeniert worden, um davon abzulenken, dass der „Balfour Pachtvertrag“, auf dem Israels Existenzrecht gründe, am 31. Oktober ablaufe. Müßig, zu erwähnen, dass es einen solchen „Pachtvertrag“ nicht gibt, dennoch wurde ein TikTok-Video, in dem dieser Unsinn vorgetragen wird, auch auf X und Telegram verbreitet.
Falschnachrichten sind keine Fake News
Wer nichts ahnend durch Accounts und Chat-Gruppen surft, wird mit Bildern, Videos und Behauptungen geflutet – ein Durcheinander von ernsthaften Nachrichten, halbwahren Meinungen und wüst manipulativem Unsinn. Dazu kommt, dass klassische Medien, die für die Richtigkeit ihrer Inhalte geradestehen und Fehler korrigieren müssen, immer mehr durch zufällig zusammengewürfelte News-Feeds ersetzt werden.
Eine aktuelle Umfrage der israelischen Bar-Ilan-Universität ergibt, dass die Unzufriedenheit mit traditionellen News-Portalen so groß ist, dass etwa die Hälfte der Befragten lieber auf neuen Kanälen nach Neuigkeiten sucht, die Mehrheit von ihnen auf der Plattform Telegram. Dort sind sie außer Reichweite für Faktenchecks etablierter Medienhäuser.
© Screenshot Instagram
Gefälschtes Bild
Das Foto ist nicht echt. Es wurde von einer Künstlichen Intelligenz erstellt.
KI-Bild aus Gaza
Das Bild soll einen Vater mit fünf Kindern zeigen. Tatsächlich ist es von einer Künstlichen-Intelligenz-App erstellt.
Auch Nachrichtenagenturen und Medienhäuser von Weltrang müssen sich im aktuellen Konflikt vorwerfen lassen, Fake News zu generieren. Als sich am 17. Oktober beim Al-Ahli-Arab-Krankenhaus eine Explosion ereignet, berichten internationale Agenturen und Nachrichten-TV-Sender, dass Israel laut der Hamas das Krankenhaus beschossen habe und dabei 500 Menschen getötet worden seien. Die israelische Seite dementiert dies später, und Analysen von Fotos rund um das Spital sowie eine mutmaßlich abgehörte Konversation von Angehörigen des Islamischen Dschihad in Gaza legen nahe, dass die Explosion nicht von einer israelischen Rakete verursacht wurde, sondern von einer fehlgeleiteten Rakete des Islamischen Dschihad.
Mit Fake News im Sinne der allgemeingültigen Definition hat dies jedoch nichts zu tun, da die manipulative Absicht fehlt. Die Medienorganisationen korrigierten ihre ursprünglichen Meldungen umgehend und erstellten ausführliche Faktenchecks, sobald bessere Informationen zu bekommen waren. Der Vorwurf, seriöse Medien würden ebenso Fake News produzieren, weil ihnen gelegentlich Fehler unterlaufen, spielt denen in die Hände, die den Unterschied zwischen Fake News und ernsthaftem Journalismus zu verwischen versuchen.
Je geringer das Vertrauen in professionellen Journalismus ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, anfällig für Desinformation zu sein. Das legt schon eine Studie des „Corona Panel“-Projekts der Universität Wien nahe. 2020, im ersten Pandemiejahr, konfrontierten die Wissenschafter die Studienteilnehmer mit Falschnachrichten. ORF-Verweigerer und YouTube-Nutzer stellten sich am häufigsten als desinformiert heraus. 2022 fragte dasselbe Team nach, wer die Schuld am Krieg in der Ukraine trage. Eine überwiegende Mehrheit, nämlich 84 Prozent, nannte Russland als Aggressor. Bei den Befragten, die sich über Telegram informierten, fiel der Wert am geringsten aus. Nur 45 Prozent sahen die Verantwortung für den Krieg bei Russland.
Die Forscher konnten auch eine Verbindung zwischen der Einstellung zur Pandemie und dem Angriffskrieg herstellen: Menschen ohne Corona-Impfung gaben häufiger an, dass der Westen die Schuld am Krieg trage. Und bei den Parteipräferenzen zeigt sich: Vor allem Wählerinnen und Wähler der FPÖ misstrauen in einem höheren Maß traditionellen Medien und informieren sich lieber auf anderen Kanälen, wie zum Beispiel Telegram. Der Messenger-Dienst, der die schnelle Verbreitung von (falschen) Informationen einer großen Gruppe erlaubt, ist bei Fans der Freiheitlichen beliebt. 21 Prozent informieren sich dort.
