Immer mit der Ruhe: Mein erster Marathon
Ich bin weder ein schneller noch ein guter Läufer. Ich kann auch nicht behaupten, dass mir Laufen Spaß macht. Laufen ist dennoch ein wichtiger Teil meines Alltags. Weniger aus Gründen der Gesundheit. Das ist ein angenehmer Zusatzeffekt. Sondern weil mich das Laufen mit meiner Inkonsequenz und Widersprüchlichkeit konfrontiert. Und es sich gut anfühlt, trotzdem durchgehalten zu haben. Denn mein Trainingsplan wird ständig von Zigaretten, Bier und Faulsein durchkreuzt. Jedes Jahr, jeden Lauf und jeden Kilometer aufs Neue. Zu zwei glorreichen Halbmarathon-Zieleinläufen hat es bisher immerhin gereicht. Heuer, im dritten Jahr meiner On/Off-Laufkarriere, steht der ganze Marathon am Programm. Das Ziel: Herauszufinden, ob mich meine Inkonsequenz auch über diese Ziellinie bringt, ohne das Ganze zu ernst zu nehmen.
Irgendein Ziel sollte man schon haben
Die Vorgeschichte: Im Februar 2015 habe ich nach 15 Jahren mein altes Paar Laufschuhe hervorgekramt, um der Winterlethargie zu entkommen. Der Plan: Jeden Tag eine halbe Stunde im Wiener Prater laufen zu gehen. Die Sonne war frühlingshaft, die Stimmung euphorisch und die Knie waren nach zwei Wochen angefressen. Also weg mit den alten Schuhen, Lauftest im Fachgeschäft, zurück mit neuen Schuhen, statt fünf nur mehr drei Einheiten und die Knie waren zufrieden. Das ging gut bis in den April hinein. Dann hat mich die Sonne rauf aufs Fahrrad und aus der Stadt hinausgezogen. Mit dem Laufen war es vorerst vorbei.
Auf die Laufbeine zurückgeholt hat mich der Winter. Wenn es ab November draußen kalt und im Kopf schwer wird, sind für mich die Laufschuhe das beste Mittel, um beiden zu entkommen. Aber weil zweimal in der Woche alleine in der Dunkelheit unterwegs zu sein auf die Dauer ein Downer ist, habe ich mich im Frühling für den Halbmarathon beim Vienna City Marathon angemeldet. Irgendein Ziel sollte man schon haben. Und mein Ziel hieß durchkommen. Das hat funktioniert. Zeit: 2:07:41.
Da das Leben allerdings aus Schleifen besteht, hat sich das Prozedere wiederholt und ich habe die Laufschuhe bis November nicht mehr angerührt. Doch auf Yin folgt Yang und fünf Monate später stand ich zum zweiten Mal im Ziel des Halbmarathons. Zeit: 1:57:22. Dafür habe ich mir extra eine Trainingsplan ausgedruckt: „Halbmarathon unter 2 Stunden“. Der geniale Plan ist aufgegangen. Meine Zwischenzeiten habe ich an den herumhängenden Würfeluhren abgelesen. Denn für ein ständiges Auf-die-Uhr-Schauen ist mir die Zeit während des Laufens zu schade. Da genieße ich die Stadt, die Stimmung und das Abklatschen mit den Zuschauern.
Nur Rocky dürfte sich besser gefühlt haben
Aber auch meine „Personal Best“ (so nennen Läufer ihre Bestzeit wie ich kürzlich in einem Blog gelesen habe) konnte nicht verhindern, dass die Laufschuhe erneut bis November die Wohnung nicht verlassen haben. Im folgenden Winter habe ich mir beim Hervorholen der Schuhe aber zwecks Motivation gleich einen neuen Plan ausgedruckt: „Marathon unter 4 Stunden 30 Minuten“. Viermal pro Woche, drei Monate lang. Dreimal wöchentlich ist es sich auch ausgegangen. Halbwegs. Umso niedriger die Temperatur war, desto angenehmer. Denn wenn ich spätabends zwei Stunden lang durch die Gegend gelaufen bin, habe ich häufig nur ein paar andere Läufer getroffen. Und beim Zuwinken im leichten Schneefall um 22 Uhr fühlt man sich wie ein Teil einer geheimen Verbindung. Nur Rocky dürfte sich besser gefühlt haben.
