Vergrault der ÖFB Teamchef Ralf Rangnick? „Wenn er geht, gehe ich auch“
Im ÖFB toben Machtkämpfe auf Kosten des Sports. Teamchef Ralf Rangnick will unter diesen Zuständen seinen Vertrag nicht verlängern. Starspieler um David Alaba machen nun Druck auf den Verband.
Ralf Rangnick wollte sich seinen Ärger lange nicht anmerken lassen. Doch dann platzte ihm doch der Kragen. Kurz vor dem Abflug zum Nations-League-Spiel nach Kasachstan schnaubte der Teamchef: „Man kann uns nicht für dumm verkaufen. Dafür sind die Jungs zu schlau. Dafür sind wir zu schlau.“
Lange war Rangnick gut gelaunt und hoch motiviert. Er wollte Österreichs Fußball an die Weltspitze führen. Und zugleich den verstaubten ÖFB auf Vordermann bringen. Die Euphorie ist längst verflogen. Die Nationalmannschaft spielt zwar so gut wie seit Jahrzehnten nicht mehr – doch die Machtkämpfe im ÖFB beinträchtigen Rangnicks Arbeit. Teamchef und Funktionäre verheddern sich zusehends in einem heftigen Konflikt. Nun greifen gar Starspieler wie David Alaba ein und setzen die Entscheidungsträger unter Druck. profil hat die Hintergründe recherchiert.
Die Männer im Präsidium polterten. Man rede dem Teamchef auch nicht in die Aufstellung drein. Und die Kicker sollen lieber Fußball spielen und nicht zu viel nachdenken.
Es ist erst ein paar Monate her, da fragte der „Spiegel“ Ralf Rangnick, ob er sich das DFB-Bundestraineramt vorstellen könne. Der antwortete: „Ich bin megaglücklich dort, wo ich bin.“ Sogar dem FC Bayern sagte er ab und verzichtete auf ein Zehn-Millionen-Euro-Jahresgehalt (beim ÖFB verdient er etwa ein Zehntel). „Stellen Sie sich vor, ich hätte meinen Spielern gesagt, dass ich nach der EM weg bin“, erklärte er. „Ich konnte auf keinen Fall diese EM gefährden.“ Rangnick und Österreich – das harmonierte. Beim ÖFB war von einem „Projekt 2030“ die Rede. Präsident Klaus Mitterdorfer stellte dem Teamchef Ende April via TV eine Vertragsverlängerung samt Kompetenzerweiterung in Aussicht. Doch dann? Dann gab es „fünf Monate lang zu diesem Thema keinerlei Gespräche“, sagt Rangnick.
Er sei nicht „enttäuscht oder traurig“. Von alledem habe er nie etwas gefordert. Sein einziges Ziel sei: den österreichischen Fußball nachhaltig voranzubringen. Doch da hakt es. Mehrere Personalien hängen seit Längerem in der Warteschleife. Etwa ein vakanter Team-Manager oder ein neuer U21-Trainer. Ebenso ein Engagement des Ex-Teamspielers Sebastian Prödl als Sportchef für das Nationalteam. Rangnick soll intern immer wieder beklagt haben, dass ihm das alles zu lange dauere.
Buhmann und Budget
Die Lage verschärfte sich Ende August. Da nahm Rangnick auf mehrmalige Bitten von Präsident Klaus Mitterdorfer an einem Meeting mit den ÖFB-Bossen teil. Heute bereut er das Treffen: „Im Rückblick würde ich es nicht mehr machen. Ich wäre viel lieber nicht dabei gewesen.“ Denn so geriet Rangnick zwischen die ÖFB-Fronten, weil er bei dem Treffen Kritikpunkte und Änderungswünsche ansprach. Vielen Funktionären gefiel das nicht. Sie moserten über die „Rangnick-AG“ und maßregelten den Teamchef öffentlich. Dieser habe Dinge thematisiert, „obwohl das gar nicht auf der Tagesordnung gestanden ist“, kritisierte ÖFB-Vizepräsident Johann Gartner. „Wir können nicht eine Organisation immer und immer wieder verändern. Der Verband muss betriebswirtschaftlich denken, wir sind ja nicht Red Bull.“
Laut profil-Recherchen sprengen Rangnicks Wünsche zwar nicht den finanziellen Rahmen, trotzdem geht es ums Geld. Denn von den EM-Einnahmen in Millionenhöhe und diversen Bundesförderungen wollen eben nicht nur Rangnick und das Nationalteam profitieren, sondern auch die ÖFB-Landesverbände und die Bundesliga, deren Vertreter im ÖFB-Präsidium über die Verteilung entscheiden. „Sie haben Angst, dass sie zu kurz kommen, wenn Rangnick noch mehr fordert“, erklärt ein ÖFB-Insider.
