Unerfüllter Kinderwunsch: Mamacholie
Der Satz, der die 39-jährige Wiener Pharmazeutin verlässlich auf die Palme bringt, lautet: "Du musst dich einfach nur entspannen!" Wie soll sich ein Mensch nach drei Fehlgeburten, der Investition Tausender Euros für gescheiterte IVF-Versuche und einem täglichen Pensum von bis zu elf Medikamenten plus vier Injektionen für Hormontherapien entspannen? Die Beziehung mit ihrem Ehemann hat dieses inzwischen fünfjährige Martyrium natürlich strapaziert. Wenn sexuelle Begegnungen unter dem Diktat des Eisprungs zu passieren haben, ist das oft der Einstieg in ein Szenario, in dem sich Hoffnung, Enttäuschungen, Schuldgefühle, Frustration und auch Wut über die dauernde Ungewissheit zu einem Gefühl des "sich sukzessive Kaputtmachens" verdichten: "Keiner konnte uns sagen, warum es nicht klappte. Ich befand mich in einem Gefühl der völligen Ohnmacht, denn ich wusste: Weder mit Disziplin noch mit Fleiß kann ich dieses Hindernis überwinden. "Inzwischen hat sie die Therapien eingestellt ("Ich wollte einfach wieder meinen Körper zurückhaben!")und sich mit ihrem Partner für ein Pflegekind angemeldet: "Bei Adoptionen kommen angeblich 70 Anmeldungen auf ein Kind, bei Pflegekindern sind die Chancen weit größer. Ich habe es einfach nicht mehr ausgehalten, dass sich mein ganzes Leben um diese nicht stattfindende Schwangerschaft drehte-auch aus feministischer Perspektive."
Als die Schauspielerin Jennifer Aniston, 53, kürzlich in der finalen Print-Ausgabe des Kosmetikmagazins "Allure" den jahrzehntelangen Leidensweg offenbarte, den ihr Kinderwunsch ihr abverlangt hatte, erging man sich an der globalen Bassena der sozialen Medien in Wogen des Mitgefühls. Die "New York Times" hatte sich schon drei Jahre zuvor die Mühe gemacht, sämtliche Fehlermeldungen bezüglich der Schwangerschaften der "Friends"-Ikone aufzulisten: Begleitet von Fake-Schlagzeilen in Medien wie "OK!" und "InTouch" ("Endlich wird mein Traum wahr" oder "Ich könnte nicht glücklicher sein!") hätte die Schauspielerin, so rechnete die "New York Times", "seit 2013 ungefähr zwei Dutzend Babys zur Welt bringen müssen, allein das Tabloid 'OK!' vermeldete 15 Kinder, davon zwei Sets von Zwillingen."
Unter den Argusaugen der gesamten Welt mit einem unproduktiven Uterus ausgestattet zu sein, erleichtert wahrscheinlich den Prozess des Älterwerdens. Denn im Schatten der Menopause hören endlich diese Fragen auf, die von Mangel an Mitgefühl oder nur blanker Taktlosigkeit zeugen. Und die vorrangig Frauen gestellt werden, die in jene Lebensphase gleiten, in der der Sound der biologischen Uhr immer lauter wird: "Wann ist es denn so weit?!", "Du solltest dich sputen!", "Bastelt ihr eigentlich schon?" Aniston, "die bekannteste kinderlose Single-Frau der Welt" (so die "New York Times"), hatte schon 2016 in der "Huffington Post" ihrer Wut Luft gemacht: "Ich habe es einfach satt, dass der Wert einer Frau auch heute noch vor allem über ihren Kinder-und Familienstand definiert wird. Ich bin auch so ein vollständiger Mensch." In dem aktuellen Interview formulierte sie es noch drastischer: "Ich bin deswegen durch einen Haufen Shit gegangen - vor allem in meinen Dreißigern und Vierzigern. Ich war so verängstigt, so verunsichert, so nervös und hatte keine Ahnung, wer ich eigentlich war. Jetzt ist das Schiff abgefahren."
