Stefan Grissemann

Stefan Grissemann Hakenkreuzgang

Hakenkreuzgang

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Die ungeahnt heftig geführte Debatte über „Im Keller“, den neuen Film des Regisseurs Ulrich Seidl, hat sehr alte Fragen wieder aufgeworfen: Wie „inszeniert“ darf ein Dokumentarfilm aussehen, um als „wahr“ begriffen zu werden? Müssen Dokumentaristen persönlich eingreifen in die Bilder, die sie machen? Und beutet Seidl die Menschen aus, die er vor seine Kamera setzt? Das Gros der hiesigen Journalisten, die sich zu „Im Keller“ bislang zu Wort gemeldet haben, wollte den Film selbst gar nicht sehen; man kenne ja Trailer und Fotos, das genügte offenbar, um die Affäre einwandfrei einschätzen zu können. Bei aller Redundanz hat diese Auseinandersetzung kulturell dennoch ihr Gutes: Wann wurde über einen österreichischen Film zuletzt derart erhitzt diskutiert?

Einer der Hauptblöcke des Seidl-Pandämoniums „Im Keller“ kreist um einen Stoiker namens Josef Ochs, der in seinem Haus in der burgenländischen 2000-Seelen-Gemeinde Marz lebt. Der Mann spricht intensiv dem Alkohol zu und musiziert im Souterrain gern mit seinen Blasinstrumenten. In einer 320 Quadratmeter großen Kellerlandschaft, vollgeräumt mit historischen Bildern und Objekten, halte er sich am liebsten auf, teilt der Hausherr mit. Sehr bald lüftet Seidl aber den Schleier über dieser so gemütlichen Existenz: Ochs sammelt vor allem NS-Devotionalien, hat einzelne Kellerräume geradezu gepflastert mit Hitler-Bildern, Hakenkreuzflaggen und lebensgroßen Nazi-Puppen. Mit ernsthafter Freude erzählt er, dass er am liebsten in Berchtesgaden Urlaub mache, auf den Spuren des „Führers“ selbstverständlich, und wie er an sein großformatiges Hitler-Gemälde gekommen sei („das schönste Hochzeitsgeschenk, das ich bekommen hab“). Er sei zwar „registriert“, erklärt er kühl, die Polizei habe ihn im Visier, aber das scheint ihn so wenig zu stören wie seine Freunde von der örtlichen Blaskapelle, die im Nazi-Keller gesellig Unsinn reden und nicht zu knapp Schnaps zu sich nehmen.

Als der Film vor gut vier Wochen beim Filmfest in Venedig, Jahre nach dem Dreh dieser Szenen, seine Uraufführung erlebte, deutete nichts auf jenes politische und ästhetische Nachspiel hin, das sich in den vergangenen Tagen entwickelt hat: Zwei der vier Trinkkumpanen des NS-Nostalgikers Ochs waren, wie ein Team des Privatsenders Puls 4 recherchierte, inzwischen zu ÖVP-Gemeinderäten aufgestiegen – und mussten auf Druck der Partei, die ein derart lockeres Verhältnis zu den Insignien des Hitlerterrors naturgemäß nicht hinnehmen konnte, ihre politischen Funktionen zurücklegen. Verärgert verlautbarten die beiden, dass die Szene nicht „authentisch“ sei, man sei von Seidl hereingelegt, als bezahlte „Statisten“ missbraucht worden.
Nun muss man schon sehr medienfremd sein, um noch an die reine Authentizität des Dokumentarfilms glauben zu können. Man kann Filme, fiktional oder nicht, grundsätzlich nicht machen, ohne Entscheidungen zu treffen, bestimmte Aspekte zu betonen und andere wegzulassen. Seidl hat hier, wie stets, eine sehr reale Situation für seine Kamera eingerichtet, die sich so oder ganz ähnlich unzählige Male auch ohne Kamera ereignet hat. Diese Methode kann man übrigens dieser Tage in Constantin Wulffs – noch vor dem aktuellen Eklat fertiggestellten – Dokumentarfilm, genannt „Ulrich Seidl und die bösen Buben“, im Detail studieren.

An der Konfusion, die sich in der Frage, ob Seidl „die Wirklichkeit“ zeige oder bloß verfremde, eingestellt hat, ist der Regisseur selbst nicht unschuldig. Denn sein Werk teilt sich zwar in Spielfilme („Hundstage“, „Import Export“, die „Paradies“-Trilogie) und dokumentarische Arbeiten („Der Busenfreund“, „Jesus, Du weißt“) – aber die Grenzen zwischen diesen Kategorien verwischt der Filmemacher seit Jahrzehnten absichtsvoll. Seine der Form nach „fiktionalen“ Werke wurzeln in einem sehr speziellen Naturalismus (Originalschauplätze, Selbstdarstellung, Improvisation), während seine Dokumentarfilme mit der Stilisierung künstlich komponierter Einstellungen flirten, das „Gemachte“ ihrer Entstehung betonen, mit der Illusion des „zufällig Eingefangenen“ brechen. Erlogen sind sie deshalb nicht.

Die Männer im Nazikeller erhielten, wie alle anderen auch, die in „Im Keller“ auftreten, eine Art Spesenersatz, was sie noch nicht zu Schauspielern macht und an der Richtigkeit der Szene nichts ändert. Es wäre ganz falsch, in Seidl einen Regisseur zu sehen, der Menschen und Situationen aus ihren Zusammenhängen reißen, gar seinen Figuren unrecht tun wollte. Der Moralist (und Realist) in Ulrich Seidl ist viel zu stark, um zur bloßen Fantasterei zu neigen. Er spitzt zu, überhöht die Dinge, oft durchaus in der Absicht, den beklemmenden Witz, der sich auch im Abgründigen und Todtraurigen findet, wachzurufen; Seidl entstellt zur Kenntlichkeit. Er dichtet nicht, er verdichtet. Ihm zu unterstellen, er lüge oder fälsche, nur weil er, wie alle Künstler, versucht, eine Art Destillat des Realen anzufertigen, eben die Essenz dessen, was ihm die Menschen, die er in ihren Lebensräumen filmt, an Geschichten und Weltbildern bieten, geht entschieden zu weit.

„Im Keller“ läuft seit Freitag vergangener Woche österreichweit im Kino.

„Ulrich Seidl und die bösen Buben“: Matinee im Stadtkino im Künstlerhaus, 28.9., 12 Uhr; am 29.9. ist dieser Film ab 23.15 Uhr auf ORF 2 zu sehen.

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