Demonstranten fordern die Anerkennung homosexueller NS-Opfer auf einer Antifa-Demo in den 1980er-Jahren.

Verspätete Erinnerung: Mahnmal für homosexuelle NS-Opfer lässt auf sich warten

Homosexualität galt in Österreich bis 1971 als Verbrechen. Während der NS-Zeit erreichte die Strafverfolgung jedoch ihren Höhepunkt. Nicht nur die Anzahl der Verurteilungen stieg, neben Gefängnisstrafen drohten Betroffenen die "freiwillige Entmannung" und die KZ-Haft. Ein Mahnmal für diese Opfergruppe lässt bis heute auf sich warten.

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"Es war ein Freitag, gegen 13 Uhr, fast auf den Tag genau ein Jahr, dass Österreich nur mehr eine 'Ostmark' war, als bei mir zu Hause die Türklingel zweimal läutete. Kurz, aber wie mir irgendwie schien, bestimmt – herrisch. Auf mein Öffnen überreichte mir an der Tür ein Mann mit Schlapphut und Ledermantel mit dem knappen Wort 'Gestapo!' eine Karte mit der vorgedruckten Aufforderung, mich zu einer Einvernehmung um 14 Uhr im Hauptquartier der Gestapo im Hotel Metropol am Morzinplatz zu melden."

So beginnt die Geschichte des Postangestellten Josef Kohout. Den Grund für seine Vorladung wusste der damals 24-Jährige zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Also umarmte er seine Mutter und machte sich auf den Weg. Am Morzinplatz angekommen erfolgte unmittelbar seine Beschuldigung: "Sie sind ein Schwuler (...)", schrie der Gestapo-Beamte. Auf sein Geständnis hin wurde er verhaftet und ins Polizeigefängnis an der Roßauer Lände gesperrt. Von dort kam er ins KZ Sachsenhausen und später nach Flossenbürg. Es sollte sechs Jahre dauern, bis er seine Mutter wieder sah.

Die Geschichte Josef Kohouts, die 1972 im Buch "Die Männer mit dem rosa Winkel" veröffentlicht wurde, ist kein Einzelfall. Nach Hannes Sulzenbacher und Andreas Brunner, den Gründern des Zentrum QWIENs, das schwule und lesbische Geschichte erforscht, wurden alleine in Wien ca. 1400 Personen aufgrund "homosexueller Handlungen" während der NS-Zeit strafrechtlich verfolgt.

"Unzucht wider der Natur"

Die Rechtsgrundlage für die strafrechtliche Verfolgung von Homosexuellen stellte der Paragraf 129Ib aus dem Strafgesetzbuch von 1852 dar. Dieser kriminalisierte "Unzucht wider der Natur" zwischen gleichgeschlechtlichen Personen. Somit galt in Österreich nicht nur männliche Homosexualität, sondern auch weibliche als Verbrechen.

"Der Anteil der Frauen, gegen die ein Strafantrag wegen § 129Ib erging, lag österreichweit im 20. Jahrhundert bei etwa 5 Prozent, wobei es regional starke periodische Schwankungen gegeben hat; so erreichte der Anteil der Frauen etwa in Wien im Jahr 1941 beinahe 15 Prozent", erklärt Johann Kirchknopf, Historiker am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien. Dies betraf auch Berta Huber und Stefanie Kratochvil.

Geschichten aus dem Schrebergarten

Es war im Sommer 1940 am Dirndlweg in einer Wiener Schrebergartensiedlung, als es im Hause der Familie Huber erneut eskalierte. Zum wiederholten Male bedrohte Franz Huber seine Frau Berta. Also nahm sie ihre beiden Kinder und brachte sie bei ihrer Nachbarin Stefanie in Sicherheit. Anschließend ging sie zur Kripodienststelle Floridsdorf und zeigte ihren Mann wegen "gefährlicher Drohung" an. Die Polizei nahm Franz Huber in Gewahrsam. Dieser nutzte die Situation des Polizeiverhörs und beschuldigte seine Frau zur Nachbarin, die in der Siedlung als "Warme" bekannt sei, gegangen zu sein. Außerdem, so Franz Huber, sollen die beiden Frauen miteinander ein Verhältnis haben. Unmittelbar darauf wurden Stefanie und Berta verhaftet und wegen "Unzucht wider die Natur" angeklagt.

Stigma homosexuell

Während im Mai 1945 die letzten Konzentrationslager befreit wurden, blieb der Paragraf 129Ib weiterhin bestehen. Das sogenannte Totalverbot von Homosexualität zwischen Erwachsenen wurde erst 1971 mit der "Kleinen Strafrechtsreform" unter Justizminister Christian Broda abgeschafft. Aber durch das gesellschaftliche Stigma von Homosexualität und dem Geschichtsbild von "Österreich als erstem Opfer" wurden NS-Verfolgte weiterhin jegliche Entschädigung vorenthalten. Man sah kein "spezifisch nationalsozialistisches Unrecht" in ihrer Verfolgung, weil man Homosexualität vorher und nachher ja auch bestraft hatte. Auch Josef Kohout beantragte nach seiner Befreiung bei der KZ-Heimkehrer Stelle im Wiener Rathaus Unterstützung. Diese gab ihm jedoch zu verstehen, dass ein "Warmer" keine Ansprüche auf solche hätte.

