Trust the process: Warum die US-Wahl in Philadelphia entschieden wurde

Was Rocky, die Philadelphia 76ers und das Philly Cheesesteak mit der Abwahl von Donald Trump zu tun haben.

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Den ganzen Abend war es ein ständiges Hin und Her zwischen den beiden Basketballteams. Kurz vor Schluß bäumt sich Kyle Lowry von den Toronto Rapters noch einmal auf und versucht den Ball im gegnerischen Korb zu versenken. Doch da steigt Joel Embiid, Star der Philadelphia 76ers, in die Höhe und blockt seinen Gegenspieler. Kurz darauf verwertet Embiid zwei Freiwürfe und sichert seiner Mannschaft den Sieg. Da sind die 20.000 Zuseher schon von ihren Sitzen aufgestanden, rufen "Trust the process" durch die Halle und feiern ihren Star. "Trust the process": Habt Geduld und vertraut auf den Prozess. Das war im Jänner 2017 und "Trust the process" wurde in den Jahren darauf zum Leitspruch in Philadelphia, um die Basketballmannschaft der Stadt aus dem Tabellenkeller rauszuholen und in einen Titelanwärter zu verwandeln. Mit Erfolg. Zuletzt haben sich die "Sixers" regelmäßig für die Play-Offs der NBA-Basketballmeisterschaft qualifiziert. 

"Trust the process" appelierte auch "President elect" Joe Biden an seine Anhänger, als Tage nach der US-Präsidentschaftswahl die Stimmen weiterhin ausgezählt wurden und das Rennen um die Präsidentschaft immer enger wurde. Doch als am Samstag gegen Mittag lokaler Zeit eine weitere Tranche an Briefstimmen aus Philadelphia bekannt gegeben worden war, wurde klar, dass Biden im Bundesstaat Pennsylvania nicht mehr einzuholen ist und damit die Wahl gewonnen hat. Das Vertrauen wurde belohnt, tausende Menschen strömten in Philadelphia auf die Straße und feierten den Sieg von Joe Biden als ob die 76ers gerade die Meisterschaft gewonnen hätten. "Philadelphia: Die Stadt, die Trump gefeuert hat" schrieb daraufhin "Die Zeit". CNN verwies auf die Geschichte der 1,6-Millionen-Einwohner-Stadt, in der 1776 die amerikanische Unabhängigkeit verkündet und die demokratische Verfassung beschlossen wurde. Eine Nachahmung der "Liberty Bell", jene Glocke, die bei der Erklärung der Unabhängigkeit im Einsatz war und in Philadelphia ausgestellt ist, läutet jedes Jahr den Saisonbeginn der 76ers ein.

Philadelphia, das ist aber auch die Stadt des Boxers "Rocky Ballboa". 1976, zweihundert Jahre nach der Unabhängigkeit, schuf Sylvester Stallone die Filmfigur, die im Kapuzenpullover durch die Straßen der Stadt rennt, um sich als schüchterner, aber hart arbeitender Underdog auf einen Weltmeisterkampf gegen den glamourösen Champion Apollo Creed vorzubereiten. Für Touristen der Stadt ist es heute noch ein Fixpunkt, wie Rocky im Film die Stufen  des "Philadelphia Museum of Art" hinaufzulaufen und wie ein Champion die Arme in die Höhe zu reißen und auf die Stadt zu blicken. Ob Joe Biden dies demnächst ebenfalls tun wird, ist nicht bekannt. Rockys Motto - "It's not over until it's over" - dürfte Biden in den Tagen nach der Wahl jedenfalls öfters in den Sinn gekommen sein.

Doch ganz vorbei ist es tatsächlich noch nicht: Donald Trump und viele Republikaner haben die Wahlniederlage nach wie vor nicht anerkannt und sich Philadelphia als Zielscheibe ausgesucht. Der republikanische Senator Lindsey Graham bezeichnete die Wahl in der Stadt "crooked like a snake"  - krumm bzw. betrügerisch wie eine Schlange. Der konservative Senator Ted Cruz bezeichnete Philadelphia, die Stadt liegt auf halbem Weg zwischen New York City und Washington D.C., als "the worst in the country" (Die Schlimmsten im Land). Und ein weiterer Trump-Vertrauter kündigte laut "The Atlantic" sogar an, gegen Philadelphia in den Krieg ziehen zu wollen: "I am going to Philly tomorrow. This is war."

Knapp 250 Jahre nach der Unabhängigkeit steht die Stadt also wieder im Zentrum der politischen Auseinandersetzung. Der "Process" der US-Wahl wird noch ein paar Wochen bis zur Amtseinführung am 20.Jänner dauern. Am Ende dürfte sich am Sieg von Joe Biden aber nichts ändern. Die Einwohner der Stadt sind es gewöhnt, dass die Dinge Zeit brauchen und "messy" (schmutzig/verfahren) sind, wie Joe Biden den demokratischen Prozess in einer Rede nach der Wahl nannte. Der Käse ist wohl gegessen. Oder besser gesagt: das Philly Cheesesteak. Denn die Sandwich-Spezialität der Stadt passt genau zu dieser Wahl: Vollgepackt mit Fleisch und Käse droht es ständig aus dem Sandwich zu laufen und Unordnung zu schaffen. Am Ende, leicht angepatzt, bekommt man das Brötchen aber doch noch unter Kontrolle, lehnt sich nach dem Verspeisen zufrieden zurück und atmet kurz durch. Trust the process eben.