Im Präsidium ist Geschäftsführer Bernhard Neuhold bei vielen der Buhmann, weil er Geldflüsse für die Professionalisierung des Nationalteams freigab, anstatt die Landesverbände zu begünstigen. Vor wenigen Wochen wurde die Auflösung von Neuholds Dienstverhältnis beschlossen. In erster Linie, weil er und sein Geschäftsführer-Kollege Thomas Hollerer mit ihrem völlig zerrütteten Verhältnis den Verband lähmten. Doch da ist noch ein anderes Motiv. Es werde künftig auch Aufgabe des neuen Geschäftsführers sein, „die Gelder richtig zu verteilen“, erklärt ein Funktionär.
Rangnick und Starspieler wie David Alaba versuchten die Ablöse Neuholds zu verhindern. Kurz vor der entscheidenden Sitzung verschickten sie einen Brief an die Entscheidungsträger. Darin hielten sie fest, dass Neuhold „unser direkter Ansprechpartner in allen organisatorischen und finanziellen Angelegenheiten“ sei. Gerade in Hinblick auf das Ziel WM 2026 sei „Neuholds Expertise und Kompetenz unverzichtbar“. Die Männer im Präsidium polterten. Man rede dem Teamchef auch nicht in die Aufstellung drein. Und die Kicker sollen lieber Fußball spielen und nicht zu viel nachdenken.
„Im Rückblick würde ich es nicht mehr machen. Ich wäre viel lieber nicht dabei gewesen.“
Teamchef Ralf Rangnick
über ein verhängnisvolles Meeting mit dem ÖFB-Präsidium im August
Laut profil-Informationen war der Ärger unter den Nationalteam-Stars groß. Mannschaftsintern wurde beklagt, dass Amateurfunktionäre den Erfolg der besten Nationalmannschaft seit Jahrzehnten gefährden. Der Mannschaftsrat – bestehend aus David Alaba, Marcel Sabitzer, Marko Arnautović und Konrad Laimer – forderte die ÖFB-Spitze zu einer Aussprache. Es gibt Spieler, die das Thema intensiv beschäftigt, die Zeitungsartikel zu den Querelen verschlingen und die Amateurhaftigkeit nicht mehr akzeptieren wollen. Sie kritisieren nicht nur den Abgang Neuholds, sondern fürchten vor allem, dass der ÖFB Rangnick vergrault. Einige würden dann selbst an einen Rücktritt denken. „Wenn er geht, gehe ich auch“, sagt einer aus dem Nationalmannschaftskreis zu profil. „Ich will mir das nicht antun, so wie es war.“ Lange litten die mutigen Spieler unter einem Trainer, der destruktiven Fußball forcierte. Unter Rangnick wuchs das Team zu einer Einheit – auf und neben dem Platz. Früher kamen Spieler nicht immer gerne zum Team. Heute sehnen sie die Zusammenkünfte herbei. Es sei wie „in einer Familie“, betont Teamspieler Maximilian Wöber. Die Nationalmannschaft besteht aus eloquenten Spielern, die bei Weltklubs Millionen verdienen und dem ÖFB als sportliches und wirtschaftliches Zugpferd dienen. „Ich glaube, da können wir uns schon die eine oder andere Einmischung leisten“, sagt Wöber. „Wir stehen für Professionalität – und das sollte man im ganzen ÖFB durchziehen.“
Vergangenen Dienstag fand die Aussprache in Wien statt. Der verletzte Alaba war extra aus Madrid angereist. Die Stars forderten von den Funktionären mehr Professionalität. Sie waren gut vorbereitet und zeigten ihre Muskeln.