Um meine Motivation aufrechtzuerhalten, habe ich mir eine kleinen Ernährungstrick einfallen lassen. Ich habe mir hin und wieder am Weg nach Hause nach der Arbeit in meinem Lieblingsburgerladen einen Chilliburger, Pommes und Kirschsaft mitgenommen. Das Menü durfte dann bis nach dem Lauf auf meinem Küchentisch auf mich warten. Selten hat mich ein Wiedersehen dermaßen erfreut.
Meine Freunde will ich auch noch treffen, wenn ich fürs Laufen schon zu alt bin.
Ein (regelmäßiges) Wiedersehen hat es allerdings auch mit Zigaretten und Bier gegeben. Aber niemand kann von einem erwarten, sich gut gelaunt eine dritte Frucade einzuschenken, während sich die Freunde ihr nächstes Tegernseer bestellen. Denn meine Freunde will ich auch noch treffen, wenn ich fürs Laufen schon zu alt bin. Einmal, es war Ende März und der Trainingsplan am Höhepunkt, habe ich mich sogar der Illusion hingegeben, meine Laufschuhe auf eine Reise nach Sarajevo mitzunehmen. Am Ende der fünf Tage waren die Schuhe elegant von leeren Sarajevsko-Pivo-Flaschen umstellt. Nicht nur dem Menschen, auch dem Läufer ist nichts Menschliches fremd.
Vier gute Trainingsläufe und einen Komplett-Check bei meiner Ärztin später stellen sich für den Lauf am Sonntag aber nur mehr zwei Fragen. Wie soll die Playlist für den Marathon ausschauen? Und was soll ich anziehen?
Bei der Playlist ist es wie bei einem Mixtape: Gut starten, das Pulver aber nicht ganz verschießen, ruhig weitermachen, dann eine Stufe höher gehen, dran bleiben und am Ende noch einmal aufdrehen. Das Lied für den Zieleinlauf ist zumindest fixiert. Zum Glück haben "The Get Up Kids" gerade einen neuen Song veröffentlicht. Für den langen Weg davor dürfte es ein Basketball-Podcast und "Explosions in the Skys" werden.
Sind Laufshirts völlig überbewertet?
Schwieriger ist es allerdings bei der Kleidungsfrage. Die Schuhe (Saucony) sind gut eingelaufen. Meine Laufshort (Nike Dri-Fit) ist farblich zwar verhaltensauffällig, erfüllt aber ihren Zweck. Mein San-Antonio-Spurs-Basketball-Stirnband hat mir bei den Halbmarathons gute Dienste erwiesen. Es für den Marathon auszutauschen, wäre einfach unfair. Ähnlich ist es mit meinem Laufshirt. Für die Läufe im Winter hatte ich ein langärmeliges Laufshirt. Kurzärmeliges besitze ich aber keines. Für die Halbmarathons haben normale T-Shirts aus Baumwolle immer gereicht. Meine Google-Suche „Laufshirt Marathon Material“ hat meine Skepsis gegenüber den teuren Laufshirts in allen Formen und Farben aber ins Wanken gebracht. Bei den 40.700 Einträgen habe ich keinen einzigen gefunden, der mir versichert hätte: Laufshirts sind völlig überbewertet. Es könnte also sein, dass ich mein geschätztes Chicago Cubs T-Shirt schweren Herzens gegen eines mit dem Zusatz „Max Intensity V2“ oder „Performance“ tauschen werde.
Welches T-Shirt es am Ende auch werden wird, freue ich mich auf den Sonntag. Auf die Spannung, bevor es losgeht, das Laufen quer durch die Stadt, die Menschen am Straßenrand, das Durchhalten am Ende und das Bier danach. Denn egal wie weit mich meine Inkonsequenz am Sonntag bringt, man sollte nie vergessen, darauf anzustoßen, dass man sich immer wieder aufrafft und an den Start geht.