Gleichzeitig halten allzu viele in Österreich Fake News für etwas Exotisches. Laut einer Eurobarometer-Umfrage aus dem Jahr 2022 glauben Befragte in Österreich seltener als der EU-Durchschnitt, in der jüngeren Vergangenheit schon einmal Fake News ausgesetzt worden zu sein. Gleichzeitig schätzen Österreicher ihre eigene Medienkompetenz recht selbstbewusst ein: 70 Prozent gaben an, dass sie Falschnachrichten oder Fake News erkennen könnten – weit mehr als der europäische Durchschnitt. Oder wird Österreich gar von Desinformation verschont?
Heimische Politiker müssen zwar – noch – nicht damit rechnen, dass gefälschte Bilder oder KI-generierte Videos von ihnen bewusst im Umlauf gebracht werden. Aber Russland, einer der professionellsten Akteure von Desinformation, kann auch hier seine Falschnachrichten verbreiten. Ursprung sind meistens eigene, dubiose Nachrichtenagenturen, die das Narrativ an die Öffentlichkeit tragen. Die Spur führt dann weiter zu russischen Medien wie Sputnik oder „RT“, bis die Fake News schließlich nach Österreich importiert werden.
Russische Bots, auch in Österreich
Das funktioniert auf verschiedenen Wegen. Einen davon hat die „Washington Post“ durch ein Datenleak aus der US-amerikanischen Sicherheitsbehörden aufgezeigt. Darin wird das sogenannte Fabrika-Bot-Netzwerk beschrieben: eine Armada an programmierten Profilen auf Social Media, die automatisch Desinformation betreiben und linguistisch besonders talentiert sind, sie desinformieren nämlich in gleich mehreren Sprachen. Auch in Österreich sind die Bots aktiv. Sie sind zwar schwer, anhand bestimmter Kriterien aber doch erkennbar: Ein traditionelles Medium postet auf X einen Artikel. Der Bot nutzt die Reichweite des Mediums und schreibt darunter eine polarisierende Nachricht, die nicht einmal zwingend etwas mit dem Inhalt des ursprünglichen Beitrags zu tun haben muss. Die Grammatik ist bei solchen Bots meist gut, die Semantik allerdings schlechter. Dann führt der Bot die Leser noch über einen verschlüsselten Link zu einer Telegram-Gruppe, dem Hort der Desinformation.
Russland kann in Österreich aber auch auf echte Menschen bauen, die ohne Programmierung als Sprachrohr dienen. Die extremistische Neue Rechte ist in Österreich besonders russlandfreundlich. Das liegt vor allem an zwei wichtigen Proponenten: Martin Sellner, lange prägendes Gesicht der Identitären Bewegung, und Alexander Markovics, früherer Kopf hinter der rechtsextremen Gruppierung. Beide sind Fans des ehemaligen Putin-Ideologen Alexander Dugin, dessen Tochter im Sommer 2022 durch eine Autobombe getötet wurde. Auf einem Alternativmedium gab Sellner im November 2022 eines der Narrative Russlands ungefiltert weiter: jenes der minderwertigen, unterentwickelten und korrupten Ukraine, die die Unterstützung Europas nicht verdient. Sellner versucht diese krude Theorie unter anderem in Sätze wie diese zu verpacken: Man sehe „das ukrainische Volk in einer noch nicht abgeschlossenen Ethnogenese“.
In einer liberalen Demokratie stößt der Kampf gegen Fake News da an die Grenze, wo die Meinungsfreiheit beginnt – und die sollte möglichst weit gefasst sein. Ein wie auch immer geartetes Wahrheitsministerium, das schädliche Meldungen ausfiltert, steht in liberalen Gesellschaften auf grundrechtlich unsicherem Terrain. Wie kann sich eine europäische Behörde anmaßen, zu entscheiden, was wahr ist und was nicht? Diese Frage ist keineswegs trivial.
Ungefilterter Content auf TikTok
Im Fokus der Abwehr von Fake News steht deshalb nicht der Wahrheitsgehalt, sondern der Manipulationsgehalt von Informationen, im Fachjargon „Foreign Information Manipulative Interfering“ (FIMI) genannt. Ein EU-Experte beschreibt den schmalen Grat, auf dem die Fake-News-Bekämpfer wandeln, anhand eines Beispiels: „Wenn es jemanden gibt, der Putin toll und den Krieg in der Ukraine gerechtfertigt findet, muss das eine Demokratie aushalten. Aber wenn das durch 10.000 Trolle verstärkt wird, haben wir ein Problem.“ Gefährlich ist per se also nicht die bloße Meinung, sondern die manipulative Praktik dahinter, die darauf abzielt, ihr illegitime Geltung und Resonanz zu verschaffen.