Vergangenen Dienstag fand die Aussprache in Wien statt. Der verletzte Alaba war extra aus Madrid angereist. Die Stars forderten von den Funktionären mehr Professionalität sowie den Verbleib Neuholds. Sie waren gut vorbereitet und zeigten ihre Muskeln. Laut profil-Informationen wurde im Gespräch auch ein Druckmittel ausgepackt: Alaba, Arnautović & Co. waren bislang dazu bereit, ÖFB-Sponsoren für Werbedeals weit unter ihrem Marktwert zur Verfügung zu stehen. Doch diese Vereinbarung läuft Ende des Jahres aus. Legen sich die Spieler nun quer, müsste ihnen der ÖFB entweder mehr Geld bezahlen oder finanzielle Einbußen bei seinen Sponsoren in Kauf nehmen, weil diese nicht mehr kostengünstig mit den Fußballstars werben könnten. Das dürfte den Landespräsidenten nicht schmecken. Verbucht der ÖFB geringere Einnahmen, erhalten auch die Landesverbände weniger Geld. Nach dem Treffen reagierte ÖFB-Vizepräsident Gartner auf profil-Anfrage ungewöhnlich wortkarg. Er habe die Weisung, „keine Kommunikation“ zu führen, erklärte er.
Entscheider gesucht
Ob das Muskelspiel der Kicker erfolgreich sein wird? Schwer zu sagen. Viele Baustellen klaffen im Verband. Es ist zwar eine ÖFB-Reform auf Schiene – doch diese stärkt die Macht der Landesverbände und der Bundesliga, aber nicht Rangnicks Fortschrittstrieb. Und Geschäftsführer Neuhold wurde zuletzt zwar angeboten, sich nach seinem Rauswurf (der bislang noch nicht vollzogen wurde) doch als Team-Manager zu bewerben. Neuhold ist Rangnick aber als Entscheider nützlich, nicht als Dienstmädchen. „Es geht nicht darum, ob ich oder wir irgendjemanden besonders nett oder sympathisch finden, sondern es geht ausschließlich darum, dass wir bestmögliche Arbeitsbedingungen haben“, erklärt Rangnick. „Bernhard Neuhold von heute auf morgen ersatzlos zu streichen, das funktioniert nicht, ohne dass die Nationalmannschaft Schaden nimmt.“ Er erwarte bei einem Rauswurf deshalb „noch besseren Ersatz“.
Im Rangnick-Lager glaubt man, dass Mitterdorfer seine Zusagen aus Machtkalkül verwarf. Im Mitterdorfer-Lager dagegen wird gemunkelt, dass Rangnick den Präsidenten loswerden möchte.
Die Lage ist ernst. Die WM-Qualifikation steht vor der Tür. Eine Teilnahme Österreichs (die erste nach bald 30 Jahren) würde Renommee bringen und viel Geld in die ÖFB-Kassa spielen. Und genau jetzt lähmen die Machtkämpfe im Verband Rangnicks Arbeit. Die Kandidaten, die als neue Geschäftsführer im Gespräch sind, dürften eher die Interessen der Funktionäre bedienen als Rangnicks Professionalisierungstrieb. Und dann ist da noch der schwelende Konflikt zwischen Rangnick und Präsident Mitterdorfer. Der ÖFB-Boss soll dem Cheftrainer Neuholds Verbleib und mehrere Personalwünsche zugesagt, dann aber nichts davon eingehalten haben. Im Rangnick-Lager glaubt man, dass Mitterdorfer seine anfänglichen Zusagen aus Machtkalkül verwarf und sich situationselastisch der Mehrheit im Präsidium zuwandte. Im Mitterdorfer-Lager dagegen wird gemunkelt, dass Rangnick den Präsidenten loswerden möchte, um dem Immobilien-Unternehmer und Selfmade-Millionär Roland Schmid, für den der Teamchef zuletzt Werbespots drehte, an die Macht zu verhelfen. Laut profil-Informationen hat Schmid bereits Präsidiumsmitglieder kontaktiert, um seine Chancen auszuloten.
Immerhin: Vor wenigen Tagen kam es – auch auf Druck der Öffentlichkeit – zu einer Aussprache zwischen Mitterdorfer und Rangnick. Danach sprach der ÖFB-Boss gegenüber profil von einem „konstruktiven Austausch“, bei dem ihm wichtig gewesen sei, zu betonen, „dass ich es persönlich für sehr wertvoll halten würde, wenn er nach der WM noch Teamchef wäre“. Rangnick wollte aber nach dem monatelangen Stillstand keine vagen Liebesbekundungen hören, sondern wissen, mit wem er nach Neuholds Abgang die WM-Qualifikation planen soll. Am Ende blieben wieder nur Fragezeichen. Laut profil-Informationen hat Rangnick dem ÖFB-Boss deshalb klar mitgeteilt, dass er unter diesen Voraussetzungen nicht daran denke, seinen Vertrag über die WM hinaus zu verlängern.