"Mutterschaft ist heute eine Form der Sklaverei." Simone de Beauvoir, ("Das andere Geschlecht",1949)
Das noch immer häufig mit Scham- und Schuldgefühlen seitens der Betroffenen belegte Tabuthema der kinderlosen Frau machte sich nach Anistons Bekenntnis quer durch alle Lager und Generationen viral breit - weltweit. Denn nicht nur der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan sieht weibliches Leben ohne Kinder als "Verleugnung der eigenen Weiblichkeit" und "Verrat an der Nation"; solche Gesellschaftskonzepte spuken sehr häufig in den Köpfen rechtspopulistischer und ultrakonservativer Politikerinnen und Politiker.
Während Männer, die laut den Statistiken von Kinderwunschzentren weit häufiger die Reproduktion erschweren (meist durch schlechte Spermienqualität), wenig oder gar keinen Rechtfertigungsdruck erfahren, ist das bei Frauen völlig anders. Die deutsche Psychologin Christiane Spiel bilanzierte in ihrem Buch "Leben ohne Kinder": "Viele Frauen empfinden ihre Lebensform als gesellschaftlich diskreditiert und haben große Schwierigkeiten, die Ursachen ihrer Kinderlosigkeit überhaupt zu artikulieren."
Unerfüllter Gesprächsbedarf auf dem hindernisreichen Weg zu ihrer heute dreijährigen Tochter (nach dem dritten IVF-Versuch) bewirkte bei der früheren Journalistin Nina Bayer, 45, die inzwischen als Lebensberaterin mit Spezialgebiet Kinderwunsch arbeitet, den Berufswechsel: "Ich fühlte mich während der vielen Schicksalsschläge, unter anderem eine Eileiterschwangerschaft mit Not-OP, oft sehr allein gelassen und hätte Rat und einen Erfahrungsaustausch dringend gebraucht. Allen Paaren, die sich quälen, kann ich nur empfehlen, viel früher ein Kinderwunsch-Zentrum zu kontaktieren. So hätte ich mir viel erspart."
Ich habe es einfach satt, dass der Wert einer Frau auch heute noch vor allem über ihren Kinder- und Familienstand definiert wird.
Dass Schwangerschaften, vor allem bei älteren Paaren, häufig überhaupt nur mithilfe von Hormonbehandlungen und IVF-Prozeduren entstehen, liegt an simplen medizinischen Voraussetzungen. Das Durchschnittsalter der Erstgebärenden liegt in Österreich inzwischen bei 31,5 Jahren. Ab dem 30. Lebensjahr nimmt die Reproduktionsfähigkeit bei Frauen allerdings stetig ab; ab dem 40. Lebensjahr erleidet die DNA in den Spermienköpfen des Mannes spürbare Schäden. Das Durchschnittsalter von Erstvätern ist inzwischen freilich auf 34,6 Jahre gestiegen. Kinderzahl und Bildungsniveau der Mütter stehen in einem engen Zusammenhang: Bei Akademikerinnen ist das Phänomen der Kinderlosigkeit rund vier Mal so hoch wie bei Frauen mit niedrigem Bildungsniveau. Karriere und Familie gelten auch im 21. Jahrhundert noch immer als unüberbrückbarer Widerspruch.
Doch eine Facette wird in der von Aniston getriggerten Debatte noch völlig ausgeklammert, wahrscheinlich weil sie gesellschaftlich das größte Unbehagen hervorruft: die von Frauen gewollte Kinderlosigkeit, die gemeinhin mit Klischee-Attributen wie gefühlskalt, egoistisch oder karrieregetrieben assoziiert wird. Simone de Beauvoir gilt wohl als bekannteste Nichtmutter aus Überzeugung. Der Satz "Mutterschaft ist heute eine wahre Form der Sklaverei" in ihrem bahnbrechenden Feminismus-Grundlagenwerk "Das andere Geschlecht" aus dem Jahr 1949 wurde von vielen jungen Feministinnen wie der Britin Laurie Penny oder auch der heute 80-jährigen Beauvoir-Schülerin Alice Schwarzer nahtlos in den Glaubenskatalog übernommen.
Im krassen Gegensatz dazu wird in den sozialen Medien, von Rihanna und den Kardashians abwärts, ein exzessiver Mutterschaftskult gefeiert. Von Alice Schwarzer sind zu diesem Gegensatz erstaunlich beschwichtigende Worte zu hören: "Wir müssen uns dringend eine gesellschaftliche Spaltung in Mütter und Nichtmütter verbieten!" Zu Recht. Denn profitieren würden davon nur die Männer.