Viele Eltern verfolgen bange, dass ihre Kinder stundenlang auf Apps wie TikTok surfen und da völlig ungefiltert Content aller Art konsumieren. Hans Wallage, Forscher des niederländischen Center for Information and Documentation on Israel, sagt gegenüber der Jewish Telegraphic Agency, der plötzliche Anstieg der Zahl gewalttätiger Vorfälle gegen Juden an niederländischen Schulen sei auf den Hass und Fake News in den sozialen Medien zurückzuführen. Kinder würden nicht filtern, was sie an Beiträgen teilten, „sie teilen einfach alles“. Die Postings mit Falschnachrichten bis hin zu Fake News zum Nahost-Krieg kommen auch in Österreich an. Nach dem Terrorangriff der Hamas stieg die Anzahl antisemitischer Vorfälle in Schulen.
Vor allem junge Menschen nutzen Social-Media-Plattformen, auf denen Fake News sehr schnell viral gehen können. Eine Analyse des „Digital News Report“ 2023 des Reuters Instituts ergab, dass 61 Prozent der 18- bis 24-Jährigen in Österreich – sofern sie Internet haben – YouTube nutzen. Mehr als jede zweite Person dieser Gruppe nutzt Instagram, 31 Prozent TikTok. Es wäre aber ein Trugschluss, zu glauben, dass Fake News nur ein Problem der jüngeren Generation sind. Desinformation lässt sich auch auf Facebook oder WhatsApp leicht verbreiten. Eine Umfrage des Market Instituts ergab zuletzt, dass sich vor allem die Altersgruppe 50 plus kaum von Fake News bedroht fühlt – womit das Risiko steigt, dass sie darauf hineinfällt.
Desinformation ohne geopolitische Hintergedanken ist in Österreich – noch – vergleichsweise selten. Als Alexander Van der Bellen 2016 für das Amt des Bundespräsidenten kandidierte, verbreitete eine Plattform aus Deutschland das perfide Gerücht, er sei an Krebs erkrankt. Der – falsche – Beweis ist nach wie vor online, es handelt sich um eine mysteriöse „Anregung auf Sachwalterschaft“ an ein Wiener Bezirksgericht. Van der Bellen sah sich gezwungen, Befunde öffentlich zu machen. Der prominente Mediziner Christoph Zielinski teilte öffentlich die unzweideutige Diagnose: „Der ist super beinand.“ Auch Deepfakes, mit künstlicher Intelligenz erstellte oder manipulierte Videos, sind hierzulande noch sehr schlecht gemacht.
Demo in Madrid
Das Foto zeigt eigentlich eine Demonstration für die Unabhängigkeit Kataloniens, wurde jedoch in einem falschen Kontext neu gepostet und soll eine propalästinensische Kundgebung zeigen.
Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig allerdings machte im Sommer 2022 unliebsame Bekanntschaft mit einem täuschend echten Videoanruf. Am anderen Ende der Bildleitung war, wie Ludwig zunächst glaubte, der Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko. Der Anruf stellte sich erst nachträglich als Fake heraus, auch andere Politiker waren darauf hineingefallen. Ein prorussisches Komiker-Duo bekannte sich dazu und könnte alte Videoausschnitte von Klitschko manipuliert haben. „Leider wurde festgestellt, dass zum damaligen Zeitpunkt keine Technologien zur Verfügung standen, die den Fake hätten erkennen können“, heißt es heute aus dem Rathaus, man habe aber daraus gelernt.
Wenn Fake News immer realistischer und schneller verfügbar werden, können Richtigstellungen allein sie unmöglich einholen. Die Lösung liegt womöglich direkt bei den Empfängern dieser Nachrichten. Eine Studie der US-amerikanischen Universität Stanford zeigt, dass im Vergleich zu den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2016 bei den darauffolgenden Wahlen 2020 ein viel geringerer Teil der Amerikaner auf Websites klickte, die irreführende oder falsche Inhalte enthielten. Der Anteil derjenigen, die auf solchen dubiosen Sites landeten, sank recht deutlich von 44 auf 26 Prozent.
Die künstliche Intelligenz, mit der Fake News produziert werden, lernt dazu, aber die gute Nachricht ist: die menschliche auch.
Iris Bonavida
ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.
Edith Meinhart
war von 1998 bis 2024 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges.
Robert Treichler
Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur