Gesellschaft

Trostlaster Alkohol: Wie man richtig trinkt, was Auszeiten bewirken

Österreich ist und bleibt ein Land der Trinker - trotz marginaler Entwarnung anlässlich des neuen Drogenberichts. Wie trinkt man mit Stil und medizinisch verträglich? Ab wann rutscht der Konsum in die Problemzone?

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Alkohol ist in Österreich eine Kulturdroge und salonfähiges Laster. Mit einem legendären Zitat des Wiener Alt-Bürgermeisters Michael Häupl-"Man bringe den Spritzwein!"-werden in Wiener Souvenirläden inzwischen Schneidbrettchen verkauft. Bundeskanzler Karl Nehammer erregte kurzfristig die Öffentlichkeit, als er im vergangenen Sommer am ÖVP-Parteitag in Alpbach sich am Rednerpult in etwas tollpatschiger Lässigkeit übte und meinte, dass einem, wenn man den Inflationszahlen nicht gegensteuere, nur mehr die Wahl zwischen "Alkohol und Psychopharmaka" bleibe. Mit oder ohne Inflation, Pandemie, Existenzstress und Verunsicherung: Österreich ist und bleibt im EU-Vergleich ein "Hochkonsumland", was seine Trinkkultur betrifft, wie der Psychologe Martin Busch kürzlich anlässlich der Präsentation des Drogenberichts 2022 in einem Pressegespräch feststellte, "nicht absolute Spitze, aber im oberen Drittel".

Denn in Österreich gilt Alkohol als soziales Gleitmittel. Die Perlenreihe exzessiv trinkender und oft tragisch geendeter Genies ist lang: Helmut Qualtinger, Joseph Roth, Oskar Werner, Falco, Franz West, Werner Schwab (sein Stück "Volksvernichtung" trägt den Untertitel "Meine Leber ist sinnlos").Und Anlässe, um zu trinken, gibt es ohne Ende: Egal ob am Opernball, beim Heurigen, auf Kirtagen, Geburtstagsfeiern, Jubiläen, Afterwork-Clubbings, Betriebsfeiern, am Würstelstand, auf Skihütten oder beim Leichenschmaus: Dieses Land ist "ein einziges Riesenwirtshaus",wie es Michael Musalek, ärztlicher Leiter des Anton-Proksch-Instituts, formuliert.

Fazit der 225 Seiten starken Sucht-Diagnose der Republik: Ein marginaler Rückgang auf 11,3 Liter pro Kopf Jahreskonsum reinen Alkohols im Vergleich zum Jahr 2019( laut Statista 2023 11,9 Liter pro Person),kein statistisch messbarer Anstieg der Intensivierung der Trinkgewohnheiten während der Pandemie in der Gesamtbevölkerung, wobei Männer um die 50 insgesamt die anfälligste Gruppe präsentierten. Während Hardcore-Konsum unter Teenagern abnahm (nur bei drei bis sechs Prozent der Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren),verlagerte sich die substanzbeflügelte Entspannung bei jungen Menschen in Richtung Cannabis; Kiffen als Alltagsritual beschränkte sich jedoch oft nur auf kurze Zeit. Die von Suchtkrankheiten am härtesten betroffene Altersgruppe stellen die 35-bis 64-Jährigen. Es sind mehr als doppelt so viele wie im Alterssegment der 25-bis 34-Jährigen. Insgesamt sehen 15 Prozent der Bevölkerung zu oft und zu tief ins Glas. Bei Männern wird eine Menge ab 60 Gramm Reinalkohol täglich als problematisch betrachtet, bei Frauen sind es 40 Gramm. Frauen haben, auch im Zuge der Doppelund Dreifachbelastung mit Haushalt, Beruf und Homeschooling während der Lockdowns, beim Trinken als Funktion des Trostlasters und Stressabbau-Helfers kräftig aufgeholt.

KEINE PRÄVENTION

Gabriele Fischer, Psychiaterin und Suchtspezialistin, kritisiert, dass ein aktueller Suchtplan in Österreich fehlt.
 

Die Jubelmeldungen in den Boulevardmedien wie "Österreicher trinken immer weniger Alkohol" ("heute") am vergangenen Wochenende entkräftet Gabriele Fischer, Psychiaterin und Leiterin der Drogenambulanz und Suchtforschung an der Wiener Universitätsklinik. "Es ist ein marginaler Rückgang an Alkoholkonsum. Außerdem: Wir verfügen über keine seriösen Daten, nur über Schätzwerte. Es existiert auch keine evidenzbasierte Forschung, was den tatsächlichen Konsum von Alkohol betrifft." Österreich sei, "eines von zwei EU-Ländern, das keinen aktuellen nationalen Suchtplan besitzt. Der letzte und somit veraltete Präventionsplan stammt aus dem Jahr 2016. Und dementsprechend gibt es keine Strategien, um strukturiert vorzubeugen."

In skandinavischen Ländern etwa existieren bereits Präventionskonzepte für Familien, in denen eine genetische Vorbelastung zu beobachten ist. "Wir gehen davon aus, dass das Suchterkrankungsrisiko, beispielsweise durch einen alkoholerkrankten Elternteil, um 30 Prozent erhöht ist",so Fischer. "Es ist zu vergleichen mit Brustkrebs. Wenn ein Fall innerhalb der Familie aufgetreten ist, braucht es engmaschigere Kontrollen."In Ländern, wo früh, also schon in Kindergärten und Schulen, gesunde Lebensstilkonzepte, was Ernährung und Bewegung betrifft, propagiert werden, schlägt sich das auch positiv auf das nationale Suchtverhalten nieder.

