Vier Gänge mit … Andrea Kdolsky
Von Markus Huber
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Andrea Kdolsky ist zurzeit Single. „Jung, free and single“, um es präzise zu sagen, und um auch das präzise zu sagen: Ich wollte das weder wissen, noch habe ich sie danach gefragt. Sie erzählt das von sich aus, unaufgefordert, und das mache ich besser auch. Die vergangenen Wochen haben gezeigt, dass man als Journalist, weiß, männlich, älter, bei privateren Themen transparent bleiben soll – man weiß nie, wer von den Zuhörern am Nebentisch in einer Chat-Gruppe mit Lena Schilling abhängt. Kdolsky dürfte da weniger Berührungsängste haben: Single also, drei Mal verheiratet, drei Mal geschieden, und weil sie doch ein bisschen lernfähig ist, sagt sie, habe sie jetzt einen anderen Zugang zu Männern: „Ich behandle das Thema jetzt ambulant und nicht mehr stationär.“ Sie lacht darüber sehr laut, und ich lache mit.
Was passiert da gerade? Vor unserem Termin hatte ich Andrea Kdolsky noch nie in meinem Leben getroffen, und auch jetzt sitzen wir erst seit ein paar Minuten im Lokal. Der Kellner hat noch nicht einmal eine Speisekarte gebracht, geschweige denn hat er unsere Getränke aufgenommen. Verwechselt sie mich? Oder ist sie einfach so outspoken, wie es auf Neudeutsch heißt?
Es ist ein Montag, 12 Uhr mittags, wir sitzen im Mama Leone, dem neuesten Lokal des Gastronomenpaars Gabriele und Robert Huth in der Wiener Innenstadt, eine Pizzeria mit plüschiger Inneneinrichtung und Bar mit sehr viel mehr Gin-Flaschen, als in ganz Süditalien lagernd sind. Kdolsky war schon vor zwei Wochen bei der Eröffnung hier. „Es passt zu meiner italophilen Seele. Ich liebe alles an Italien, auch das Essen.“ Außerdem ist sie mit der Chefin des Hauses befreundet, und sie mag den Restaurantleiter, aber das nur nebenbei.
„Ich sage immer das, was ich mir denke. Für meinen Pressesprecher war das nicht immer einfach“, sagt Kdolsky jetzt, und man kann ihr da nicht widersprechen. Knapp zwei Jahre war sie ÖVP-Gesundheitsministerin in der Koalition von Alfred Gusenbauer und Wilhelm Molterer. Aus dieser Zeit gibt es jede Menge Zitate von ihr: lustige („Ich bin eine leidenschaftliche Schweinsbratenesserin“), anzügliche („An alle Fotografen: Ich gehe jetzt gleich baden, aber im Badeanzug, auch wenn mein Körper der nackte Wahnsinn ist“), und dann auch politisch überraschende, in denen die selbst kinderlose Ministerin gegen „die politische Verklärung der Mutterschaft“ wetterte: „Ich bin große Kinderfreundin, aber mit kritischem Potenzial, wenn Kinder in unangenehmer Weise in mein Leben intervenieren.“ Kdolsky war damals übrigens nicht nur Gesundheits-, sondern auch Familienministerin. In der ÖVP hatte die Ärztin jedenfalls nicht rasend viele Freunde, und als das Ressort nach den Wahlen 2008 wieder an die SPÖ ging, gab es auch nicht wirklich viele, die sich für einen Verbleib Kdolskys in der Regierung einsetzten.
Mama Leone – Pizza & Amore
Was es hier gibt: italienisches Essen und heftige Drinks
Was man hier probieren sollte: die Pizza Tartufolino mit Fior di Latte und schwarzen Trüffeln
Wen man hier trifft: Anwälte aus den umliegenden Kanzleien, „Heute“-Redakteure
Wen man hier nicht trifft: Lena Schilling
Das vielleicht Spannendste aus ihrer Zeit in der Politik ist aber, dass Kdolsky die bislang letzte Spitzenpolitikerin war, bei der sich in der medialen Berichterstattung die Grenzen zwischen Politik und Privat massiv in Richtung Privat verschoben hatten: Kdolsky verließ nämlich im Amt ihren zweiten Mann für einen neun Jahre jüngeren Mitarbeiter eines ÖVP-Kabinetts. Schon vor der offiziellen Bestätigung fanden sich Gerüchte in den Zeitungen, als Kdolsky dann ihren veränderten Beziehungsstatus öffentlich machte, gab es kein Halten mehr. Da wurden der Reihe nach die Ex-Partner befragt („Scheidungsdrama! Der Ex-Mann sagt: Ich habe mir nichts vorzuwerfen“), Kdolsky selbst gab Interviews, in denen sie erklärte, „Schmetterlinge im Bauch zu haben“, als Konsument erfuhr man sehr viel mehr, als man wissen wollte. Oder zumindest: wissen sollte.
„Ich rede wirklich viel“, sagt Kdolsky jetzt. Zwischen uns steht ein übervoller Tisch, der Restaurantleiter hat ein paar Kleinigkeiten aus der Küche kommen lassen, und Kdolsky hat davor für uns beide bestellt: frittierten Karfiol (7,50 Euro) und Calamari fritti (16,50 Euro), Rindercarpaccio mit Rucola (24,50 Euro) und dazu noch Pizza mit schwarzen Trüffeln (21,50 Euro). „Wollen wir sharen?“, hatte sie gefragt. „Österreicher sind da sehr eigenartig. Man kann jahrelang mit ihnen in einer Beziehung leben, beim Essen wollen sie aber ihr eigenes haben und ja nichts teilen.“
Nach der Politik arbeitete sie zunächst für eine Consultingfirma, machte sich später selbstständig. Das klappte nicht so gut, auch weil sie als Einzelunternehmerin nicht die notwendigen Strukturen für größere Kunden hatte, und Kdolsky fiel emotional in ein Loch, aus dem sie erst wieder herausfand, als sie nach Südtirol ging und dort das Land in Sachen Gesundheitspolitik beriet. Mittlerweile ist Kdolsky offiziell Pensionistin, daneben berät sie weiter Unternehmen, außerdem arbeitet sie derzeit wieder 25 Stunden als Ärztin in einem Krankenhaus. Und dann ist sie noch gern gesehener Diskussionsgast im Privat-TV. Sie sitzt regelmäßig in den Streitformaten von Puls24, bei Ö24 diskutiert sie mit Bernhard Heinzlmaier und soll demnächst eine Krawall-TV-Sendung mit dem FPÖ-nahen Politclown Gerald Grosz bekommen. „Ich finde das lustig“, sagt Kdolsky, „ich hab gerne eine Meinung und teile die auch. Früher habe ich das auf Facebook gemacht, Fernsehen ist da besser, da kann ich einfach reden und muss nicht so viel tippen.“
Ich habe 40 Jahre zum linken Rand der ÖVP gehört. Heute ist der linke Rand der ÖVP die FPÖ. Da passe ich nicht mehr hin.
Mit Andrea Kdolsky Mittagessen zu gehen, ist tatsächlich lustig. Sie redet nicht nur viel, sondern auch sehr schnell, und schafft es dabei trotzdem noch, vernünftig zu essen. Das Besteck hat sie schon lange weggelegt, sie isst mit den Händen, die frittierten Tintenfischstücke (recht geschmackloses Convenience- Food, Anm.) genauso wie die Pizza und sogar das streng marinierte Carpaccio mit Rucola. Auch der Hund bekommt zwischendurch immer wieder was ab, er mag sowohl die Calamari als auch das Carpaccio. Auf meine Frage, ob das streng veterinärmedizinisch richtig ist, meint sie nur: „Er ist 16 und hat Lungenkrebs, was soll ich da beim Essen noch groß aufpassen?“
Kdolsky spannt wirklich einen großen Bogen, sie lacht dabei oft und laut, außer wenn man sie über Gesundheitspolitik befragt. Da wird sie böse, und 45 Minuten sind schnell um, nicht mal der Restaurantleiter kann sie dann ablenken. Nicht alles, was sie erzählt und macht, sollte man schreiben, nicht nur, aber auch zu ihrem eigenen Schutz. Abgesehen davon hält sie Lena Schilling für ein unreifes Kind, das „im Kopf noch jünger ist als im Pass“, und glaubt, dass Herbert Kickl die Nationalratswahlen gewinnt, weil die Leute „nicht das Gefühl haben, dass sich die alten Großparteien noch groß um ihre Probleme kümmern“. Sie hält Andreas Babler nicht aus, „weil der einfach im Stakkato Stehsätze rausschießt“, und auch mit der ÖVP hat sie abgeschlossen – innerlich schon länger, formal aber, als Johanna Mikl-Leitner eine Koalition mit Udo Landbauer einging. Kdolsky: „Ich habe 40 Jahre zum linken Rand der ÖVP gehört. Heute ist der linke Rand der ÖVP die FPÖ. Da passe ich nicht mehr hin.“ Politisch hat sie am meisten Überschneidungen mit den NEOS („Die sind das kleinere Übel“), auch wenn dort nicht alles passt. „NEOS punkten am Land einfach nicht, ihre Kandidaten sind zu konservativ für die jungen Leute. Nur Sepp Schellhorn ist da eine Ausnahme. Aber über zehn Prozent kommen sie trotzdem nicht.“
Kdolsky trinkt noch einen doppelten Espresso, kein Dessert. „Seh ich so aus, als würde ich ein Dessert vertragen?“ Dann muss sie weiter. Ich schaue auf die Uhr. Der Termin hat tatsächlich fast drei Stunden gedauert. Zwei Stunden und 45 Minuten, um es präzise zu sagen.
Am Nebentisch sitzt übrigens schon lange niemand mehr.
Markus Huber
ist im Hauptberuf Herausgeber des Magazins „Fleisch“ und schreibt für profil alle zwei Wochen die Kolumne „Powerlunch“.