(Zu) späte Wiedergutmachung

In zaghaften Schritten wandelte sich die österreichische Erinnerungspolitik. Doch bis Homosexuelle als NS-Opfer anerkannt wurden, war es ein langer Weg. Am 8. Juli 1991 erwähnte Bundeskanzler Franz Vranitzky in einer Rede vorm Nationalrat Homosexuelle erstmals als NS-Opfer. Vier Jahre später wurde der Nationalfonds eingerichtet. Überlebende konnten dadurch Entschädigungszahlungen beantragen. Pro Person lag dieser Betrag bei 70.000 ATS, etwa 5000 EUR. Nach Auskunft des Nationalfonds haben seit 1995 jedoch "nur vereinzelte" Personen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgt wurden, eine solche "Gestezahlung" beantragt. Weitere zehn Jahre später wurden mit der Novellierung des Opferfürsorgegesetzes Homosexuelle offiziell von der Bundesrepublik Österreich als NS-Opfer anerkannt. Nur: zu diesem Zeitpunkt waren alle Überlebenden bereits verstorben.

"Schon 2005 war zu befürchteten, dass diese Novelle viel zu spät komme, da vermutlich keine Betroffenen mehr lebten. Eine Befürchtung, die sich leider bewahrheitete", sagt Kurt Krickler, Generalsekretär der Homosexuelleninitiative (HOSI) Wien.

Ein Mahnmal lässt auf sich warten

Zivilgesellschaftliche Gruppen wie die HOSI Wien hatten seit den 1980er-Jahren auch eine symbolische Anerkennung der NS-Opfer gefordert. Als im Gedenkjahr 2005 20 Jahre EU-Beitritt, 50 Jahre Neutralität und 60 Jahre Ende des Zweiten Weltkrieges zusammenfielen, sollte es schließlich so weit sein. Nachdem Kulturstaatssekretär Franz Morak und Bundeskanzler Wolfgang Schüssel zum sogenannten "Gedankenjahr" ausriefen – in dem die kritische Auseinandersetzung an NS-Verfolgung und deren Nachgeschichte zweitrangig schienen – luden Stadträtin Sonja Wehsely und Kulturstadtrat Mailath-Pokorny zu einer Pressekonferenz ein. Sie verkündeten die Errichtung eines Mahnmales in Wien, auch um sich von der Erinnerungspolitik der schwarz-blauen Bundesregierung abzugrenzen. "Wir von Seiten der Stadt Wien versuchen, dieses Gedenkjahr bewusst nicht als ein Jubel- und Abfeierjahr zu sehen, sondern kritische Sichtweisen zu entwickeln und auch Maßnahmen zu setzen", bekundete Mailath-Pokorny damals.

Der geplante Zeitplan erwies sich jedoch als zu straff organisiert. Bereits ein Jahr später wurde der Entwurf "Rosa Platz" des Künstlers Hans Kupelwieser als Wettbewerbssieger präsentiert. Das Objekt sollte am Morzinplatz, wo einst die Gestapo-Leitstelle stand, errichtet werden. Aufgrund von technischen Schwierigkeiten bei der Umsetzung wurde die Umsetzung 2009 eingestellt. Als Überbrückung beauftragte die Stadt die GmbH Kunst im öffentlichen Raum (KÖR), vier temporäre Installationen in den nächsten fünf Jahren für diese Opfergruppe zu errichten. Darauffolgend wurde in den Regierungsübereinkommen 2010 und 2015 der Stadt Wien zwischen SPÖ und die Grünen wieder und wieder die Errichtung eines permanenten Mahnmales vereinbart.

Im Herbst 2014 wurde der Prozess noch einmal angekurbelt, als die Wiener Antidiskriminierungsstelle für gleichgeschlechtliche und transgender Lebensweisen (WASt) und das Zentrum QWIEN zu einer zweitägigen Konferenz ins Wiener Rathaus einluden. Erneut wurde mit Personen aus Politik, Kunst und der Zivilgesellschaft über eine geplante Errichtung diskutiert. Nach dem jetzigen Zeitplan soll das Erinnerungszeichen schließlich 2019 realisiert werden: "Mit Jürgen Czernohorszky als neuen zuständigen Stadtrat werden wir das im Regierungsübereinkommen vereinbarte Mahnmal realisieren", so der grüne Gemeinderat und Sprecher für LGBT-Themen Peter Kraus. "In Kürze wird es auch Gespräche mit dem Bund bezüglich einer gemeinsamen Umsetzung eines bundesweiten Mahnmals geben."

Sollte der Bund tatsächlich ein Erinnerungszeichen für die homosexuellen Opfer Österreichs (mit)stiften, wäre dies ein österreichisches Novum und symbolisch von großer Bedeutung. Denn bisher gibt es kein einziges bundesweites Mahnmal für eine NS-Verfolgtengruppe. Alle großen Erinnerungszeichen der Bundeshauptstadt wie das Mahnmal für die Opfer der Wehrmachtsjustiz am Ballhausplatz, das Hrdlicka-Mahnmal gegen Krieg und Faschismus am Albertinaplatz oder das Mahnmal für die österreichischen jüdischen Opfer der Shoah am Judenplatz sind Projekte der Stadt Wien.

Zu Josef Kohout: Josef Kohout erzählte zwischen 1965 und 1967 in mehreren Sitzungen dem Journalisten Hans Neumann seine Lebensgeschichte. Dieser schrieb das Buch "Die Männer mit dem rosa Winkel". Aufgrund des Stigmas von Homosexualität wurde das Buch 1972 unter dem Pseudonym Heinz Heger veröffentlicht.