Häufig steigere sich der Alkoholkonsum bei Menschen, die dadurch andere psychiatrische Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen "lindern" wollen: "Unsere Versorgung basiert viel zu sehr auf einer Kurativmedizin", kritisiert Fischer. "Erst wenn etwas ausgebrochen ist, wird gehandelt."Niedrigschwellige Anlaufstellen seien dringend gefragt: "Derzeit muss man, wenn man Hilfe möchte, in einem Reha-Zentrum vorstellig werden, um seine Motivation deutlich zu machen. Und später zu einer Clearingstelle, um die Bedürftigkeit überprüfen zu lassen. Wartelisten sind meiner Meinung nach sowieso menschenrechtswidrig",so Fischer.

Zwischen Alkoholismus und regelmäßigem Konsum liegen noch einige Etappen. Radikale Schnitte für ein Leben in der Askese, wie sie der Schauspieler Erwin Steinhauer (siehe Interview) oder der deutsche Theater-und Filmregisseur Leander Haußmann setzten, beide jahrzehntelang äußerst trinkfreudig, kommen in einer gewissen Altersperiode, wo sich auch gesundheitliche Konsequenzen bemerkbar machen, oft vor. Haußmann, 63, erzählte in einem Interview, dass er nach 40 Jahren kräftigen Konsums des "lebensbejahenden Elixiers" während einer Kinopremiere in sein schnell geleertes Glas blickte und ihm in dem Moment der Gedanke kam, dass ihn die Möglichkeit eines Rausches eigentlich "langweilte".Ungeschönte Suchtprotokolle in Buchform wie "Trinkerbelle" von der deutschen Schauspielerin Mimi Fiedler oder der Instagram-Account "Sober Celebs" (Nüchterne Stars), wo Idole wie Brad Pitt, Denzel Washington und Bradley Cooper von ihren Alkoholläuterungen berichten, dezimieren zusätzlich den Coolnessfaktor von exzessiven Trinkgelagen, wie sie gegen Ende des 20. Jahrhunderts in der Kunstszene, besonders in Wien, zum guten Ton gehörten.

Um die Gratwanderung zwischen Hedonismus und der Vermeidung von Selbstschädigung hinzukriegen, riet der Künstler Hermann Nitsch, dessen Orgien-und Mysterientheater auf Rausch und Ekstase basierte, in einem profil-Interview zur Kultivierung der nötigen Selbstbeherrschung: "Lustgewinn und Zerstörung liegen oft nahe beieinander. Aber geregelte Räusche und Alkohol in Maßen beleben unsere Sinne und unser Vorstellungsvermögen. Dann fühlt man sich im Ganzen der Schöpfung geborgen!"

Indizien, dass man in die Problemzone schlittert, ist "Daydrinking",wie ein Song der Band Bilderbuch heißt: Alkohol in der regelmäßigen Funktion des Angstzersetzers und Stressabbauers. Dazu der kontinuierlich gebrochene Vorsatz: Ab morgen höre ich für die nächsten Wochen auf. Die Spezies der "funktionierenden Alkoholiker",also Menschen, die einen gewissen Spiegel brauchen, um ihren Alltag bewältigen zu können, bleibt oft unentdeckt, wie der Modedesigner Tom Ford, lange Mitglied in diesem Club, bekennt: "Ich habe Jahre so auf hohem Niveau funktioniert( ) Seitdem ich nicht mehr trinke, tue ich mir schwer, abzuschalten. Alkohol half mir beim Stressabbau." Binge-Trinker (auch Quartalsäufer genannt) fliegen schneller auf, weil sie sich phasenweise wirklich abschießen, um dann wieder abstinent zu leben, ein weitverbreitetes Phänomen unter Börsen-Brokern.

In einem katholisch geprägten Land wie Österreich wird die Fastenzeit zwischen Aschermittwoch und Karsamstag oft zur Alkohol-,Zucker-und Fleischfreiheit genutzt. Unter urbanen Hipstern läuft der "Dry January",ursprünglich eine Aktion der britischen Gesundheitsbehörde aus den 2010er-Jahren, als eine Form der Selbstoptimierung mit immer höherer Breitenwirkung. Laut Experten ist diese Form des mehrwöchigen Trockentrainings, genauso wie zwei, drei alkoholfreie Tage pro Woche, durchaus anzuraten. Die Leber und das Herz-Kreislauf-System können sich erholen, und auch die Psyche wird disziplinierter: Laut einer Studie an der University of Sussex gaben 80 Prozent der Probanden an, nach dem trockenen Jänner "wieder vermehrt Kontrolle über ihren Konsum zu haben".

Die in Mexiko geborene Amerikanerin Nora Volkow, eine der weltweit führenden Suchtforscherinnen, erklärte im Wiener Café Central, dem Stammcafé ihres Großvaters Leo Trotzki, im profil-Interview, dass es völlig in Ordnung sei, moderat Alkohol zu konsumieren, da dieser auch helfe, "sich von Druck und gesundheitszersetzendem Stress zu befreien". Es gebe Untersuchungen, "dass Menschen, die gar keinen Alkohol konsumierten, weniger gute Leistungen vorzuweisen hatten als solche, die in überschaubaren Mengen tranken".Sehr beruhigend. Also ja zum Lotterleben, allerdings nur in Intervallen und Mikrodosierung.

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort