Kamila Horvath-Karwas in weißem Schutzanzug und mit Atemschutzmaske reinigt zu Demonstrationszwecken die Holzdielen auf denen längere Zeit ein Toter lag und dessen Reste in das Material eingesickert sind.
Reportage

Unterwegs mit den Tatortreinigern: „Gestorben wird immer“

Familie Karwas beseitigt die Reste von Verstorbenen, die zuvor oft monatelang in ihren Wohnungen lagen. profil war dabei.

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„Die brutalsten Fälle haben wir in der Steiermark. Da haben die Leute mehr Jagdgewehre. Wenn man sich damit in den Kopf schießt, bleibt davon nicht viel übrig.“ Andreas Karwas weiß, wovon er spricht, denn er putzt, was vom Menschen übrigbleibt. Mit seiner Firma hat er sich darauf spezialisiert, menschliche Rückstände zu beseitigen. Dafür ist der 62-Jährige landauf, landab unterwegs. 

Entgegen der gängigen Bezeichnung als „Tatortreiniger“, bestimmen nicht immer Verbrechen oder Suizide Karwas‘ Einsätze. Oft sind es natürliche Todesursachen, aber auch die erfordern mitunter starke Nerven.

Alt und einsam

Über 1,5 Millionen Einpersonenhaushalte zählte die Statistik Austria 2022 in Österreich. Etwa 58 Prozent mehr als im Jahr 2000. Auch das Durchschnittsalter der Österreicherinnen und Österreicher steigt. Lag es um die Jahrtausendwende noch bei 39,7 Jahren, sind es heuer schon 43,4. Übersetzt heißt das: Die Bevölkerung wird älter und einsamer.

Wo soziale und familiäre Bindungen nurmehr unregelmäßig bestehen, bleiben Krankheit und Tod oft unbemerkt. In Großstädten werden Verstorbene erst aufgefunden, wenn der Geruch in den Wohnhäusern zu stark wird. Am Land kann es mitunter noch länger dauern.

Leichen statt Stress

Ortstermin in einer kleinen Gemeinde im Burgenland. Andreas Karwas kommt mit einem unauffälligen schwarzen Peugeot, Tochter Kamila Horvath-Karwas mit einem Mittelklassewagen. Nichts deutet auf den Job der Beiden hin. „Niemand will einen Tatortreiniger vor der Türe stehen haben. Schon gar nicht im Dorf“, sagt der 1,80 Meter große Mann.

Andreas Karwas steht im Durchgangszimmer einer Wohnung, die seine Firma entrümpelt und reinigt. Der 1,80 Meter große Mann hat eine blaue Jeans und einen dreifarbigen Pulli an. Er schaut müde in die Kamera. Neben ihm liegt eine Leiter, dahinter eine Dartscheibe an der Wand. Man blickt auf eine offene Tür, dahinter die Küche.

Der stämmige Wiener versucht es seit einem Schlaganfall bedachter anzugehen. Der erste Schritt war, sich aus dem Baugewerbe zurückzuziehen. „Zu viel Stress. Noch in der Reha habe ich aber angefangen, das Reinigungsgeschäft zu planen.“ Auf die Idee brachte ihn sein Schwiegersohn, der im Rahmen seines Jus-Studiums einer Leichen-Sezierung beiwohnte. Der Professor soll dabei gesagt haben, dass Bestatter und die, die den Toten hinterherputzen, gutes Geld verdienen. Heute hat Karwas nur solche Aufträge. „Wir reinigen dort, wo es für die Angehörigen oder die Hausverwaltung zu belastend oder zu extrem ist“, erklärt Karwas sein makabres Geschäft.

Reizüberflutung

Blauer Himmel, warme Sonnenstrahlen des Frühlings, Vogelgezwitscher, die ersten Sträucher blühen. Der Wind ist noch kühl. Hinter einem Scheunentor, ein Wohnhaus. Karwas sperrt die Tür zum Wintergarten auf und führt durch einen seiner aktuellen Einsatzorte. 

Der süßliche Verwesungsgeruch fällt sofort auf, sticht aber nicht so sehr in die Nase wie erwartet. Vielmehr sorgt der Zustand der Wohnung für Reizüberflutung. Der einsam Verstorbene, der erst nach einigen Wochen Liegezeit aufgefunden wurde, war ein sogenannter Messie. Messies horten zwanghaft Dinge.

"Mehrere Fernseher, keiner funktioniert"

Kamila Horvath-Karwas hat bereits hunderte Messie-Wohnungen entrümpelt.

Die Psychotherapeutin Kerstin Karlhuber erklärte dem „Standard“ gegenüber, dass „die gesammelten Gegenstände für Betroffene oft einen unglaublichen Wert [haben], der für Außenstehende gar nicht nachvollziehbar“ sei. Kamila Horvath-Karwas hat hunderte solcher Wohnungen gesehen. „Fernseher. Die Leute haben oft vier, fünf riesige Fernseher, aber keiner funktioniert“, sagt die studierte Wirtschaftspsychologin.

