Verliebt, verlobt, verschuldet?
tomX steht auf dem Laufsteg und gibt alles. Gut 100 Leute haben sich vor ihm auf goldenen Plastikstühlen niedergelassen, werden teilweise noch von den violett-blauen Scheinwerfern der provisorischen Bühne angestrahlt und schauen kritisch, denn eigentlich geht es gar nicht um tomX. Er ist heute nur eine Art Sidekick, das Publikum ist hier wegen der Kleider – vielleicht auch wegen der Anzüge, aber vor allem wegen der Kleider. Um 15 Uhr gibt es auf der Hochzeitsmesse (Motto: Trau dich) in der Wiener Marxhalle nämlich eine Modenschau. tomX macht die Musik, spielt auf seinem Saxofon die Diskoversion des Italo-Popsongs „Sarà perché ti amo“ und vier Models arbeiten sich abwechselnd den Laufsteg hinunter. Zuerst ganz klassisch in weißer Spitze, danach in Tracht. Ein Pärchen in der zweiten Zuschauerreihe outet sich, am Tag der Tage möchte die Braut Dirndl tragen, vielleicht was mit Blumen. Die Moderation findet das toll, sowieso ist heute alles toll – schließlich geht es um die Liebe.
Überlaufen ist die Veranstaltung am Eröffnungstag, einem Freitagnachmittag, noch nicht. Ob es daran liegt, dass es in Österreich in den letzten Jahren tendenziell mehr Scheidungen als Eheschließungen gegeben hat? Die Geschenktüten mit dutzenden Werbeflyern stehen jedenfalls am Eingang bereit, ein Tageseintritt kostet 17 Euro. Viele der interessierten Pärchen mogeln sich zu Beginn noch recht erfolgreich an den Messeständen vorbei, die meisten der Verkäuferinnen und Verkäufer halten sich mit Gesprächseinladungen noch zurück.
Dabei gibt es hier so gut wie alles. Brautkleider in allen Variationen, Eheringe, sogar einen VW-Bulli, den man als Bar buchen kann. Die Trendfarbe des Jahres: Mocha. Die Trendlocation: Das Zelt. Das Trenddekorationsobjekt: Ein Luster. Die Trendpapetarie: Das Seidenpapier. An einem Stand kann man sich alte Telefone mit Wählscheibe mieten, auf denen einem die Gäste Audiobotschaften hinterlassen können, anderswo wird ein Mietcasino angepriesen, daneben eine „Oldtimer-Weinbar für Ihre Agape“. Bei den Pyrotechnikern erfährt man, dass ihnen die Teuerung besonders zu schaffen macht. „2023 war wirklich ein sehr schlechtes Jahr. Letztes Jahr ging es da schon wieder etwas besser. Feuerwerke sind ein Luxusgut, bei uns spart man als erstes.“ Die Kosten dafür sind je nach Größe und Dauer natürlich recht unterschiedlich, wenn es ordentlich knallen soll, kann man aber schon einmal um die 3000 Euro hinlegen.
Ob Marius und Alexa (Namen von der Redaktion geändert) ein Feuerwerk bei ihrer Hochzeit wollen, wissen sie noch nicht genau. Um ehrlich zu sein, sind sie noch nicht einmal verlobt. „Wir wollten einfach ein bisschen schauen, was es so gibt“, sagt Marius. „Und wer weiß, vielleicht ist es ja bald so weit“, ergänzt Alexa und hat Marius dabei recht fest im Blick.
Heiraten ist mittlerweile eine ganze Industrie. Sie fängt bei den Junggesellinnen- beziehungsweise Junggesellenabschieden an und hört irgendwo in den Flitterwochen auf. Der Konsumkapitalismus hat gelernt, auch mit unseren Gefühlen anständig Geld zu verdienen. Am besten beschreibt das die israelische Soziologin Eva Illouz, die sich seit Jahren mit der menschlichen Gefühlswelt, ganz besonders der Liebe, auseinandersetzt und sie in einen Zusammenhang mit Ansätzen aus der Kritischen Theorie stellt. Die Liebe sei durch die Kommerzialisierung des Privatlebens zur Tauschware verkommen. Der individuelle Drang zur Selbstoptimierung führe auch im Liebesleben zu einer marktähnlichen Steigerungslogik. „Während wir uns in eine Individualität, Emotionalität und Innerlichkeit zurückziehen, die uns als Schauplätze der Selbstermächtigung erscheinen mögen, schaffen und erfüllen wir ironischerweise gerade die Voraussetzungen einer ökonomischen und kapitalistischen Subjektivität, die die soziale Welt fragmentiert und ihre Objektivität unwirklich werden lässt“, formuliert Illouz in ihrem Buch „Warum Liebe endet“.
In einer Hochzeit findet dieses Schauspiel seinen Höhepunkt. Das denkt man sich zumindest, wenn man vergangenes Wochenende in der Marxhalle steht. Die Hochzeit ist hier ein Event und damit eine Möglichkeit der Selbstvermarktung.
Im Durchschnitt geben Paare in Deutschland und Österreich zwischen 10.000 und 20.000 Euro fürs Heiraten aus. Und da ist der VW-Käfer vom Käferverleih nicht miteingerechnet, der recht traurig als Ausstellungsobjekt in einer Messekoje steht. Die persönliche Malerin, die den Ja!-Moment bildnerisch einfangen soll wahrscheinlich auch nicht, gleiches gilt für die „Bachelorette-Party“ mit „Action Painting“.
Übrigens, auch heuer im Trend: Mehrtägige Hochzeitsfeiern.