Horvath-Karwas entschied sich nach ein paar Jahren in einer Beratungsfirma für den Familienbetrieb. Dabei spielt Geld eine Rolle, aber nicht nur. „Ich will nicht nur am Schreibtisch sitzen, hier kann ich mich auspowern“, sagt die 30-Jährige. Ihre berufliche Metamorphose hat sie da schon anschaulich vorgeführt. Das crèmefarbene Business-Jacquet hat sie abgelegt und die Mokassins gegen Arbeitsschuhe eingetauscht. Darüber kommt ein weißer Einweg-Schutzanzug sowie mehrere Lagen Latex-Handschuhe, die sie routiniert abklebt.

Kontrollverlust

Vorbei an Fensterbänken, auf denen tote Fliegen liegen und einer Küche, in der sich leere Dosen Rindsgulasch stapeln und vorbei an vertrockneten Maden am Boden, geht es durch das Wohnzimmer an den Sterbeort im Schlafzimmer. Wie lange genau der Mann hier lag, kann Andreas Karwas nicht sagen, doch versucht er stets, „möglichst viel über den Fall zu wissen“. Dabei geht es ihm vor allem um Krankheiten, denen er und seine Mitarbeiter ausgesetzt sind. „Und da ist Hepatitis noch eine der potenziell harmloseren Geschichten“. Im aktuellen Fall scheint alles in Ordnung gewesen zu sein, Karwas braucht nicht einmal eine Atemmaske.

Das zwanghafte Horten geht laut Experten oft mit weiteren psychischen Leiden einher, vor allem Depressionen, Ängsten und Essstörungen. Jede Ecke der Wohnung untermauert diese These. Hier wohnte jemand, der die Kontrolle verloren hat. Würden die Tatortreiniger nicht verraten, wo der Mann gelegen hat, käme jede Stelle in Frage.

Detailansicht in die Küche eines verstorbenen Zwangshorters. Leerer Teller mit Saucenanhaftungen, daneben ein Feuerzeug auf dem "Pay Life" steht.

"Pay Life"

Makabres Detail neben dem Rest der vielleicht letzten Mahlzeit.

Zusammengebrochen ist der Mann vor seinem Bett. Über längere Zeit lag er auf dem Holzboden, dessen Dielen größere Spalten haben. Leichenwasser bahnte sich seinen Weg in das Material. Kamila Horvath-Karwas demonstriert den Putzvorgang, aber das Gröbste wurde schon einige Tage zuvor beseitigt. Bald geht es an die Entrümpelung der Wohnung. Die Bodenstelle, die die Flüssigkeit aufgesogen hat, muss komplett herausgesägt und der Estrich erneuert werden. „Man muss an die Quelle“, sagt Vater Karwas. „Sonst geht der Geruch nie weg.“ Erst wenn alle Geruchsquellen beseitigt sind, lohnt es sich, Ozongeneratoren aufzustellen, die Viren und Bakterien abtöten. 

Fälle mit Kindern verarbeitet man nicht so leicht.

Andreas Karwas

Tatortreiniger

Süße Fäule, faule Süße

Mittlerweile hat sich der Geruch auch in einer ungeübten Nase festgebissen. Was zunächst wirkt, wie eine faule Süße, wird bald zu einer süßen Fäulnis. Vergleichbar mit verschimmeltem Essen, das man in manchen WG-Kühlschränken oder bei den Großeltern findet, vermischt mit menschlichen Ausscheidungen. 

Andreas Karwas macht das nichts aus. Er habe „den Magen dafür“ und kann nach der Arbeit abschalten. Trotzdem gäbe es Momente, die ihm an die Nieren gehen, sagt er mit gefasstem Blick. „Fälle mit Kindern verarbeitet man nicht so leicht.“ Tochter Kamila pflichtet ihrem Vater bei. „Voriges Jahr haben wir bei einem jugendlichen Selbstmörder den Abschiedsbrief gefunden. Man konnte sehen, wo die Tinte verlaufen war. Das waren seine Tränen.“

Es gibt viele Hilfseinrichtungen und Anlaufstellen für Menschen in akuten Krisensituationen. 

Telefonseelsorge: Tel.: 142 (Notruf), rund um die Uhr und kostenfrei
Online unter www.telefonseelsorge.at

Unter www.suizid-praevention.gv.at finden Sie weitere Notrufnummern und Erste Hilfe bei Suizidgedanken. 

Sicheres Geschäft

Dass es in Zeiten von Fachkräftemangel bei diesen Rahmenbedingungen nicht leicht ist, Personal zu finden, ist eine der größten Herausforderungen für den Chef. „Wir zahlen über Branchenniveau“ – wie viel, will er nicht preisgeben – „aber man wird als Angestellter nicht reich damit.“ Dabei ist es mit einem soliden Magen nicht getan, auch der Charakter muss gefestigt sein, erklärt der Reiniger. „Wir sind den Angehörigen und den Erben hundertprozentige Rechenschaft schuldig. Ich muss sichergehen, dass gefundene Wertgegenstände abgegeben werden.“

Doch wer wolle, der finde einen krisensicheren Job. „Die Auftragsbücher sind voll“, sagt Karwas. Denn „gestorben wird immer.“

Moritz Gross

hat im Rahmen des 360° JournalistInnen Traineeship für das Online-Ressort geschrieben.